Salzburg: „Idomeneo“

29. 12. 2016 ( 4. Vorstellung nach der Premiere vom 4.12. 2016)

„Die Musik ist das eigentliche Theater“

„Die Musik ist das eigentliche Theater…. Dort spielt sich die Interaktion und Reflexion des Geschehens ab. Dort ist das Besondere dieses Werks.“ – das schreibt im Programmheft die Regisseurin Arila Siegert in ihren Notaten zu „Idomeneo“.

Und damit charakterisiert sie überaus treffend den Eindruck, den man als kritischer Beobachter von dieser ausgezeichnet besuchten Repertoire-Aufführung mitnimmt. In Erinnerung bleibt nicht die zwiespältig-belanglose szenische Umsetzung, die Arila Siegert mit Hans Dieter Schaal (Bühne) und Marie-Luise Strandt (Kostüme) auf die Bühne bringt, der größte Eindruck geht ganz eindeutig von der musikalischen Leitung des Abends aus. Im hoch liegenden Orchestergraben ist die Musikdirektorin des Salzburger Landestheaters Mirga Gražinytė-Tyla nicht nur für das Orchester und die Bühne, sondern auch für das Publikum die stets sichtbare Zentralfigur, die mit jugendlichem Elan und mit impressiv-großen Gesten, die nie zur Selbstdarstellung werden, die Musik zum Mittelpunkt das Abends – eben zum eigentlichen Theater – werden lässt. Die 30-jährige Litauerin, die nach nur zwei Jahren Salzburg verlässt, um die renommierten Positionen als Music Director City of Birmingham Symphony Orchestra und als Assistant Conductor Los Angeles Philharmonic zu übernehmen, hat die ihr schon vor Jahren vorhergesagte große internationale Karriere bereits begonnen. Die Biographie und der dichte internationaler Terminkalender dieser ursprünglich in Österreich ausgebildeten Dirigentin können hier nachgelesen werden.

Ihre Mozart-Interpretation ist stets spannungsvoll, rhythmisch scharf, aber nie grob akzentuiert – immer auch die kantablen Phrasen wunderschön ausmusizierend. Gerade bei der Begleitung der Gesangssolisten, aber auch des Chors legt sie oft den Dirigierstab aus der Hand und formt mit beiden Händen plastisch die Phrasen. Da erkennt man deutlich die Vokalmusik als die Wurzel ihres Musizierens – und wohl auch die Schule des bedeutenden österreichischen Chordirigenten Johannes Prinz, bei dem sie studiert hatte. Dank der Dirigentin folgte man dem ganzen Abend mit Anteilnahme und Spannung – das Mozarteumorchester Salzburg ging mit großer Ambition und sehr schönen Soli mit. Das musikalische Fundament dieses Abends hatte jedenfalls internationales Niveau.

Von der Premierenbesetzung der vier Hauptrollen blieb an diesem Abend nur die Elettra der Meredith Hoffmann-Thomson – eine attraktive Bühnenpersönlichkeit, die ihre stimmlichen Mittel schonungslos – mit manchmal etwas gutturalem Stimmsitz – einsetzte. Aus dem Salzburger Opernstudio kommt die erst 22-jährige Kroatin Tamara Ivaniš, die mit jugendlicher Unbefangenheit die Ilia übernommen hatte. Sie wurde am Ende vom Publikum lebhaft bejubelt – wenn auch ihre an sich saubere stimmliche Leistung mir noch wenig differenziert erschien. Die wunderbaren Ilia-Phrasen enthalten noch wesentlich mehr Klangschattierungen als es die junge, zweifellos vielversprechende Anfängerin derzeit bieten konnte. Die schottische Mezzosopranistin Rowan Hellier hat nun die Partie des Idamante übernommen. Sie ist eine überzeugende Figur mit einer in allen Lagen gut sitzenden, allerdings ein wenig trockenen Stimme – aber auch bei ihr fehlte mir die klangliche Vielfalt und auch ein wenig der warme Mezzo-Klang. Schon bei der Premiere waren dabei: Emilio Pons als individuell timbrierter Arbace (mit etwas kleiner Stimme) und Franz Supper als überzeugende Autorität des Sacerdote.

Ernsthafte Probleme hatte man in Salzburg mit der Besetzung des Idomeneo. Bei der Premiere konnte der ursprünglich vorgesehene Christoph Strehl wegen einer Kehlkopferkrankung nicht singen, sondern nur spielen, während ein Kollege vom Bühnenrand sang. Für die folgenden Vorstellungen hatte man nun den amerikanischen Tenor Clay Hilley engagiert, der bisher sowohl im deutschen als auch im italienischen Heldenfach reüssierte, aber im Vorjahr in Würzburg auch den Idomeneo gesungen hatte. Clay Hilley bot eine sichere stimmliche Interpretation mit erstaunlichen Pianophrasen, die er seinem heldischen Material abgewann. Auch als Figur überzeugte er als gescheiterter Held durchaus.

Das Regiekonzept war der Meinung, dass der Orakelspruch am Ende, der als deus ex machina das positive Ende ermöglicht, nicht mehr in die heutige Zeit passe – Idomeneo solle die kurze (Bass!)-Phrase gleichsam als eigene Eingebung selbst singen. Diesen Unfug machte Clay Hilley nicht mit, also sang ein Chorist aus dem Off – die szenische Lösung dieser entscheidenden Phase des Stücks blieb wie so manch anderes – etwa die Hinzufügung von Kinderfiguren – unbefriedigend.

Musikalisch unbefriedigend war auch, dass die umfangreiche Ballettmusik entfiel – wie man in einem Pressebeitrag lesen konnte, hatte sich die Dirigentin in dieser Frage nicht gegen die Regisseurin durchsetzen können: Und eines darf vermutet werden: Nur wenige Jahre noch, und diese Dirigentin wird Debatten um musikalische Fassungen mühelos gewinnen.

Dem kann ich mich nur anschließen – und dabei zum Beginn meines Berichts zurückkommen: „Die Musik ist das eigentliche Theater“ – und das hat uns an diesem Abend die großartige Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla eindrucksvoll demonstriert und geschenkt!

Hermann Becke, 30.12.2016

Fotos: Salzburger Landestheater, © Anna-Maria Löffelberg