Berlin: „Don Giovanni“

Zweitbesprechung

Mit der Neuinszenierung des Don Giovanni hat die Staatsoper ihre Mozart-da-Ponte-Trilogie vollendet. In der 2. Aufführung am 10. 4. 2022, die von Bel Air Media für eine DVD-Veröffentlichung mitgeschnitten wurde, gab es durch die Erkrankung von Riccardo Fassi eine Umbesetzung des Leporello. Von der Staatsoper Stuttgart war der Bariton Adam Palka kurzfristig eingesprungen – ein sympathischer, agiler Bursche im giftgrünen Blouson (Kostüme: Clémence Pernoud), doch stimmlich zu verhalten, so dass viele seiner Nummern vokal unterbelichtet wirkten. Selbst die rezitativischen Dialoge zwischen ihm und seinem Herrn hatten keine Spannung. Erst im 2. Akt konnte sich die Stimme stabilisieren und besser gegen das Orchester durchsetzen. Sehr uneinheitlich war Daniel Barenboims vierte Lesart von Mozarts Werk mit der Staatskapelle Berlin am Haus Unter den Linden (nach 2000, 2007 und 2012). Insgesamt fehlte ein großer Spannungsbogen, schon die Ouvertura geriet matt und auch später gab es – neben gelungenen Momenten – immer wieder Abfälle in der Dramatik.

Noch enttäuschender geriet die Inszenierung durch Vincent Huguet, die in der Gegenwart spielt und in einem trostlosen Ambiente angesiedelt ist. Graue Betonquader mit Öffnungen, Mülltonnen, Agaven und eine trübe Straßenlaterne illustrieren das Geschehen (Bühne: Aurélie Maestre). Giovanni ist in dieser Inszenierung als Modefotograf in einem Foto-Studio mit Scheinwerfern und Kameras zu sehen. Der im Wagner-Repertoire geschätzte Bassbariton Michael Volle war als Mozarts Titelheld eine herbe Enttäuschung. Sein grobschlächtiger, unebener Gesang ohne kultivierte Linie und der proletarische Auftritt in Trainingshose und Basecup machten ihn zu einer eklatanten Fehlbesetzung. Dem Duett mit Zerlina fehlte die schmeichelnde Zärtlichkeit, der Canzonetta die lockende Geschmeidigkeit. Zum verquollenen Tonbrei geriet die Champagnerarie und die exponierten Noten im Finale waren als existentielle Schreie im Ungefähren platziert. Eine stimmliche Entdeckung war Bogdan Volkov als allerdings darstellerisch blasser Don Ottavio mit klangvollem lyrischem Tenor, der männlichen Nachdruck hören ließ und keinen Moment verzärtelt wirkte. „Dalla sua pace“ war gezeichnet von nobler, kultivierter Linie, „Il mio tesoro“ von phänomenaler Beherrschung der Koloraturgirlanden. Die Herrenriege ergänzten David Ostrek als Maetto mit jugendlichem, schlankem Bass und Peter Rose als Commendatore mit reifer, zuweilen tremolierender Stimme.

Gesanglich ohne jeden Tadel waren die drei Damen, aber ihren Stimmen fehlen die Gesichter, sie sind austauschbar. Slávka Zámecniková bewältigte die Partie der Donna Anna mit staunenswerter Mühelosigkeit. Ihr heller, klarer Sopran stattete „Or sai chi l’onore“ mit flammender Verve aus, gab „Non mi dir“ mit leuchtender Stimme und den Schlussteil mit perlenden Koloraturen. Nur ein unverwechselbares Timbre fehlt noch zu einer Weltstimme. Für die Donna Elvira scheint mir Elsa Dreisig in Stimme und

Erscheinung noch zu jung zu sein, und ihr Sopran hat natürlich auch nicht die Mezzo-Anmutung, die man bei dieser Partie oft findet. Kultiviert und gut geführt ist er zweifellos, „Mi tradÌ“ floss ohne jeden Stolperstein. Eine reizende Zerlina war Serena Sáenz mit hübschem Sopran, die ihre beiden Arien mit Anmut und Koketterie vortrug.

Am Ende sieht man den Commendatore aufgebahrt im Sarg in einem Bestattungsinstitut, dessen hintere, rostrote Wand mit Kerzen effektvoll beleuchtet ist. Giovanni wird von medizinischem Personal auf einer Trage fixiert und mit einer Injektion getötet. Zum Schlusssextett, bei dem alle an der Festtafel versammelt sind, taucht er jedoch als amüsierter Zuschauer wieder auf.

Bernd Hoppe 13.4.22