György Ligeti
3. November 2019
Apokalypse light- Vom Weltuntergang, der nicht stattfand
In Breugellande sind die Mitmenschen glücklich, entfalten das Abenteuer und berauschen den Tod, halten ihn für tot. Aber der Tod war ein Verrückter, der sie in einen vermeintlichen Weltuntergangtreiben möchte. Tot vor Angst die Gottlosen, überleben die Glücklichen und zwei Liebende, die die Welt neu gestalten werden. Alles endet in der erdig, blumigen Farce des frankophonen Dramatikers flämischer Herkunft „Le Balade du Grand Macabre“ Michel de Ghelderodes (1898-1962) mit dem Sieg des Lebens und der Hoffnung. Aus dem Nachbarlande ahnte der Dichter 1934/35 im „noch-Aufstieg der Macht des Faschismus“ noch nicht, was sich in Deutschland tatsächlich zusammen braute. So richtet der Dramatiker sich zwischen Groteske und Entsetzen „an einfache Seelen“ und bezieht sich auf die „Apokalypse“ Pieter Bruegels des Älteren.
Der 1931 in Danzig geborene schwedische Schauspieler und Puppenspieler Michael Meschke formte mit dem österreich-ungarischen Komponisten György Ligeti (1923-2006) aus der Mischung von hintersinnigem mittelalterlichem Mysterienspiel sowie absurdem Theater für diesen ein Libretto zur „Anti-Anti-Oper“ „Le Grand Macabre“. Die 1978 in Stockholm unter dem Eindruck der Drohung einer atomaren Katastrophe als Weltuntergangsgroteske erstaufgeführte, betont agitatorische Fassung, wäre vierzig Jahre später angesichts der breiteren Existenzbedrohungen im „soundsovielten Jahrhundert“ zu eng gefasst, so dass Ligeti 1996 eine Überarbeitung vorlegte, die aktuellere ganz individuell vom Menschen selbst gemacht Bedrohungen des Lebens, ins Visier nehmen.
Calixto Bieto hatte Ligetis Anti-Anti-Oper 2011 in Freiburg als sexuell überhöhtes Welttheater auf die Bühne gebracht. Für seine Dresdner Inszenierung waren ihm zwei kreative Damen zur Seite gestellt: die Schweizer Videokünstlerin Sarah Derentinger und die Bühnenbildnerin Rebecca Ringst. Die Bühnenbildnerin stellte Bieto eine Bungee-Anlage mit einer beeindruckenden Erdkugel auf die Bühne, während die Video-Expertin uns Erläuterungen, assoziative Erklärungen oder surrealistische Ergänzungen auf die Fläche der Kugel projizierten ließ. Meine Hoffnung, dass die Erde zum Finale die Spirale herab rollen werde, erfüllte sich allerdings nicht.
Was sollte auch der Höllenfürst tun, wenn er extra einen Kometen mit der Zielrichtung Erde organisiert hatte, sich aber die Bewohner im Breugelland kaum so recht für die drohende Apokalypse interessierten. Das lesbisch-flippige Paar Amanda-Amando ignoriert die Drohung und widmeten sich unbeeindruckt seiner Leidenschaften, die sadistisch-nymphomanische Gattin des Hofastrologen Astradamor verhindert, dass jener den Kometeneinschlag richtig prognostizieren kann.
Die koalitionären Minister streiten über Steuererhöhung, statt Maßnahmen zum Katastrophenschutz vorzubereiten und ihr Fürst gibt eine jämmerlich-klagende Figur ab. Selbst der Chef der „Geheimen Staatspolizei“ eruiert nur mit einem verzweifelten Klagegesang und Selbstmorddrohungen. Unentwegt wird weiter konsumiert und gefeiert, so dass die Protagonisten Nekrotzar, Astradamors und Piet vom Fass in ihrer Fassungslosigkeit mittranken, so dass der Höllenfürst nicht in der Lage war, die Welt zu zerschmettern. Vom Kometen blieb nur ein bedrohlicher Schein und „der Große Macabre“ schlich blamiert von dannen. Piet und der Astrologe haben Durst, das Paar hat von all dem nichts mitbekommen und so steht am Schluss: “Fürchtet den Tod nicht, gute Leute. Lebt so lang in Heiterkeit“.
Mit kurzweiligen Bildern und ohne Holzhammer hält Calixo Bieto so uns einen Spiegel vor, wie die Menschheit die Bedrohungen der Zeit regelrecht ignoriert.
Etwa einhundertfünf Minuten Ligeti- Musik. Omer Meir Wellber entfaltet mit den bestens aufgelegten Musikern der Staatskapelle sowie ihrem höchst unorthodoxen Instrumentarium im Graben und von den Rängen einen wahren Höllenspektakel; Schlagwerk-betont, und vor allem laut. Ligetis Vorgaben, mit ihrer großen Vielfalt von Klängen, Geräuschen, ein Gemisch von Anklängen an die Tradition und Parodien, wurden immer synchron mit der Bühne umgesetzt.
Stellenweise wurde die Zwölftonmusik ins Lächerlichere gezogen, aber auch Bach, Beethoven, Rossini, Schubert oder Monteverdi wurden zitiert. Verwobene Ensemble-Rhythmen, haarsträubende Koloraturen und häufiger Wechsel von der Bruststimme ins Falsett, verlangten den Akteuren musikalische wie darstellerische Höchstleistungen ab, ohne dass Wellber auch nur einen Moment das Heft aus der Handzugeben bereit war.
Eine Idealbesetzung des Höllenfürsten Nekrotzar war mit Markus Marquardt gelungen. Seine breite Gestalt, die schneidend markante Bassbariton-Stimme, das furchteinlösende Spiel des tragisch-versagenden Weltzerstörers war schon beeindruckend.
Wer Gerhard Siegel einmal als Mime erleben durfte, wird nicht erstaunt gewesen sein, wie er sich mit seinem „Piet vom Fass“ als feixend feucht fröhlicher Helfershelfer eine tragende Position in der Premiere schaffen konnte.
Als Hofastrologe Astradamors war der norwegische Bassist Frode Olsen vergleichsweise spät in die Inszenierung einbezogen worden. Allerdings verfügt er bereits seit der Erstaufführung über Erfahrungen mit der Verkörperung dieser Partie. Seine Darstellung der sodomitischen Ehehölle mit der Mescalina von Iris Vermillon und der Gegensatz als Unheilverkünder am Hofe des wankelmütigen Prinzen Go-Go waren beeindruckende Kabinettsstücke.
Dass Iris Vermillon ihren dunkel samtigen Mezzosopran auch triebgesteuert und beeindruckend locker einsetzen konnte, mag doch einige Dresdner Besucher ob der hochprofessionellen Leistung abseits des Gewohnten verwundert haben. Nicht unerwähnt sollten die etwas androgyne Gestalt des unentschlossenen Prinzen Go-Go des Altus Christopher Ainslie mit seiner wunderbar extravaganten Stimme sowie seiner Minister-Riege Aaron Pegram und Matthias Henneberg mit ihren Darstellungen der Koalitionäre bleiben. Auch Wooram Lim als Schobiak und Markus Brühl als Schabernack gehören mit ihren kurzen Auftritten der Erwähnung.
Eine bravouröse Glanzleistung bot die israelische Sopranistin Hila Baggio mit der halsbrecherischen Koloraturarie des Chefs der Geheimen Politischen Polizei Gepopo. Eine verzweifelte Tortur, in der die Panik des drohenden Kometeneinschlags, sprich einer Revolution zu spüren war, atemberaubend serviert wurde. Ihre spielerische Leistung und der klare Tonfall passten hundertprozentig zum manischen Charakter der Figur. Weniger auffällig war ihre Zweitrolle als doch etwas flippige Venus im ersten Akt.
Zu den musikalisch und spielerisch beeindruckenden Höhepunkten des Abends gehörten zweifelsfrei die Passagen des lesbisch umgedeuteten Paars Amanda der Katarina von Bennigsen und Amando der Annelie Sophie Müller mit ihrem „Schnee war ich, doch bin ich zerflossen“ und dem berührenden Abschlussduett, eine wohl selten glückliche Kombination zweier noch junger Stimmen.
Der Chor von Jan Hoffmann situationsgerecht vorbereitet, intonierte aus einem Seitenrang mutig auf bestürzende Weise, wie gepresst und wütend gesungen werden kann, wenn die Partitur und Regie es so wollen.
Eine Fülle von musikalisch-darstellerischen Regieeinfällen ließ keinen Leerlauf aufkommen und machte den Abend zu einer Besonderheit für den Spielplan des Hauses.
Im Verlaufe der Vorstellung verließen kleinere Gruppen demonstrativ den Raum. Die Verbliebenen allerdings feierten die Agierenden und das Inszenierungsteam begeistert.
Bilder (c) Semperoper
Thomas Thielemann 4.11.2019