Berlin: „Don Giovanni“

Premiere am 2.4.2022

Don Giovanni auf dem Prokrustesbett

Eigentlich müsste dem Opernfreund bereits mit der im Programmheft gelieferten Inhaltsangabe die Lust auf Mozarts Don Giovanni in der Staatsoper vergehen, denn da ist davon die Rede, dass zu Beginn Don Giovanni „mit Donna Anna zugange“ ist. Da hat einmal mehr ein Regisseur das Libretto nicht gelesen, denn Leporello verkündet eindeutig, worin die Untat Don Giovannis besteht: „sforzare la figlia ed ammazzare il padre“, und nur die Prüderie früherer Zeiten machte in der deutschen Übersetzung daraus ein „verführt“. In der englischen Übersetzung des Programmhefts ist man mit einem „is trying his hand at Donna Anna“ wesentlich genauer. Mit der Wandlung der Donna Anna vom Opfer zum durchtriebenen Luder werden zwangsläufig Don Ottavio und der Commendatore zu einfältigen Deppen, und der Zuschauer verliert das Interesse an ihnen. Bereits der Contessa in Le Nozze di Figaro hatte die Regie nicht zugestanden, was der Conte von ihr hielt mit seinem: „Ella rispetta troppo sé stessa, e l’onore mio“, sondern übertrug flugs „Così fan tutte“ auf sämtliche Damen der La-Ponte-Trilogie. Grund dafür ist die höchst unglückliche Idee, man könne ohne Verluste aus den drei voneinander unabhängigen Stücken eine Trilogie mit einheitlichem Personal gestalten, wobei chronologisch Figaro auf Così und Don Giovanni auf Le Nozze folgen soll.

So ist der Zuschauer dazu verdammt, dreimal hintereinander die Trostlosigkeit eines „modernen“ Ambiente zu ertragen, das absolut nicht zur Handlung des jeweiligen Stückes passt. Besonders irrsinnig ist die Idee, auf das der Zeit der vorrevolutionären Aufklärung verpflichtete Werk das mit einem Gottesurteil endende folgen zu lassen. Insgesamt zwingt der Verzicht auf die historische Dimension die Figuren dazu, so unglaubwürdig wie lächerlich zu erscheinen. Nach einigen zur Hoffnung auf bessere Opernzeiten anregenden Produktionen wie Fanciulla, Rosenkavalier oder Makropulos heißt es nun wieder, man lässt sich überraschen und gerät während der Vorstellung in ein Wechselbad von Wut und Verzweiflung über den grob-tumben Umgang mit einem Meisterwerk und sieht sich darob auch in seinem Hör- und Urteilsvermögen über die Sänger- und Orchesterleistungen beeinträchtigt. Oder man informiert sich vorab, schluckt seine resignierende Wut herunter und konzentriert sich von vornherein auf das Hören.

Zwar gesteht Regisseur Vincent Huguet den drei Werken Da Pontes und Mozarts ein Eigenleben zu, sieht in ihnen keine Trilogie wie etwa im Ring, verbindet sie aber trotzdem gewaltsam zu einer solchen und legt sogar die jeweilige Spielzeit mit den eindeutig historischen Ereignissen 68er-Aufstand, Vorbereitung von Mauerfall sowie Auflösung des Ostblocks und schließlich weniger spektakulär 2019 fest, wenn er Così 1969, Figaro 1988 und Don Giovanni 2019 spielen lässt. Abstrus ist es nun wirklich, dass die Personen der Opern in diesen brisanten Epochen ausschließlich mit Liebeshändeln „zugange“ sind und deswegen eigentlich aus der Zeit, in die sie hineingesetzt wurden, fallen. Aus Guglielmo wird Almaviva, danach Don Giovanni, aus Figaro ein Leporello usw., und als Zeugen für die angebliche Schlüssigkeit dieses Irrsinns werden keine Geringeren als Michel Foucault und Michel Houellebecq bemüht.

Für die Bühne hatte Aurélie Maestre grauen Beton vortäuschendes Styropor verwendet mit zeittypischen Requisiten wie Tonnen zur Mülltrennung oder auch mal einen Rettungsring, der jedoch zweckentfremdet zur Fesselung des armen Masetto benutzt wurde. Die Kostüme von Clémence Pernond waren durchweg hässlicher, als man sie für das Jahr 2019 in Erinnerung hat. Sparsam wurde zum Glück mit Videos ( Robert Pflanz) umgegangen, die zur Illustrierung von Leporellos Registerarie dienten.

Es begann ganz wunderbar mit einer nicht inszenierten Sinfonia, in der die Staatskapelle unter Daniel Barenboim einen kostbaren Klang zelebrierte, leicht romantisierend zu Beginn und danach sich immer wieder gegenüber der soft kruden Szene behauptend. Weit auseinander klafften die Leistungen der Sänger, was Qualität im allgemeinen und Rolleneignung im besonderen betraf.

Längst einer Mozartpartie entwachsen ist Michael Volle, der auch optisch einen allzu prolligen Don Giovanni mittleren Alters mit immerhin vierzig Jahren Berufserfahrung als Fotograf hinter sich gibt und der Zerlina mit der Aussicht auf ein Cover für sich gewinnen will. Die Stimme spricht im Piano nicht mehr farbig an, die musikalische Linie entbehrt der Ebenmäßigkeit, in der Champagnerarie perlt nichts und in der Serenade vermisst man Geschmeidigkeit. Leporello ist Riccardo Fassi mit zunächst recht dumpf klingendem Bass, der sich aber zunehmend freisingt und durch sein agiles Spiel gefallen kann. Eine höchst angenehme Entdeckung ist der ukrainische Tenor Bogdan Volkov, der einen zurückhaltenden, aber nicht blassen Ottavio spielt und mit einer sehr schön timbrierten, alles andere als trockenen Mozartstimme aufwarten und erfreuen kann, die er zudem noch äußerst agogikreich einsetzt. Auch der Masetto von David Oštrek kann mit einer rollengerechten Darstellung und einem schlanken, farbigen Bass erfreuen.

Peter Rose gibt einen in dieser Inszenierung als Richter auftretenden würdigen Commendatore. Die farbigste, am erotischsten klingende, substanzreichste Stimme unter den Damen hat Elsa Dreisig für die Donna Elvira. War ständiges Rauchen eigentlich 2019 nicht schon längst passé? Slávka Záméčniková verleiht der Donna Anna eine leuchtende, sichere Höhe und kristallklare Koloraturen. Serena Sáenz ist eine zauberhafte Zerlina mit feinem lyrischem Sopran und anmutigem Spiel. Nicht auszudenken, wie schön es hätte sein können mit einer Optik, die die Wirkung der Musik nicht beeinträchtigt, sondern noch verstärkt hätte!

Ingrid Wanja / 2.4.2022

Fotos Matthias Baus