Seit mehr als 20 Jahren gibt es im Sommer in der unvergleichlichen Atmosphäre des historischen Braunschweiger Burgplatzes zwischen mittelalterlichem Dom und der Burg zu Füßen des Burglöwen eine Produktion des Musiktheaters, die dem Staatstheater regelmäßig die Kassen füllt. Dadurch werden viele angesprochen, die nicht zu den traditionellen Opern-Besuchern zählen; diesmal ist es mit „La Traviata“ eine der beliebtesten Opern von Giuseppe Verdi.
Und diese erfuhr jetzt eine gut gelungene, erfreulich konventionelle Neuinszenierung, die auf dem Burgplatz bei nicht mehr sommerlichen Temperaturen starken Eindruck hinterließ. Die junge Regisseurin Beatrice Müller, seit 2019 Regieassistentin am Staatstheater, hatte sich mit ihrem Team dazu entschieden, die emotionsgeladene Geschichte um die Edelkurtisane Violetta Valéry so wiederzugeben, wie es sich Giuseppe Verdi und sein bewährter Librettist Francesco Maria Piave gedacht haben – und das ist heutzutage keine Selbstverständlichkeit; einzige Veränderung war die Verlegung in die Mitte des 20. Jahrhunderts.

Bereits zum traurigen Vorspiel traten Violetta und in etwas Abstand Dr. Grenvil (Sungjun Cho) auf und machten deutlich, dass alles von ihrer todbringenden Krankheit beherrscht wurde. Anschließend wurde ihr durch Annina (Rowan Hellier) das prunkvolle Abendkleid angelegt; auch das festliche Buffet in der Mitte des sonst unmöblierten Bühnenrunds wurde vervollständigt (Bühne: Robert Schrag, Kostüme: Susanne Uhl). Dadurch, dass die zu bespielende Bühne nur mit Gitterstäben um den Sockel des Löwenstandbildes und die zu bespielende Fläche mit beweglichen Böden wie Blütenblättern versehen war, konnte man die wunderbare Musik stets ohne Ablenkungen genießen. Die Choristen traten in Schwarzweiß auf und boten so die Projektionsfläche für die drei farbig und mit weißen Anzügen (Alfredo und Vater Germont) gekleideten Hauptpartien. Eine gute Idee war, dass im 3. Bild, wenn Violetta in ihre Halbwelt zurückkehrt, alle genauso gekleidet sind wie im 1. Bild, wenn jetzt auch die Herren teilweise ohne Jackett und auch sonst etwas derangiert daher kommen, was zu der wirbeligen Stierkampfszene bestens passte.

Insgesamt wurde prächtig gesungen: Wie schon vor zwölf Jahren auf dem Burgplatz erlebte man Ekaterina Kudryavtseva in der Titelpartie. Sie faszinierte durch die wirklich anrührende Darstellung der liebenden und leidenden Frau. Ihr Sopran ist in den letzten Jahren fülliger geworden und überzeugte erneut mit sicherer Führung durch die lockeren Koloraturen und mit gut sitzenden Spitzentönen in ihrer großen Arie im 1. Bild sowie mit den in feinstem Belkanto ausgesungenen lyrischen Passagen im 2. Bild und in den letzten Szenen. Dezent machte sich die Regie bemerkbar, als Violetta sozusagen in ihr eigenes Inneres schaut und sich in diesem Moment die Blumenblätter im Bühnenboden zur großen Blüte öffnen. Überhaupt gelang es der Regisseurin, die Arien und Duette durch ausgesprochen geschickte Personenführung aufzulockern. Alfredo war als Gast von der Deutschen Oper Berlin der Russe Andrei Danilov, der den verliebten, etwas naiven jungen Mann glaubhaft gestaltete und mit schöner Linienführung und manchem Tenorglanz gefiel. Zacharia N. Karithi hat sich inzwischen zu einem Braunschweiger Publikumsliebling entwickelt, der Vater Germont eindringlich darstellte und seinen charakteristisch timbrierten Bariton mit viel Kraft versah.

In den kleineren Partien erwies sich wieder die Solidität des Braunschweiger Opernensembles und seiner Gäste; sie seien hier ohne Hervorhebung einzelner genannt: Es traten in der Premiere auf als Flora Jana Marković, Matthew Pena alsGastone, Dmitry Lavrov und Rainer Mesecke als Baron Douphol und Marchese d‘ Obigny; auch Mike Garling (Giuseppe) und Ross Coughanour (Diener Floras) waren dabei. Mit mächtigem Chorklang und lebendigem Spiel präsentierte sich der von Johanna Motter einstudiert Chor des Staatstheaters. Die musikalische Gesamtleitung lag in den bewährten Händen von GMD Sraba Dinić, der das blendend aufgelegte Staatsorchester zu Bestleistungen animierte und der mit anfeuernder, aber auch wie stets präziser Zeichengebung für einen großartigen Gesamteindruck sorgte.
Das Publikum im ausverkauften Arenenrund war hellauf begeistert und spendete kräftigen Beifall, der sich bei den drei Protagonisten deutlich verstärkte und sich bei Ekaterina Kudryavtseva und Sraba Dinic zu Ovationen steigerte.
Gerhard Eckels, 24. August 2025
La Traviata
Giuseppe Verdi
Staatstheater Braunschweig
Open air auf dem Burgplatz
Premiere am 23. August 2025
Musikalische Leitung: Sraba Dinić
Inszenierung: Beatrice Müller
Staatsorchester Braunschweig
Weitere Vorstellungen: täglich außer montags bis 10. September 2025