Salzburg: „Aida“, Giuseppe Verdi

Jedes Jahr geht das Landestheater Salzburg mit einer seiner Produktionen in die nahe Felsenreitschule, was die Erwartungen immer besonders hochschraubt, zumal in den letzten Jahren mit Rosenkavalier und Lohengrin großartige Inszenierungen unter intelligenter Ausnutzung des ganzen riesigen Bühnenraums gelungen sind. Dieses Jahr betraute man Andreas Gergen mit der Regie einer neuen Aida. Mit seinem Regieteam bestehend aus Bühnenbildner Stephan Prattes, Kostümbildnerin Aleksandra Kica, Lichtdesigner Richard Schlager und Choreograph Reginaldo Oliveira setzte er die Akzente auf äußerliche Facetten der Künstlichen Intelligenz im Rahmen von bisweilen überaus (kosmisch) plastischen und den eigentlichen Gehalt des Stückes verfremdenden Computer-Animationen. Hatte man die Virtual Reality-Brillen bei den Bayreuther Festspielen im vergangenen Sommer noch schmerzhaft auf der eigenen Nase, so sind sie nun schon – schneller als zu erwarten gewesen wäre – auf die Sängerdarsteller übergelaufen, die sich damit nun bisweilen allzu sehr abmühen müssen und sie offenbar recht gern immer wieder ablegen…

© Tobias Witzgall

Was das Ganze soll?! Wohl vermitteln, dass Aida für Radamès, der zwar gleich zu Beginn mit Amneris im Bett liegt, sich aber dann Aida per AR-Brille vor die Nase holt, die auch immer nur erscheint, wenn die Brille benutzt wird und auch eher wie ein KI-Konstrukt aussieht als eine Frau aus Fleisch und Blut. Er hingegen versprüht eher den Charme eines LKW-Fahrers in einer Kaffeepause auf dem Parkplatz. Einige Massenszenen geraten zwar ganz eindrucksvoll, aber es stören die vielen blauen Business-Anzüge mit schwarzen Aktentaschen, die sogar vom Ballett im Tanz mitgeführt werden. Amonasro kommt in Vertretung aller „geschlagener“ Äthiopier als Businessman aus der Kulisse und präsentiert irgendwelche Papiere aus seinem Aktenkoffer. Also mittlerweile schon ganz alte Regietheater-Kamellen, business suits und Aktenkoffer… Gleichwohl ist in den Kostümen anderer Darsteller auch altägyptische Ästhetik zu sehen, immer wieder auch mit Assoziationen zur Totenmaske von Tutanchamun.

© Tobias Witzgall

Nicht nur solch entfremdende Elemente führten bisweilen weit von der Idee des Regisseurs weg, mit seiner Inszenierung die emotionale Intensität des Liebesdreiecks zwischen Radamès, Amneris und Aida zu unterstreichen. Das hätte sich ohne diesen nur vermeintlich spektakulären, aber inhaltlich kaum vertiefenden Aktionismus sicher besser zeigen lassen, wäre dann aber wieder mehr klassische Oper gewesen. Und das war offenbar nicht erwünscht – wie immer öfter so oft. Natürlich musste auch wieder ein Kameramann auf die Bühne, um die Aussage des Messaggero auf die Leinwand zu bannen, ein nicht mehr auszuhaltendes Stereotyp des standardisierten Regietheaters! Kameraleute auf der Bühne mit ihren Kabeln stören einfach nur!!

Die Salzburger Aida zeigt so den Fortgang eines Trends, der sich langsam bahnbricht und die Kunstform Oper in die Richtung eines Event-Mediums treibt. Die neue Aida des diesjährigen Festivals der Arena di Verona war ein ähnlich starkes Beispiel. Offenbar kommt das beim Publikum auch immer mehr an, das sich so von den opernspezifischen Qualitäten der Kunstgattung immer weiter verabschiedet, wenn es sie denn – aufgrund des jungen Alters – überhaupt noch kennen gelernt hat.

Daniele Macciantelli, Milen Bozhkov und Chor / © Tobias Witzgall

Sängerisch hingegen wartete das LT Salzburg mit sehr guten bis hervorragenden Solisten und dem ebenfalls beeindruckenden Chor und Extrachor des LT auf. Die Portugiesin Cristiana Oliveira, die schon einige wichtige Preise gewonnen hat, brillierte als einnehmende Aida mit einem klangintensiven prägnanten Sopran, viel Empathie und guter Mimik. Oksana Volkova war mit ihrem dunklen, etwas unscharfen Mezzo und stereotypen Pharaonentochter-Gehabe der genaue und damit passende Gegenpart zu ihr. In den letzten vier Aufführungen wird Julia Rutigliano diese Rolle verkörpern. Milen Bozhkov aus Bulgarien lavierte mit einem guten, aber nicht überragenden Tenor für den Radamès zwischen den beiden starken Frauen und machte unter den gegebenen Bedingungen das Beste aus der Rolle. Hervorragend war wieder Aris Argiris, der nach seinem bulgarischen „Walküre“-Wotan in Füssen nun den Amonasro sang und auch sehr gut spielte, auch wenn er beim ersten Auftritt eine Art Versicherungsvertreter mimen musste. Martin Summer war ein guter Ramfis und Daniele Macciantelli ein guter König. Eine abartige Rolle blieb der Sacerdotessa von Anita Giovanna Rosati vorbehalten, die zwar sehr schön sang, aber ihr Herz hergeben musste, mit dem Radames dann ins Feld zog… Wahrscheinlich hat er es später gegessen.

Cristiana Oliveira und Aris Argiris / © Tobias Witzgall

Musikdirektor Leslie Suganandarajah musizierte mit dem Mozarteumorchesterauf von diesem Klangkörper gewohnt hochen Niveau und zog alle Register der Verdischen Tonkunst über den langen Abend. Es wurde nie langweilig, aber berühren konnte diese Aida nicht. Andreas Gergen bot einfach zu viel von allem und damit zu wenig von wirklich kunst- und eindrucksvoll NachhaltigemDazu hätte sich das Stück allerdings geeignet.

Klaus Billand, 7. November 2023


Aida
Giuseppe Verdi

Landestheater Salzburg

Premiere am 4. November 2023

Inszenierung: Andreas Gergen
Musikalische Leitung: Leslie Suganandarajah
Mozarteumorchester