Berlin: Festtags-Highlight an der Staatsoper

20.4.2019

Zum Programm der österlichen Festtage Unter den Linden gehören stets auch hochkarätig besetzte Konzerte, so in diesem Jahr mit den Wiener Philharmonikern und Anna Netrebko. Die russische Starsopranistin war für zwei Konzerte in der Philharmonie mit der Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim verpflichtet worden, musste aber krankheitsbedingt absagen. Die russisch-österreichische Sängerin Aida Garifullina, zur Zeit in der Staatsopern-Festtagsproduktion von Prokofjews Verlobung im Kloster in der Partie der Luisa überaus erfolgreich, erklärte sich bereit, kurzfristig einzuspringen, und wurde dafür vom Publikum sehr herzlich gefeiert. Die Stimme der Garifullina ist ein lyrischer Koloratursopran, entsprechend wurde das Programm geändert. Statt der Szenen von Abigaille, Aida und Forza-Leonora, welche Netrebko mit der deutlich dramatischeren Stimme ins Programm nehmen wollte, erklangen nun Szenen der Gilda und Violetta. Die Partie im Rigoletto wird die Sängerin in der nächsten Saison auch an der Staatsoper verkörpern. Zwei Ausschnitte daraus waren eine viel versprechende Vorwegnahme des zu erwartenden Höhepunktes im Spielplan des Hauses. „Tutte le feste“ (aus dem Duett mit Rigoletto) wurde mit innigem Gefühl geboten, die Arie „Caro nome“ mit jugendlicher Emphase und zauberischen piani. Nur in der exponierten Höhe verliert der Sopran leicht an Klangqualität, wird in dieser Region etwas steifer und metallischer. Mit gutem Grund hatte die Solistin für ihren letzten Beitrag nicht Violettas Arie aus dem 1. Akt der Traviata mit den hohen Koloraturen gewählt, sondern die aus dem letzten Bild. „Addio del passato“ wurde in ihrer Interpretation getragen von Wehmut und morbidezza, auch von Verzweiflung und Aufbegehren gegen das unabwendbare Schicksal.

Barenboim begleitete die Stücke mit großem Einfühlungsvermögen und starker Inspiration für die Sängerin. Sein Gespür für Verdis Dramatik, die großen melodischen Bögen und die rasanten Rhythmen hatte er bereits zu Beginn des Konzertes bei der Ouvertüre zu I Vespri siciliani bewiesen. Der spannungsvolle Aufbau vom verhaltenen Beginn bis zum furioso des gesamten Orchesters und dem patriotischen Schluss verfehlte seine Wirkung nicht. Mit wunderbar warmem Ton die Celli, mit ätherischem Glanz die Geigen – der Klangkörper präsentierte sich in Bestform, wie man es vor der Pause nochmals beim Preludio zu La forza del destino mit seinen harschen Bläserakkorden und dem Brio des berühmten Schicksalsmotiv erleben konnte.

Ein Garant für musikalische Sternstunden ist der Rundfunkchor Berlin (Einstudierung: Gijis Leenaars), der schon im ersten Programmteil den berühmten Chor aus Nabucco klangvoll und kultiviert geboten hatte. Die zweite Hälfte des Konzertes gehörte dann ganz ihm und der Interpretation von Verdis selten gegebenen Quattro pezzi sacri. Es sind Verdis letzte Kompositionen, entstanden zwischen 1889 und 1897 und zunächst nicht als Zyklus geplant. Erst 1898 entschloss sich Verdi zur Herausgabe einer Sammlung unter dem heute gebräuchlichen Titel. Die vier Teile fallen stilistisch auseinander – das Ave Maria des Beginns und die Laudi alla vergine Maria an dritter Position sind reine a-capella-Kompositionen. Erstere bietet asketisch-vergeistigte Klänge von feierlichem Ernst, die zweite ist Dantes Paradiso entnommen und dem Frauenchor zugedacht. Dieser konnte mit delikat-sublimem Gesang seine Qualitäten wirkungsvoll ausstellen. Im Stabat Mater, das Verdi 1897 schrieb, während seine zweite Frau im Sterben lag, kommt dann auch das Orchester zum Einsatz, formuliert Seufzer der Trauer, aber auch infernalische Schrecken (welche die stilistische Verwandtschaft zum Otello belegen). Krönender Abschluss der Gruppe (und auch vom Komponisten besonders geschätzt) ist das finale Te Deum. Der Männerchor beginnt es mit an die Gregorianik erinnernden Gesängen, dann folgt ein Sanctus von gewichtigem Pathos und erhabener Feierlichkeit. Barenboim überzeugte ohne Einschränkung mit seinem Aufbau einer gewaltigen Klangarchitektur bis hin zum hymnischen Schluss und dem plötzlichen Verlöschen. Dirigent, Chor und Orchester sahen sich am Ende vom Publikum enthusiastisch umjubelt.

Bernd Hoppe 22. 4. 2019