Festtage an der Berliner Staatsoper
Wie stets wurde die alljährliche Opernneuproduktion von einem reichen Konzertprogramm mit renommierten internationalen Solisten begleitet. Am 12. 4. 2022 war Renée Fleming in einem Liedrecital zu erleben, das unter dem Motto Die Stimme der Natur: Das Anthropozän stand und von Hartmut Höll an einem Steingraeber Konzertflügel begleitet wurde. Das Programm vereinte englische, französische und deutsche Kompositionen als Lieder und Opernarien. Eröffnet wurde es mit drei Arien von Händel – kein glücklicher Einstieg, denn in Poppeas „Bel piacere“ aus Agrippina und Semeles „Endless pleasure“ aus dem gleichnamigen Oratorium mit den vielen Koloraturen und kurzen Noten klang die Stimme gackernd. Weit besser geriet Semeles getragenes „O Sleep“ mit schwebenden Tönen und feinen Trillern. Flemings Sopran kann seine Stärken vor allem in solch langsamen Stücken zeigen. Das originell konzipierte Programm umfasste auch zwei zeitgenössische Werke – im 1. Teil „Endless Space“ des 1981 geborenen Nico Muhly, das zwischen Sprechgesang und kantablem Melos wechselt, und nach der Pause „Evening“ von Kevin Puts. Der 1972 geborene Komponist beschäftigt sich darin mit dem Klimawandel, was sich im dramatischen Zuschnitt des Stückes und dessen pathetischem Aufschwung am Schluss ausdrückt.
Der Rest des ersten Teiles widmete sich französischen mélodies von Gabriel Fauré, die vom Pianisten mit Delikatesse begleitet wurden. Besonders eindrücklich in den Farben und der Stimmung geriet „Prison“, faszinierend getroffen war die Abschiedswehmut in „Les berceaux“ und imponierend der Überschwang angesichts des Liebesglücks in „Au bord de l’eau“. Mit diesen Liedern leitete Fleming die erste Opernarie des Abends ein – „O Messager de Dieu“ aus Jules Massenets Thais, das der Solistin Töne in exponierter Höhe abverlangte. Flemings in dieser Lage gleißende Stimme konnte hier ihre besondere Wirkung entfalten.
Der zweite Teil gehörte der deutschen Abteilung, beginnend mit drei Liedern von Edvard Grieg, die sehr abwechslungsreich ausgewählt und zusammengestellt waren – neckisch der „Lauf der Welt“, schwermütig „Zur Rosenzeit“ und überschwänglich „Ein Traum“. Die populäre Arie der Marietta, „Glück, das mir verblieb“, aus Erich Wolfgang Korngolds Die tote Stadt ist eines von den cavalli di battaglia der Sängerin. Auch an diesem Abend verfehlte es mit der schwelgerisch prunkenden Stimme und dem melancholischen Ausdruck seine Wirkung nicht. Schließlich erwies Fleming noch ihrem Lieblingskomponisten Richard Strauss ihre Reverenz mit dessen Liedern „Muttertändelei“ und „Cäcilie“. Besonders im hymnischen Aufschwung des zweiten konnte die Interpretin ihre Trümpfe in der hohen Lage ausspielen. Beglückend waren die drei Zugaben, mit denen sich die Sängerin, wie stets in traumhaften Roben und mit kostbarem Schmuck, für den reichen Beifall des Publikums bedankte. Betörend Laurettas „O mio babbino caro“ aus Puccinis Gianni Schicchi, hinreißend in seinem jazzigen feeling „Summertime“ aus George Gershwins Porgy and Bess und berührend Strauss’ „Morgen“, das sie den Menschen in der Ukraine widmete.
Drei Tage später trat mit Cecilia Bartoli eine weitere Ikone der aktuellen Opernszene auf, die wegen Erkrankung Daniel Barenboims von der kanadischen Pianistin Marie-Ève Scarfone einfühlsam begleitet wurde. Das Programm war etwas Rossini-lastig, doch die Kompositionen des Schwans von Pesaro zählen nun einmal zu den Trumpfkarten im Repertoire der Sängerin. Der Beginn war allerdings Joseph Haydn und dessen bekannter mehrteiliger Kantate Arianna a Naxos vorbehalten. Schmerzlich-entrückt das erste Adagio, die Aria pendelnd zwischen Wehmut und Aufbegehren, der schnelle Schlussteil mit Furor – all das mimisch und gestisch eindrucksvoll gestaltet. Es folgten vier Canzonen in italienischer Sprache von Franz Schubert: lieblich „Da quel sembiante appresi“, sehnsuchtsvoll und mit feinen, zarten Tönen vorgetragen „Mio ben ricordati“, von heiterer Anmutung „La pastorella“ und betont dramatisch „Vedi quanto adoro“, ausgestattet mit delikaten Trillern und fordernden hohen Tönen.
Sodann Gioachino Rossini mit der „Ariette à l’ancienne“, in der Bartolis Stimme reizvoll eingedunkelt klang, danach „L’Orpheline du Tyrol“ als imaginierte kleine Szene mit Jodel-Echowirkungen, und „La Grande Coquette“ als übermütige, an Offenbach erinnernde Bravour-Nummer mit raffiniert getupften Tönen. Mit der populären „Canzonetta spagnuola“ hatte die Interpretin Gelegenheit, mit den Kastagnetten zu brillieren und ihr bekanntes Temperament auszuspielen.
Nach der Pause war zunächst Rossinis La Regata veneziana zu hören mit den Anzolete avanti, co passa und dopo la regata. Danach gab es drei weitere Kompositionen des Meisters – „Or che di fiori“ in schöner Kantilene, „L’Esule“ in schmeichelnden Fluss und als Krönung „La danza“ mit überschäumenden Temperament.
Auch nach 35 Jahren Karriere ist die Stimme der Mezzosopranistin noch perfekt in ihrer Funktion und Klangsinnlichkeit. Davon zeugten auch die Zugaben – Ernesto de Curtis’ „Ti voglio tanto bene“, Carmens Habanera (was die Hoffnung auf eine Gesamtinterpretation der Rolle wach hält) und mit „Non di scordar di me“ eine weitere Canzone von De Curtis. Auch La Bartoli trug zwei Kleider, eines in Schwarz mit Applikationen aus roter Spitze, das andere in Weiß mit blauen Verzierrungen – beide von zweifelhaften Geschmack, was eine marginale Anmerkung bleibt angesichts der vokalen Kunst dieser Ausnahmesängerin. Irritierend eher, dass der Intendant des Hauses den beiden Damen persönlich Blumen überreichte, was bei Renée Fleming und Hartmut Höll ausfiel.
Bernd Hoppe, 20.4.22