Salzburg: „Hair“, Galt MacDermot

Vom Wunsch nach Liebe und Frieden – Eine Botschaft auch für heute

Das Musical Hair von Galt MacDermot (Musik) und Gerome Ragni und James Rado (Text und Buch) gilt – lange vor Lloyd-Webbers Jesus Christ Superstar – als das erste Rock-Musical, das sich auf der Bühne durchgesetzt hat. Ein künstlerisches Manifest der Hippie-Bewegung Ende der 60er Jahre, das mit Parolen wie Flower-Power, Make Love, not War und Hare Krishna den Lebensstil einer immer größer werdenden Schar von Aussteigern geprägt hat. Der karriereorientierte American way of life wurde radikal in Frage gestellt. Freie Liebe in allen Formen, lange Haare, viel nackte Haut und die Ablehnung des Militärdiensts im Vietnam-Krieg sowie Drogenkonsum sorgten für Skandale.

© Tobias Witzgall

Ihr Rezensent befand sich von 1967, das als „summer of love“ in die Geschichte einging, bis 1968, als das Musical Hair am Broadway herauskam, als Austausch-Schüler in Chicago und bekam viel von dieser Bewegung mit. Unvergessen die Freude, als meine Gastmutter Maggie ihrem Sohn Monty und mir „Love-Jackets“ schneiderte, mit einem psychedelischen Muster indischer Prägung, in denen wir fortan bei Partys auftauchten. Dass dann immer auch eine Kette mit dem Peace-Symbol vom Hals baumelte, versteht sich von selbst. Trauriger die Nachrichten von Klassenkameraden, die im Senior-Jahr der High-School gerade dabei waren, ihr weiteres Leben zu planen, und plötzlich einen Einberufungsbefehl zum Militärdienst erhielten. Gar nicht wenige verbrannten öffentlich, aus Protest gegen den Vietnam-Krieg, die draft cards und emigrierten nach Kanada. Das ist auch das zentrale Thema des Musicals. Der junge Claude aus England, der auf der Suche nach dem Sinn seines Lebens ist, findet Anschluss in einer Hippie-Gruppe und beginnt, nach anfänglichen Zweifeln, an ihren Idealen Gefallen zu finden und integriert sich immer mehr in dieses Aussteiger-Milieu. Als er aber den Einberufungsbefehl bekommt, entscheidet er sich letztlich doch dafür, ihm Folge zu leisten und dem Vaterland zu dienen, was ihm von den neuen Freunden nicht übelgenommen wird. Sie sind zwar durchaus auch missionarisch unterwegs, aber jeder ist seines Glückes Schmied.

© Tobias Witzgall

55 Jahre danach wieder einmal eine Aufführung des Musicals zu erleben, ist dennoch bedeutend mehr als nur eine nostalgische Angelegenheit. Es geht auch darum nachzuforschen, was davon heute noch von Belang ist. Die Salzburger Inszenierung von Andreas Gergen ist eine unerwartete Erfolgsstory. Sie kam im Vorjahr in der Felsenreitschule heraus, war heuer im Sommer am Deutschen Theater München zu sehen und hatte am 9. September, in einer neuen Fassung, Premiere im frisch sanierten Landestheater. Für einen Regisseur wie Andreas Gergen, der auf über 90 Inszenierungen von Opern, Operetten, Musicals und Schauspielen verweisen kann (was ihn zu einem geeigneten Leiter der Bühne Baden macht, die er im nächstem Jahr auch übernehmen wird), war es kein Problem, die außergewöhnlich breite Bühne der Felsenreitschule zu bespielen. Vor allem im ersten Akt, wo die heterogene Schar der Hippie-Gruppe – im Musical „tribe“ (Stamm) genannt – in einer Vielzahl von Aktionen, die rasch aufeinander, zum Teil auch simultan erfolgen, zu sehen ist, mag die Weite der Bühne geradezu ideal gewesen sein. Im Landestheater, wo das Raumangebot beengter ist (Bühne: Stefan Seitz), fällt es hingegen oft schwer, den Überblick zu behalten. Erst im zweiten Akt der von Andreas Ladvad-Geier besorgten Einstudierung der Wiederaufnahme, als die Kern-Gruppe, die von außen vermehrt durch Polizeieinsätze aus-, ein- und abgegrenzt wird, näher zusammenrückt, wirkt das Ganze fokussiert und nachvollziehbar. Dass ein Hippie-Musical zum Teil aber natürlich auch etwas chaotisch sein darf, steht außer Frage.

Noch bevor die eigentliche Handlung beginnt, stürmen Demonstrantinnen und Demonstranten der Friday for Future-Bewegung durch die Seiteneingänge in den Zuschauerraum, und machen mit Tafeln auf ihr Anliegen aufmerksam. Ein Fanal, das darauf hinweist, dass die Flower-Power-Mantras der 68er-Generation keine nachhaltigen Folgen hatten. Kein Wunder, dass die Mienen der Demonstranten zorniger und aggressiver sind als die sanften Parolen der Hippies. Auch die pazifistischen Ziele der Hippie-Bewegung haben sich nicht erfüllt. Gergen lässt Putin, von einer Loge aus, seine kriegerische Intervention in der Ukraine rechtfertigen. Martin Luther King kommt zu Wort und erzählt seine Vision einer Welt ohne Rassendiskriminierung. Auch das ein Traum, der noch immer nicht ganz eingelöst worden ist. Und da gibt es noch das schwarze Tribe-Mitglied, das berichtet, wie es als einziger Flüchtling den Untergang eines Rettungsbootes überlebt hat.

© Tobias Witzgall

Die großen Erwartungen und Versprechungen des innovativen Age of Aquarius (Wassermannzeitalter) wurden nicht eingelöst. Dass die Formel „Make Love, not War“ in der Lage sein sollte, die Welt tatsächlich friedlicher zu machen, kann man nur glauben, wenn man auf einem Trip ist und, wie es einmal im Musical heißt, unter Pilzen lebt und die Sonne isst. Dennoch ist es sinnvoll, das Hippie-Musical Hair aufzuführen, denn die Welt braucht Träumer, die ein friedvolles Leben nicht nur predigen, sondern es auch umzusetzen bemüht sind. Bei uns, anders als in Amerika, war die sanftmütige Hippie-Bewegung ohnehin nie sehr ausgeprägt. Es gab zwar ein paar „Gammler“, wie sie genannt wurden, aber in Europa wurden sie, ausgehend von Frankreich, bald von den politisch engagierten 68-er-Revoluzzern verdrängt, die dann den Weg durch die Parteienlandschaft antraten, um einmal als Realpolitiker in Turnschuhen Ministerämter zu übernehmen, nachdem sie ihren Idealen von einst abgeschworen hatten.

Nicht zuletzt ist eine Aufführung von Hair“ lohnenswert, weil Lieder, von „Aquarius“ und „Easy to Be Hard“ über „Good Morning Starshine“ bis hin zu „Let the Sunshine In“, vom Anfang bis zum Ende einen energiegeladenen und stetigen Strom abwechlungsreicher Musik liefern. Vom musikalischen Leiter Wolfgang Götz der achtköpfigen Band mit Verve interpretiert.

Denis Riffel ist ein charismatischer Berger, wie der Anführer des Stammes genannt wird. Immer in Bewegung, immer präsent und ohne Scheu vor Nacktheit und eindeutigen Posen. Familienmusical ist das keines, obwohl viele Eltern – es ist die Nachmittagsvorstellung – Kinder mitgebracht haben. Da wird im Nachhinein wohl einiges zu klären sein. Der sinnsuchende Simon Stockinger als nicht leicht durschaubarer Claude lässt die innere Unruhe, von der dieser junge Mann aus Manchester angetrieben ist, sichtbar werden.

Julia-Elena Heinrich überzeugt als freigeistige Sheila und brilliert in „Easy to Be Hard“ auch als Sängerin. Gute Leistungen erbringen auch Aaron Röll als Woof, Savio Byrczak als Hud, Sophia Gorgi als Jeannie und Nicola Kripylo als Crissy. Marco Dott sorgt als die Anthropologin Margaret Mead, eine historische Figur, für viel Lacher, tritt aber auch als Politiker, Offizier und George Washington markant in Erscheinung.

Die fließende Choreografie von Stephen Martin Allan bemüht sich um Ordnung im Chaos und setzt auf übermütige, psychedelische Momente. Die Kostüme von Aleksandra Kica sind bunt, wie es zu erwarten war, und zum Teil an die 60er Jahre erinnernd.

Das Rockmusical „Hair“ in Salzburg ist ausgelassen und wild, zeigt aber auch eine Zeit, in der die Menschen Angst vor der Zukunft haben und sich fragen, wie es weiter gehen wird. So war es 1967/68, und so ist es auch heute. Vor allem aber gibt es die hoffnungsfrohe Botschaft, dass der Wunsch nach Frieden, Liebe und Glück weiterhin bestimmend ist: „Let The Sunshine In.“ Lang anhalender Beifall.

Manfred A. Schmid, 4. Januar 2024

Besonderer Dank an unsere Freunde vom MERKER-online


Hair
American Tribal Love-Rock-Musical
Galt MacDermot

Salzburger Landestheater
30. Dezember 2023

Choreografie von Stephen Martin Allan

Trailer