Dresden: Nachtragskonzert mit Sol Gabetta

im 11. Symphoniekonzert der Dresdner Staatskapelle

Robert Schumann und Peter Tschaikowski mit Myung-Whun Chung

Als Robert Schumann (1810-1856) im September 1850 mit seiner Frau Clara geborene Wieck (1819-1896) und den vier Kindern in Düsseldorf eintraf, um die Nachfolge Ferdinand Hiller s als Städtischer Musikdirektoranzutreten, hatte er in seinem „Projektenbuch“ die Skizze eines „Konzertstücks für Cello“ im Gepäck.

In Dresden hatte er zwar die schaffensintensivste Zeit seines Lebens gehabt, rund ein Drittel seines Gesamtwerkes war in den sechs Jahren seines Aufenthaltes in der Landeshauptstadt entstanden, aber es hatte sich keine Möglichkeit einer Festanstellung für den Komponisten als Hofkapellmeister ergeben. Auch in Leipzig hatte sich eine Nachfolge Felix Mendelssohn Bartholdy s als Gewandhauskapellmeister nicht realisieren lassen.

Folglich ergriff der Sachse Schumann die Chance ins Rheinland zu gehen.

Dort erlebte er zunächst einen regelrechten Schaffensrausch. Innerhalb von vierzehn Tagen schrieb Schumann mit dem a-Moll-Cellokonzert ein Werk mit neuer ungewohnter Verwebung von Solisten und Orchester. Er brach mit den Gepflogenheiten der zeitgenössigen Virtuosen-Konzerte, die hauptsächlich die Präsentation der brillant, bravourös aufspielenden Solisten beinhalteten, um andere musikimmanente Ansprüche zu erfüllen.

Nicht unproblematisch für Schumann s Behandlung der Solo-Stimme erwies sich, dass er kein Cello spielte und sich weder mit der Spieltechnik noch mit dem Klang des Instrumentes gut auskannte. Deshalb stehen in der Solopartitur Passagen von bezaubernder Poesie in scharfem Kontrast zu technisch extrem schwierigen Stellen, die eigentlich für das Cellospiel völlig ungeeignet sind. Auch hatte Schumann in der Orchesterpartitur die tiefe Tonlage des Cellos nicht unbedingt berücksichtigt, so dass der Dirigent einige Mühe aufwenden muss, wenn das Orchester den Solisten nicht überdecken soll.

Für die Uraufführung seines Cellokonzertes hatte Robert Schumann den befreundeten in Frankfurt tätigen Cellisten Robert Emil Bockmühl (1812-1881) vorgesehen. Der Virtuose war auch an der Mitwirkung interessiert, drängte aber Schumann in mindestens 26 Briefen zu Änderungen. Die lediglich sechs Antwort-Briefe Schumanns sind zwar nicht erhalten geblieben, dürften aber seine Beharrung auf die Begrenzung der Virtuosität der Solostimme zu Gunsten der intensiveren musikalischen Aussage des Werkes beinhaltet haben. Auch lassen Bockmühl s weitere Vorstöße vermuten, dass Schumann auf einer thematischen Einbindung der Solostimme in das Klangbild als Ersatz der überbordeten Virtuosität einforderte.

Der als menschlich schwierig geltende Bockmühl hielt sich in den Jahren von 1852 bis 1854 sogar in Düsseldorf auf und half bei der Vorbereitung der Drucklegung des Opus 129, verweigerte aber seine Mitwirkung bei einer Konzertaufführung. Ein internes Anspielen des Konzertes durch den Düsseldorfer Cellisten Christian Reimers im März 1851 in Anwesenheit des Komponisten ist nicht verbürgt. Andere Cellisten zierten sich, so dass Schumann „zur Sicherung seiner musikalischen Einfälle“ sogar eine Fassung für Violine vorbereitete.

Im Konzert hat Robert Schumann sein Cello-Konzert nie hören können.

Im Pandemie-Kartenstapel der ungenutzten Tickets findet sich bei uns für das 10. Symphoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle am 30. April 2020 das Schumann-Cellokonzert mit der Solistin Sol Gabetta und dem Dirigenten Christian Thielemann. Frau Gabetta war in der Saison 2019/2020 als „Capell-Virtuosin“ des Orchesters nominiert, konnte aber lediglich im September 2019 mit dem Violoncello Konzert Nummer 1 von Camille Saint-Saëns brillieren. Die gesamte restliche Planung ihrer Residenz-Wirkung waren Opfer der Pandemie geworden.

Unser Konzert von Schumanns Opus 129 der Staatskapelle mit dem Violoncello-Solo der Sol Gabetta und dem Dirigat von Myung-Whun Chung war letztlich eine Nachlieferung aus den Pandemieopferungen.

Mit ihrer Interpretation des a-Moll-Konzertes bewies die Solistin nicht nur, dass sie über außergewöhnliche cellistische und musikalische Fähigkeiten verfügt, sondern auch Schumann s emotionalen Zustand der Entstehungszeit des Werkes spüren lässt.

Sie spielte die großzügige Romantik des langsamen Mittelsatzes nahtlos mit einer langen lyrisch getragenen Melodie, ließ diese Poesie auch in die Ecksätze hineinfließen. Deren scharfe Konturen rundete sie mit stimmlicher Sensibilität und vermittelte ihr Gefühl für die ausgeglichene Dynamik der Musik Robert Schumanns.

Nicht unwesentlich am Klanggeschehen war der Beitrag des in der Venezianischen Werkstatt Matteo Gaffriller (1659-1742) gebauten Instrumentes. Als Matheus Goffriller bei Brixen geboren, hatte den Instrumentenbau in Bozen erlernt, war wahrscheinlich 1685 nach Venedig gegangen und hatte die Werkstatt seines Schwiegervaters zur führenden „Cello-Schmiede“ entwickelt. Das von Sol Gabetta gespielte Instrument stammt aus der Spätphase des Schaffens Goffrillo s wahrscheinlich um 1730. Das ausdrucksstarke, aber nicht aggressive Instrument konnte die Solistin sowohl auf die Spitze getrieben voller Energie spielen, erlaubte ihr dabei auch, den Klang mit faszinierender Zartheit zu gestalten.

Der Erste Gastdirigent der Staatskapelle Myung-Whun Chung steuerte die Struktur mit meisterhaftem Können, indem er Solistin und Orchester als gleichberechtigte Partner austarierte. Die große Streicherbesetzung des Orchesters konnte die Bläser hervorragend einhegen und so einen runden Klang sichern.

Als Zugabe zupfte Sol Gabetta das „Capriccio Nr. 5“ von Fernand Dall´Abaco.

Als Pjotr Tschaikowski (1840-1893) im Herbst des Jahres 1892 Teile eines Symphonieentwurfs vernichtet hatte, weil er im Notenmaterial wenig Erfreuliches, nur leeres Spiel der Klänge und wenig Inspiration eingebracht zu haben meinte, reifte bei ihm der Wunsch, ein programmatisches, wahrhaftiges Werk zu schaffen.

Tschaikowski arbeite an dieser, seiner 6. Symphonie vom Beginn des Jahres bis zum August 1893. Am Beginn sei die Arbeit sehr rasch vorangegangen. Zunehmend kam er aber von der Idee einer Programm-Symphonie mit den Sätzen „Tod“-„die Liebe“-„Enttäuschung“ und „Ersterben“ ab.

Bei der Deutung, ob bei der Arbeit am vierten Satz der Symphonie bereits Todesahnungen beim Komponisten eine Rolle gespielt haben, müssten wir uns nur an den vielgestaltigen Spekulationen um Tschaikowskis Ende beteiligen? Ob es schon Anzeichen auf das Drängen auf einen Suizid oder eine Vorahnung gegeben haben mag?

Der zwar nicht vom Komponisten stammende, von ihm aber akzeptierte Titel „Pathétique“ (etwa Leidenschaftlich) passt bei nüchterner Betrachtung letztlich nur zum vierten Satz und kaum zum Gesamtwerk.

Der mit dem Orchester bestens vertraute Erste Gast-Dirigent der Sächsischen Staatskapelle Mung-Whun Chung bot uns eine ausgereifte und geschärfte Version der im Laufe der Jahre oft gehörten Komposition. In jedem Satz gab es Passagen zu bewundern, die sowohl im Detail, als auch mit emotionaler Intensität beeindruckten.

Mit dem Adagio-Kopfsatz vermied Chung ein Abgleiten in eine depressive Stimmung, schuf mit eindrucksvollen Klangfarben ein reizvolles Wechselbad der Gefühle und scheute sich nicht, auch einen regelrechten Hexensabbat zu entwickeln.

Entspannter interpretierte er den an Walzerklänge erinnernden zweiten Satz, bevor er nach dem leise huschenden Scherzo den dritten Satz mit überbordendem Temperament und Begeisterung fast wie einen Marsch spielen ließ.

So fiel dann der stille Übergang zum herzzerreißendem langsamen Finalsatz nicht unproblematisch aus. Aber das Wunder der Transformation zu den vermeintlichen Wünschen, Ängsten, Qualen und Träumen Tschaikowskis gelang.

Die Struktur der Klangbewegung löste sich zunehmend auf, drohte zu verreißen bis die letzten Takte zur vermeintlichen Lösung führten.

Leuchtkräftige Orchesterfarben, warm sonorer Streicherklang, dunkel goldener Ton der Blechbläser und poliertes Kolorit der Holzbläser hatten eine feierliche Atmosphäre geschaffen. Mit der vorherrschenden Zartheit und Transparenz öffnete das Orchester im Einklang mit dem Dirigenten uns den Zugang zu Tschaikowskis Seelenklang seiner letzten Lebenszeit.

Thomas Thielemann, 13.6.22

© Matthias Creutziger