Der zweite Geniestreich des Dmitri Schostakowitsch
Derzeit gaben die Auswüchse der parlamentarischen Demokratie, des Rechtsstaates, des Datenschutzes sowie des Genderwahnsinns ausreichende Voraussetzungen zu bösen Aktualisierungen des Sujets.
Für Petr Popelka war der Premierenabend seine erste Musikalische Leitung im Semperbau. Mit den Musikern der Sächsischen Staatskapelle gelang ihm eine konsequent-lockere Umsetzung der bissig-komplexen Partitur Dmitri Schostakowitsch s. Hatte doch dieser mit jugendlicher Unbekümmertheit durcheinander gewirbelt, was ihm so eingefallen war: schräge Märsche, Tanzmusik, geistliche Gesänge und sarkastische Folklorismen. Das war alles mit ständigen Taktwechseln, waghalsigen Instrumentationen, beherzten Lautmalereien sowie atonalen Reibereien verbunden. Lustvoll wurden die musikalischen Grenzüberschreitungen ausgelebt.
Der Bariton Bo Skovhus sang und spielte den Kollegienassessoren Platon Kusmitsch Kowaljow mit unerbittlicher Ironie, dass dem Zuschauer das Lachen im Halse stecken blieb. Sein kaltes Entsetzen, seine existenzielle Verlorenheit und zugleich seine Unterwürfigkeit im Bemühen, seine Nase wieder zu bekommen, waren von Skovhus brillant auf die Bühne gebracht.
Der Chor von Singenden des Sächsischen Staatsopernchores, des Sinfoniechores Dresden und des Extrachores der Semperoper sowie die weiteren fünfzehn Solisten überwiegend aus dem Hausensemble agierten auf hohem Niveau.
Die Rollen verlangten überwiegend verfremdete Tongebungen bis hin zum Sprechgesang.
Neben der grandiosen Katerina von Bennigsen wären Jukka Rasilainen als Barbier Iwan Jakowlewitsch, Timothy Oliver als Diener Kowaljows, Aaron Pegram als „der liebe Gott“, Martin-Jan Nijhof als Doktor Jesus und als Mutter-Tochter Podtotschina Sabine Brohm mit Alice Rossi genannt.
Aber das ist schon wieder ungerecht, den Ungenannten gegenüber.
Das Libretto der Oper hatte der Komponist auf der Grundlage der gleichnamigen Novelle des Nikolai Wassiljewitsch Gogol(1809-1852) aus dem Jahre 1836 mit drei befreundeten Literaten erarbeitet: Jewgeni Samjatin (1884-1937), Arkadi Preis und Georgi Ionin. Der als Schriftsteller profilierteste des Quartetts ist zweifelsfrei Samjatin gewesen. Als Berufsrevolutionär war er 1905 an der Organisation der Matrosen-Meuterei auf dem Panzerkreuzer Potemkin beteiligt gewesen und war bis 1917 in britischer Emigration gewesen. Sein Hauptwerk über eine fiktive Gesellschaft, in der jede Individualität unterdrückt ist, der Gesellschaftsroman „Wir“ ist das erste Buch, welches in der UdSSR verboten worden war. Mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in der Sowjetunion der 1930-er Jahre konnte sich der Kommunist Samjatin letztlich aber nicht arrangieren, so dass er 1931 auf Anregung Maxim Gorkis (1868-1937) das Land verlassen konnte. In Paris ist er wenige Jahre später an den Folgen eines Herzinfarktes verstorben.
Ein weiterer des Autoren-Quartetts, Arkadi Preiss hat über das „Nasen-Libretto“ hinaus weiter mit Schostakowitsch gearbeitet und unter anderem das Libretto der Oper „Lady Macbeth von Mzenck“ verfasst.
Während in Gogols literarischer Vorlage die Kritik am zaristischen Überwachungsstaat den Kontext bestimmte, brachte das Opernlibretto vor allem das bürokratische System und das opportunistische Verhalten von Teilen der sowjetischen Gesellschaft um 1930 auf die Bühne.
Genauso wie Schostakowitsch s Jugend-Streich „Die Nase“ im Divergenz-Bereich der avantgardistischen Musik- und Theaterexperimente der 1930-er Jahre und der sich formierenden Kulturpolitik Stalinscher Prägung entstanden war, haben Verwerfungen unseres gesellschaftlichen Umfelds in die spritzigen Inszenierung gefunden.
Die handwerklich hervorragende Inszenierung mit ihren subtilen Personenführungen begann im ersten Teil fast klassisch, lebte zunächst von einigen eindringlich-beklemmenden Bildern und der wechselvollen Bühnenbauten Helmut Brades. Dazu gehörte ein mehrere Minuten dauerndes Intermezzo von neun Schlag-Instrumenten, zur Verdeutlichung der Verhörszene des Barbiers, ein absolutes Novum im Operngeschehen. Auch die von Katerina von Bennigsen und Bo Skovhus grandios umgesetzte Sturmbahn-Szene, ein Hinweis auf die neue Wehrhaftigkeit unserer Gesellschaft, gehörte dazu.
Was im ersten Teil schlaglichtartig aufkommt, entwickelte sich im zweiten Teil der Inszenierung zum Feuerwerk der Ideen. Ganze Teile des Geschehens einfach in den Himmel zu verorten oder gleich dem Teufel zu überlassen, war schon genialisch. Eine Wasserkanone, viel Grünes rundeten die aktuellen Bezüge und ließen den zweiten Teil zum Hochgeschwindigkeitstheater auflaufen.
Das Premieren-Publikum bedankte sich bei den Agierenden der Vorstellung und bei Peter Konwitschny sowie Helmut Brade mit frenetischem Jubel für den brillanten Opernabend.
© Ludwig Olah
Thomas Thielemann, 5.7.33