Berlin: „Nabucco“, Giuseppe Verdi (zweite Besprechung)

Ein von einem Buhorkan nach der Premiere von einem Teil des Publikums begrüßtes Regieteam und viele durchweg ausverkaufte Vorstellungen, höhnische Kritiken im Feuilleton und verzweifelte Kartensuche auf dem Schwarzen Brett der Berliner Staatsoper – wie kann das sein, wie kann das gehen, wie passt eins zum anderen? Ist es Anna Netrebko, von der die einen sich eine dann auch prompt erbrachte sensationelle Abigaille, die anderen sich einen politisch motivierten Skandal erwarten? Nein, nicht nur, denn auch die Folgevorstellungen ohne sie bei sonst gleichbleibender Besetzung sind ausverkauft. Schätzt das gemeine Berliner Publikum doch eine dekorative, die Sänger und ihre Bedürfnisse respektierende Inszenierung mehr, als der erste Premiereneindruck vermuten lässt? Sicher, der verwaiste Teddy des ermordeten kleinen Mädchens, der Nabucco umgeisternde Plastikhüllenjehova sind ärgerlich bis lächerlich. Aber gab es nicht nach jeder Neuenfels-Premiere einer Verdi-Oper in der Deutschen Oper ein Buhgeschmetter bei gleichzeitigem gewaltigem Stimmeinsatz der Neuenfels-Anhänger? Gab es nicht drohende Vorstellungsabbrüche, wenn der mit Priestern und Messknaben besetzte Panzerwagen in der Forza auf die Bühne fuhr? Und gab es nicht unzählige verzweifelte Versuche von Sängern, sich gegen nicht nur ihre Figur, sondern sie selbst entwürdigende Zumutungen zu wehren? Trotzdem wurde in nicht wenigen Kritiken zum Emma-Dante-Nabucco der Neuenfels zu verdankende als beispielhaft für eine gelungene, über die Jahrzehnte hinweg gültige Regearbeit gefeiert.

© Bernd Uhlig

Fangen wir also an mit dem Neuenfels-Nabucco, während dessen Proben seinerzeit der Sänger der Titelpartie, der Rumäne Alexandru Agache bereits seine Koffer gepackt hatte, weil er es unzumutbar fand, dass ein dümmliches, der Oper von der Regie hinzugefügtes Jüngelchen dem auch mal in einen Schrank eingesperrten Nabucco den Penis abschnitt und das blutige Teil triumphierend über die Bühne warf. Einem Renato Bruson oder Piero Cappuccilli, die sich für Simone, Macbeth, Padre Germont die Klinke in die Hand gaben, hatte man die Partie erst gar nicht angeboten. Götz Friedrich gelang es damals nur mit Mühe, und, wie gemunkelt wurde, mit einer Flasche Champagner, den Sänger zurückzuholen und Neuenfels‘ Regiewerk zu retten, was ihm dieser auf der Premierenfeier mit üblen Vorwürfen vergalt. Auch der Tenor Marco Berti blieb nach eigener Aussage nur aus Respekt vor dem Dirigenten Marcello Viotti, obwohl er Die Reise nach Jerusalem, zu der sein Ismaele verdammt wurde, hasste. In ihren möglichen Leistungen als Sänger gemindert sahen sich auch Dano Raffanti und Ryszard Karczykowski, deren Duca zur anspruchsvollen Cabaletta ein hinzu erfundener Page staubaufwirbelnd vor der Nase herumtanzte. Paolo Coni, Luna im Trovatore, wollte abreisen, als in der Klosterszene ein vom Kreuz herabgestiegener Jesus nicht nur mit grellgekleideten Nonnen tanzen, sondern sich auch anderweitig vergnügen sollte. Julia Varady stritt, ein Video ist Beweis dafür, wegen eines albernen, zum Tod durch Erwürgen verdammten Engels in der Forza mit dem Regisseur, Giorgio Merighi drohte während der Proben wegen anderer Zumutungen mit einem Herzinfarkt. Dem Opernbesucher, dem es vor allem auf die Musik und die Sänger ankommt, dürfte der zugegeben rein dekorative und dazu mit einigen Lächerlichkeiten behaftete Nabucco der Staatsoper immer noch wesentlich lieber sein als der längst durch eine Neuinszenierung abgelöste von Neuenfels in der Deutschen Oper, denn für die Mitwirkung in ihm wird man auch jederzeit wieder erstklassige Sänger verpflichten können.

© Bernd Uhlig

Am 20. Oktober nun gab es die zweite Vorstellung mit der Zweitbesetzung, der Italienerin Anastasia Bartoli, ein Name, der aufmerken ließ, aber in die Irre, nämlich zum Vater der Sängerin, einem Florentiner Zahnarzt, führt. Ihre Mutter allerdings ist keine Geringere als die einstige Sopranistin Cecilia Gasdia, seit Jahren inzwischen künstlerische Leiterin der Arena di Verona. Auch was das Fach angeht, verleugnet Anastasia Bartoli die Mutter, denn sie ist zwar ebenfalls Sopran, aber bereits in jungen Jahren ein soprano drammatico d’agilità und damit einer zeitweise fast als ausgestorben geltender Gattung angehörend. In Cagliari machte die Sängerin mit der Gloria von Cilea auf sich aufmerksam, vor ihrer ersten Abigaille an der Staatsoper sprang sie schnell noch in Wien als Lady Macbeth ein, und diese wird sie auch demnächst an der Deutschen Oper singen.

Ein Tag Pause zwischen zwei Abigailles bedeuten eine nur kurze Erholung. Anastasia Bartoli hatte sie hörbar gut genutzt, denn der Sopran überzeugte mit einer strahlenden, sehr sicheren, gelegentlich leicht scharfen Höhe, erreichte auch die Extreme, hatte jedoch einige Probleme, die noch nicht gleichwertig gut entwickelte Tiefe anzubinden, war souverän in den Intervallsprüngen und bewies in den lyrischen Teilen, so am Schluss, dass der Sopran auch einfach schön sein kann. Dazu kommen eine attraktive optische Erscheinung und die Bereitschaft und das Vermögen, sich auf eine intensive Darstellung einzulassen. Auf ihre Lady Macbeth an der Deutschen Oper kann man gespannt sein, mehr aber noch darauf, ob es ihr gelingt, allzu vielen Angeboten so extrem exponierter Partien zu widerstehen und sich auch in einem stimmschonenderen Repertoire zu etablieren. Natürlich wollen sie jetzt viele Bühnen in diesen so schwer zu besetzenden Partien engagieren. Sie sollte sich von ihrer Mutter beraten lassen.

© Bernd Uhlig

Der Premierenbesetzung entsprachen sämtliche anderen Sänger, gingen aber noch mehr als erinnerlich aus sich heraus, so Mika Kares mit einem Zaccaria, der in der ersten Cabaletta raffinierte Verzierungen einlegte, Luca Salsi in der Titelpartie mit einem Aplomb, der bereits das Veristische streifte, mit tollen Fermaten und intensivem darstellerischem Einsatz. Noch strahlender als bei der Premiere klang der Tenor von Ivan Magri als Ismaele, mit sattem, goldfarbenem Mezzoklang erfreute wieder Marina Prudenskaya als Fenena, und auch die Studiomitglieder Sonja Herranen mit warmem Alt als Anna und Manuel Winckhier als Baalpriester mit schlankem, aber sonorem Bass erfreuten ein weiteres Mal. Der angenehme Tenor von Andrés Moreno Garcia empfahl sich mit seinem Abdallo für noch anspruchsvollere Aufgaben. Warum der Chor Va pensiero in Berlin nicht recht zünden will, liegt sicherlich auch an der unseligen Nebenhandlung im Vordergrund und der Verbannung der Chormitglieder in die Hängenden Gärten, das Orchester unter Bertrand de Billy jedenfalls tat alles, um mit Brio, Straffheit und Eleganz Verdis Frühwerk zu seinem Recht zu verhelfen.

Ingrid Wanja, 20. Oktober 2024


Nabucco
Giuseppe Verdi

Staatsoper Berlin

6. Vorstellung am 20. Oktober 2024
Premiere am 2. Oktober 2024

Regie: Emma Dante
Musikalische Leitung: Bertrand de Billy
Staatskapelle Berlin

Besprechung der Premiere