
Im März 2021, zur Zeit der Theatersperren wegen der Covidepidemie, hatte die Scala Brecht-Weills „Sieben Todsünden“ und „Mahagonny-Song“ von Irina Brook inszenieren lassen und als Streaming herausgebracht. Eine Handvoll Journalisten durfte von der Galerie aus dabei sein (wir hatten damals darüber berichtet). Zur Komplettierung des Abends waren der Regisseurin nun auch „The Songs of Happy End“ anvertraut worden. „Happy End“ ist ein Musical aus der Zeit, als Brecht in Amerika Fuß zu fassen versuchte, von Weill stilgerecht in zündende Broadwaymelodien verpackt. Die dem Stück zugrunde liegende Liebesgeschichte zwischen einer Schwester der Heilsarmee und einem Gauner ist dramaturgisch allerdings so schwach, dass hier auf sie verzichtet wurde und die Songs vom Personal der anderen Stücke ohne Zwischentexte interpretiert wurden; zu den Vorgenannten gesellten sich noch Markus Werba, Natascha Petrinsky und Wallis Giunta.

Die Besetzung der ersten beiden Teile war gleichlautend mit der von 2021: Lauren Michelle (Anna II und Jessie), Elliott Carlton Hines (Bruder I und Bobby), Andrew Harris (Mutter und Jimmy), Matthäus Schmidlechner (Vater und Charlie), Michael Smallwood (Bruder II und Billy). Anna I und Bessie sang hingegen anstelle von Kate Lindsay die Israelin Alma Sadé. Sie bot eine konzentrierte Leistung, doch weder sie noch Michelle konnten einen so tiefgehenden Eindruck hinterlassen, wie nach Berichten von der Pariser Uraufführung der „Todsünden“ 1933 Lotte Lenya und Tilly Losch. Wie seinerzeit beschrieben, zeichnet sich Brooks Regie durch keinerlei besondere Einfälle aus, doch lässt sie ihren Darstellern ausreichend Raum, um sich im von ihr selbst entworfenen Bühnenbild (auch die Kostüme stammen von ihr) physisch auszutoben. Auch diesmal hat sich mir nicht erschlossen, was ein blumenbekränztes Madonnenbild in den Spelunken zu bedeuten hat, dafür klärte mich das Programmheft darüber auf, dass der schwarzgekleidete Herr mit Zylinder, der kurz auch Engelsflügel trägt, Gott verkörpern soll; die von der Regisseurin hinzugefügte Figur wurde von dem amerikanischen Schauspieler Geoffrey Carey dargestellt.
Nach der Pause also die zündenden Songs aus „Happy End“ auf praktisch leerer Bühne, auf der sich nur ein paar Sessel befinden, im Hintergrund bloß ein paar Garderobenschminkspiegel, zu denen sich zweimal eine Art Plattform gesellt. Hier muss der hervorragenden Lichtregie von Marc Heinz ein großes Kompliment gemacht werden. Die dreizehn Songs wurden von allen Beteiligten mitreißend gesungen, angeführt von Werba, der auch körpersprachlich durchaus einem amerikanischen Entertainer glich. Besonders beeindruckend fand ich die „Ballade von der Höllenlilli“, von Natascha Petrinsky mit atemberaubendem Zynismus herausgeschleudert, und den „Song von Mandeley“, von Elliott Carlton Hines gesungen und getanzt, als wäre er direkt vom Broadway eingeflogen worden. Das letzte, vom Ensemble gesungene, „Hosiannah Rockefeller“ wäre der geeignete Abschluss für den Abend gewesen, denn in diesem Song gelingt die Symbiose zwischen antikapitalistischer Anklage und mitreißendem Rhythmus besonders perfekt. Brook wollte dem Abend aber mit dem Tango-Habanera „Youkali“ (Text: Roger Fernay) aus 1935 mit dem Traum von einer paradiesisch gerechten Insel ein optimistisches Ende geben.

Riccardo Chailly, dem Weills Musik besonders am Herzen liegt (er vergleicht dessen unberechtigten Ruf als U-Musiker gern mit jenem von Nino Rota) ließ das Orchester des Hauses swingen, als ob wir nicht in einem sogenannten Kulturtempel säßen.
Müder Applaus für den ersten Teil, dem zweiten mit seiner so zündenden Musik konnte sich aber ein großer Teil des Publikums dann nicht verschließen.
Eva Pleus, 25. Mai 2025
Die sieben Todsünden
Mahagonny Songspiel
The Songs of Happy End
Kurt Weill
Teatro alla Scala
20. Mai 2025
Regie: Irina Brook
Musikalische Leitung: Riccardo Chailly
Orchestra del Teatro alla Scala