Dresden: Gurrelieder

Zum Zweiten

Einen langer Entstehungsprozess von zehn Jahren wendete Arnold Schönberg auf, um sein spätromantisches Monumentalwerk GURRE-LIEDER zu komponieren. Spannend ist dabei, dass der erste Teil in den Jahren 1900 – 1903 entstand und der zweite Teil, der eine wesentlich modernere Klangsprache fand, erst 1910 folgte. Die Uraufführung fand schließlich im Februar 1913 in Wien statt.

Der Schriftsteller Jens Peter Jacobsen verfasste zu diesem Werk die Textdichtung. Auf dem dänischen Schloss Gurre ereignet sich die mittelalterliche Liebestragödie zwischen König Waldemar und seiner Geliebten Tove. Diese wird ermordet, veranlasst durch Waldemars Frau, Königin Helvig.

Rache, Eifersucht und Leichenzug, erlebt und besungen aus der Perspektive der Waldtaube. Bis zum Mord ist der erste Teil ein einziges Wechselspiel einer sinnlich beschworenen großen Liebe zwischen Tove und Waldemar.

Im zweiten Teil steht der dem Wahnsinn nahe Waldemar, der den Tod seiner Geliebten beklagt und dabei die Auferstehung der Toten erfleht. Die „wilde Jagd“ beginnt mit rasselnden Ketten und furios beinahe gröhlendem gewaltigen Männerchorgesang.

Klaus-Narr reflektiert das Geschehen in grotesker Weise. Dann beschreibt ein Sprecher das wunderbare Erwachen der Natur, gipfelnd in dem gewaltigsten Sonnenaufgang, den es in der Musik überhaupt gibt. Schönberg öffnet hier alle dynamischen Schleusen, führt den achtstimmigen Riesenchor nun erstmals mit den Frauenstimmen zusammen und das gewaltige Orchester errichtet mit den Gesangsstimmen eine orgiastisch anmutende riesige Klangkathedrale, die den Zuhörer in ein akustisches Paradies führt. Was für ein unüberbietbarer musikalischer Abgesang auf die Spätromantik!

Arnold Schönberg fordert von seinen Gesangssolisten außerordentliche Leistungsfähigkeit.

Camilla Nylund gab eine stimmlich starke Tove, die mit sinnlichem Timbre und herrlich aufblühender Höhe sehr für sich einnahm. Die Stimme floß ruhig auf dem Atem und wurde von ihr mit großer Souveränität geführt.

Der erfahrene Stephen Gould agierte als Waldemar kraftstrotzend mit sicherer Höhe. Wissend gestaltete er den Text und konnte vor allem auch in den Pianofärbungen bei „Du wunderliche Tove“ begeistern. Überzeugend konnte er die emotionale Entwicklung vom Liebenden zum Leidenden vermitteln.

Bewegend und tiefgründig wurde das Lied der Waldtaube von Mezzosopranistin Christa Mayer vorgetragen. Warmstimmig, raumgreifend im Klang und sicher in der Höhe war ihre Stimme zu vernehmen.

Mit messerscharfer Diktion gefiel Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Klaus-Narr, ebenso wie der kurzfristig eingesprungene Markus Marquardt als Bauer.

Ein besonderer Höhepunkt war freilich die Szene des Sprechers, die durch den großartigen Franz Grundheber so besonders eindrücklich geriet. Jede Silbe erhielt von ihm eine Bedeutung, eine Aura, die dem abschließenden Chorfinale eine perfekte Vorlage bot. Beim finalen „Erwacht, ihr Blumen zur Wonne“ wechselte er in den gesungenen Tonfall und demonstrierte, wie zeitlos, wie stark und in Takt sein herrlicher Bariton auch in seinem hohen Alter noch ist.

Die beide Chöre (MDR Rundfunkchor und der Sächsische Staatsopernchor Dresden) lieferten ebenfalls eine besondere Leistung ab. Wunderbar geschmeidig im Zusammenklang und bestens wortverständlich.

Am Pult der Staatskapelle Dresden, ergänzt durch Musiker des Gustav Mahler Jugendorchesters, stand Christian Thielemann.

Es gelang ihm eine packende Aufführung dieses anspruchsvollen Werks. Vorzüglich wahrte er die dynamische Balance, bestechend umgesetzt durch Transparenz und fein differenzierte Klanglichkeit. Da schillerte es fortwährend und die Musik erzählte in endlos vielen Farbverläufen. Die Klangqualität war in allen Gruppen des riesenhaften Orchesters ausgezeichnet. Thielemann ließ die Musik atmen, war immer um das Wohl seiner Sängerinnen und Sänger bemüht, und ließ es zuweilen im Orchester beherzt aufrauschen. Thielemann musizierte ganz im Geiste der Spätromantik, was diesem herrlichen Werk zu größter Wirkung verhalf.

Es war eine überwältigende Hörerfahrung dieses so außergewöhnlichen Konzertes. Das Publikum war begeistert und applaudierte frenetisch.

Dirk Schauß, 12.3.2020