Stuttgart: „Madama Butterfly“

Besuchte Aufführung: 5.4.2019, (Premiere: 12.3.2006)

Butterfly und die Werte des Westens

Eine der besten Inszenierungen, die derzeit auf dem Spielplan der Stuttgarter Staatsoper stehen, ist Puccinis Madama Butterfly in der Regie von Monique Wagemakers, dem Bühnenbild Karl Kneidl s und den Kostümen von Silke Willrett. Bereits aus dem Jahre 2006 stammend, hat diese Produktion nichts von ihrer großen Kraft und Eindringlichkeit verloren. Zu Recht genießt sie inzwischen Kultstatus. Es ist immer wieder ein Erlebnis, ihr beizuwohnen. Hier haben wir es mit Musiktheater vom Feinsten zu tun. Frau Wagemakers Regie ist spannend und stringent, atmosphärisch dicht und recht gefühlvoll. Für die szenische Leitung der Wiederaufnahme zeichnete Judith Lebiez verantwortlich.

Pinkerton, Chor

Die Regisseurin hat das Stück trefflich durchdacht und mit einer vorzüglichen Personenregie gekonnt auf die Bühne gebracht. Lobenswert ist, dass sie nirgendwo der Gefahr erliegt, ins Kitschige abzugleiten. Das westliche Element und knallharter Realismus sind die Grundpfeiler ihres überzeugenden Ansatzpunktes. Dazu kommt noch ein gehöriger Schuss an Emotionalität. Jeglicher Art von altbackenem, gänzlich überflüssigem japanischem Flitter wird vom Regieteam eine deutliche Absage erteilt, was dem Werk gut tut. Frau Wagemakers kommt es in erster Linie darauf an, die allgemeinen, von Zeit und Ort unabhängigen Handlungsaspekte in ein gleißendes Licht zu stellen. Die ausgesprochen reduzierte Ausstattung mit nur wenigen Requisiten trägt dazu ihren Teil bei. Damit wird die Konzentration des Auditoriums gänzlich auf die zwischenmenschlichen Beziehungen gelenkt, die von der Regisseurin mit großer Akribie und enormem technischem Können herausgearbeitet werden. Die Handlungsträger wirken an keiner Stelle unbeteiligt, sondern sind stets voll präsent. Die Folge ist eine enorme Innenspannung, die von der ersten bis zur letzten Minute anhält und das Publikum ganz ihren Bann zieht.

In Monique Wagemakers Konzeption hat Cio-Cio-San bereits zu Beginn mit ihrer japanischen Heimat gebrochen. Nicht nur die Werte Amerikas pflegt sie nun, sondern auch die von Europa. Unabhängig von ihrer großen Liebe zu Pinkerton hat sich ihr die Erkenntnis aufgedrängt, dass die westliche Welt viel reizvoller ist als die fernöstliche Kultur. Sie hat ihr viel mehr zu bieten als ihr Heimatland. Konsequenterweise gibt es in dieser Produktion nur wenige japanische Requisiten. Das elegante weiße Brautkleid, das Butterfly bei ihrem ersten Auftritt trägt, ist im Westen angefertigt worden. Die Regisseurin deutet sie als emanzipierte junge Frau, die herkömmlichen Rollenmustern in keiner Weise mehr entspricht. Ihr Auftreten mutet äußerst selbstsicher und bestimmt an. Zudem zeigt sie einen starken Willen. Das Element der Manipulation ist ihr ebenfalls nicht fremd. Permanent vernachlässigt sie ihr Kind. Sie präsentiert es erst in dem Augenblick, in dem sie sich von seiner Existenz, von der die anderen Protagonisten in dieser Inszenierung längst wissen, einen Vorteil verspricht. Auf emotionale Erpressung versteht sich diese Frau ausgezeichnet, das muss man sagen. Die ganze Zeit über geht sie sehr planvoll und berechnend vor. Sie legt den traditionellen Opferstatus ab und wird zu einer selbstbestimmten, ja beinahe politischen Frau. Pinkerton stellt für sie nur ein Alibi dar, sich der westlichen Welt und ihren Verlockungen zuzuwenden. Ihre beiden Lebensmodelle gehen indes nicht Hand in Hand und sind auch zukünftig nicht miteinander in Einklang zu bringen – ein Fakt, den auch Cio-Cio San am Ende schmerzlich erkennen muss. Demgemäß ist es nur folgerichtig, dass sie sich kurz vor ihrem Selbstmord wieder der japanischen Kultur zuwendet.

Cio-Cio San

Karl Kneidl ist ein ansprechendes Bühnenbild gelungen. Die Handlungsträger agieren auf einer Spielfläche im vorderen Teil der Bühne. Der Hintergrund wird von einem Abgrund eingenommen. Über diesem hängt in Schieflage ein mächtiger Spiegel, durch den ersichtlich wird, was da unten vor sich geht. Die beteiligten Personen, die allesamt zeitgenössisch gekleidet sind, treten von hier aus auf. Häufig kommt dabei eine Videokamera zum Einsatz, die das Geschehen filmt und damit ermöglicht, es zu einem späteren Zeitpunkt im Fernseher wieder anzusehen. Von dieser Option macht im zweiten Akt in erster Linie der kleine Sohn von Butterfly regen Gebrauch. Auf diese Art und Weise erfährt er, wie sein Vater aussieht, den er bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht kennenlernen durfte. Auch Kate Pinkerton hantiert im dritten Akt eifrig mit einer Videokamera. Wenn sie kurz vor Schluss das auf sie zukommende Kind unablässig filmt und dessen auf die Rückwand projiziertes Bild immer größer und bedrohlicher wird, ist das die eindringlichste, die Vorstellung äußerst effektvoll beendende visuelle Projektion, die einen gewaltigen Eindruck hinterlässt. Es wird offenkundig, dass der Sohn seinem Vater Pinkerton sein ganzes Leben lang den Tod seiner Mutter vorwerfen und ihn wohl für immer hassen wird.

Gesanglich konnte man voll zufrieden sein. Karah Son sang mit lyrisch abgerundetem, gut fokussiertem und noch in der sicheren Höhe expansionsfähigem Sopran eine überzeugende Cio-Cio San, die sie auch ansprechend spielte. Für ihr sehr emotional vorgetragenes Un bel di gab es Szenenapplaus. Neben ihr bewährte sich mit trefflich sitzendem, geradlinig geführtem hellem Tenor Ivan Magri in der Partie des Pinkerton. Eine sehr gefühlvoll singende Suzuki war Maria Theresa Ullrich. Der Sharpless von Michael Ebbecke verfügte über immer noch beträchtliche Bariton-Reserven. Einen soliden Goro gab Heinz Göhrig. Trefflich schnitt der hier noch junge Onkel Bonzo von Valentin Anikin ab. Eine gefällige Kate Pinkerton sang Simone Jackel. Mit tadellos sitzendem Bariton stattete Padraic Rowan den Fürsten Yamadori aus. Nichts auszusetzen gab es an Sebastian Peter s Standesbeamten. Ordentlich schnitten die zahlreichen Nebenrollen ab. Ein herziges Kind war Clara Schwind. Trefflich schlug sich der von Bernhard Moncado bestens einstudierte Staatsopernchor Stuttgart.

Am Pult hinterließ die junge koreanische Dirigentin Eun Sun Kim einen hervorragenden Eindruck. Sie setzte auf insgesamt flüssige Tempi und animierte das gut gelaunte Staatsorchester Stuttgart zu einem intensiven, von großen Emotionen getragenen Klang. Auch die Transparenz geriet vorbildlich.

Fazit: Eine immer wieder sehenswerte Aufführung, die jedem Opernfreund sehr ans Herz gelegt wird!

Ludwig Steinbach, 6.4.2019

Die Bilder stammen von Martin Sigmund und A. T. Schaefer