Dresden: Mozarts „Zauberflöte“ aus kindlicher Perspektive

Josef E. Köpplinger inszenierte unter gelockerten Bedingungen- erlebte aber eingeschränkte Premierenbedingungen

Premiere am 1.11.2020

Mit einer Presse-Aussendung hatte die Semperoper am 30. September 2020 mitgeteilt, dass in Anbetracht des begrenzten Corona-Infektionsgeschehens im Bundesland Sachsen ab dem November die in adaptierten Fassungen angebotenen Opern- und Ballettvorstellungen zwar unter Berücksichtigung geltender Hygiene-Maßnahmen, aber in nahezu voller Länge zur Aufführung kommen werden. Dazu sollten ein erweitertes Sitzplatzangebot, Pausen sowie die Öffnung des Garderobenservices und der gastronomischen Einrichtungen einen weiteren Schritt in Richtung einer Normalität erbringen. Den Auftakt dieser lang erwarteter Entwicklung könnte am 1. November die Premiere der Inszenierung Wolfgang Amadeus Mozarts „Die Zauberflöte“ von Josef Ernst Köpplinger in der vollen Länge bieten. Nun hatte sich seit der ersten Oktober-Dekade das Infektionsgeschehen auch im Freistaat derart rasant entwickelt, dass inzwischen auch in Sachsen der „Wellenbrecher-Lock Down“ zu praktizieren ist. Damit wurde für die Premiere die Besucherzahl wieder mit 331 Personen begrenzt und die Aufführungsdauer von 180 auf 125 Minuten eingedampft. Auch erfolgte die Aufführung ohne Pause sowie ohne die sonstigen angekündigten Verbesserungen.

Es blieb zum Glück die Verortung der etwas mehr als dreißig Orchestermusiker der Staatskapelle mit dem musikalischen Leiter Omer Meir Wellber im Graben, so dass ein „normaler Klangeindruck“ gesichert blieb.

Wolfgang Amadeus Mozarts bekannteste Oper „Die Zauberflöte“ wird oft als eine Mischung von Opera Seria, Opera Buffa und Singspiel abqualifiziert. Tatsächlich hat der Librettist und Theaterpraktiker Emanuel Schikaneder (1751-1812) dem Komponisten mehr als eine grobe Mischung aus Zaubermärchen, Maschinentheater sowie volkstümlicher Komödie, die er mit den Mysterien der Freimaurer anreicherte, vorgegeben. Natürlich bat der Theaterdirektor Schikaneder das befreundete Musikgenie Mozart vor allem um die Komposition eines erfolgversprechenden Beitrags für die finanzielle Sanierung seines „Vorstadttheater auf der Wieden“. Da das Theater mit dem Singspiel „Oberon“ von Paul Wranitzki (1756-1808) bereits im Jahre 1790 großen Erfolg gehabt hatte, schlug Schikaneder dem Freund vor, den vergleichbaren Quellen, den Märchen der Sammlung des Christoph Martin Wieland (1733-1813) „Dschinnistan“ zu folgen. Ausgewählt wurde das Werk „Lulu oder Die Zauberflöte“ des Wieland-Schwiegersohns August Jacob Liebeskind (1758-1793). Verwoben wurde diese Vorlage mit Motiven der gleichfalls in der Sammlung enthaltenen Märchen von Friedrich Hildebrand von Einsiedel (1750-1828) „Das Labyrinth“ und „Die klugen Knaben“ sowie mit weiteren zeitgenössischen Werken unter anderem von Matthias Claudius (1740-1815).

Die Sammlungen sind vor allem in den 1780er Jahren in Weimar im Umfeld von Goethe und Herder, als Wieland von der Herzogin Anna Amalia als Erzieher ihrer Söhne nach Weimar berufen worden war, entstanden. Mit den literarischen Vorlagen waren der „Zauberflöte“ bereits sozialethische Grundsätze von Schönheit, Weisheit und Stärke vorgegeben. Als „Freimaurer“ kombinierten die Schöpfer des Werkes deren Gedanken der Einheit von Humanität, Liebe, Bildung und Pathos. Des Weiteren sind Anklänge der Bewegung des fiktiven Christian Rosencreutzer, der mit einer kontinuierlichen Reformierung von Wissenschaft, Ethik und Glaube der Entfremdung zwischen Wissenschaft und Christlicher Kultur vorbeugen wollte, in das Libretto eingeflossen. In den Text sind leider auch Aspekte von Frauenfeindlichkeit und Rassismus eingegangen.

In seiner Inszenierung übertrug Josef E. Köpplinger den Kindern, diese massiven Vorgaben mit ihrer Sicht auf die Entwicklung der Hauptfiguren zu reflektieren. Das sorgfältig vorbereitete Konzept konnte in der gekürzten Fassung nach meinem Empfinden vollständig umgesetzt werden. Der jugendliche Tamino gerät in die „Wildnis des Lebens, verstrickt sich, gerät in die Gefahren einer Schlange, der drei Damen der Königin der Nacht und wehrt sich.

Das Folgende geschieht in seiner Fantasie: auf der Bühne ist immer etwas los. Köpplinger gelingt dank seine Einfälle und der glänzenden Personenführung ein abwechslungsreiches Spektakel. Es wechseln Anleihen bei den Symbolisten mit mystischen Aspekten. Nicht alles ist neu, wäre auch bei der Fülle von Inszenierungen der Oper verwunderlich, ist aber immer gekonnt, unterhaltsam und logisch in das Bühnengeschehen eingebaut. Die schlüssige Entwicklung der Tamina vom aufmüpfigen Teenager zur Tamino-Gefährtin und des Tamino vom naiven, von der Königin manipulierten, Knaben zum Kandidaten der Sarastro-Nachfolge war schlüssig eingebunden. Logisch dass sich am Schluss das Paar nicht in die frauenfeindliche starre Männergesellschaft einbinden lässt und fröhlich in eine selbstgestaltete Zukunft abgeht. Ohne erhobenen Zeigefinger postuliert Köpplinger unsere modernen Auffassungen zum Verhältnis der menschlichen Gesellschaft zur Natur, schon weil diese Gedanken der Rosenkreuzer-Bewegung im Libretto Schikaneders angelegt sind.

Musiziert und gesungen wurde auf hohem und höchstem Niveau. Mit seiner musikalischen Leitung gelang es Omer Meir Wellber der Mozart-Komposition eine besondere Intensität abzugewinnen. Sein faszinierender Ansatz war kraftvoll und dynamisch, die Tempi ausgewogen, ohne in sterilen Perfektionismus zu verfallen. Sein hervorragend gutes Verhältnis zu der hervorragenden Musiker-Besetzung der Staatskapelle blieb deutlich spürbar. Auch standen Wellber überwiegend großartige Sängerinnen und Sänger zur Verfügung, die er auf das Vollkommenste einzubinden verstand. Allen voran, der in seiner Heimatstadt lange vermisste René Pape, der als der Sarastro unserer Tage gilt. Dem Sarastro, den er seit 1988 im Repertoire hat, gab er Kraft seiner wundervollen Bassstimme Prägnanz und milde Autorität, aber eben auch Statik.

Dieser über dreißigjähriger Rollenpraxis stand das Rollendebüt von Nikola Hillebrand in der dem Sarastro ambivalenten Rolle der Königin der Nacht. Die Gastsängerin vom Mannheimer Nationaltheater brillierte mit einem hell strahlenden Sopran und sicherer differenzierter Gestaltung der Partie, während das Paar Pamina und Tamino mit jugendlicher Frische aufwartete. Die 2015 aus Finnland ins Hausensemble gekommene Tuuli Takala kam, nach ihrem Berliner Ausflug als Königin der Nacht, mit der Pamina sowohl im Gesang, als auch der Darstellung mit ihrer Natürlichkeit als rebellierender Teenager und andererseits mit ergreifender menschlichen Tiefe hervorragend zurecht.

Dem Tamino hatte die Regie den größten Spannungsbogen der Entwicklung vom Knaben zum würdigen Beinah-Nachfolger des Sarasto zugeordnet. Der amerikanische im Hausensemble Tenor Joseph Dennis aus dem Hausensemble, eigentlich erst in der Zweitbesetzung als Tamino vorgesehen, überzeugte mit positiver rustikaler Ausstrahlung.

Das Buffo-Paar Papagena und Papageno war den Ensemblemitgliedern Katerina von Bennigsen und Sebastian Wartig anvertraut worden. Dem komödiantischen Talent der Sopranistin blieben nur die Szenen mit dem „alten Weib“ und das Pa-Pa-pa-Duett, während Sebastian Wartig seinem „Affen ordentlich Zucker“ geben konnte. Auch mit seinem Gesang wusste er zu begeistern.

Als besonders widerwärtiges Trio der Damen der Königin, aber mit hervorragender Gesangskultur, boten die Sopranistinnen des Ensembles Roxana Incontrera und Stepanka Pucalkova sowie die Mezzosopranistin Christa Mayer ihre Auftritte. Archaisch hingegen die Beiträge der Geharnischten von Jürgen Müller und Matthias Henneberg. Statisch wie von der Regie angelegt, kamen die Priester Mateusz Hoedt und Gerald Hupach mit beeindruckenden Stimmen über die Bühne. Dazu wirkte auch prachtvoll der auf vierundzwanzig Sänger ausgedünnte Chor. Von Simon Espers Monostatus-Texten waren nur Teile den Streichungen entgangen. Vollständig hingegen konnten die drei routinierten Knabensoprane vom Tölzer Knabenchor in die Handlung eingreifen.

Mit der begeistert aufgenommenen Inszenierung von Josef E Köpplinger erhält das nicht gering an den Erfordernissen der Besucher der Stadt orientiertem Repertoire der Semperoper eine prachtvolle Ergänzung. Dabei wäre zu überlegen, ob nicht auch, wenn die Corona-Einschränkungen abgeklungen sein sollten, die gestraffte Fassung des Premierenabends den Erfordernissen des geringer opern-affinen Teiles des Publikums besser entgegenkommt.

Bilder (c) Ludwig Olah

Thomas Thielemann 4.11.2020