Berlin: „Samson et Dalila“

Premiere am 24.11.2019

Ehrenrettung für Dalila

Es bedarf einer beachtlichen Portion Mutes dazu, heutzutage eine Oper libretto- und regieanweisungsgetreu auf die Bühne eines deutschen Opernhauses zu bringen, denn ein Teil des Publikums, das dies zu schätzen weiß, ist längst zur konzertanten Musik oder mit DVDs aus vergangenen Zeiten vor den Fernseher abgewandert oder gehört der stummen Mehrheit im Saal an, die der absurde Regietaten bejubelnden intellektuellen Kultur-Schickeria im Zuschauerraum das Feld überlassen hat. Die feiert den üblichen Versuch, das Stück in einer möglichst miesen Zeit anzusiedeln, die Sänger in möglichst hässliche Kostüme zu stecken und einem happy end, selten genug in der Welt der Oper, zumindest noch einen Keim des Zweifels einzupflanzen. Nur wenn es ganz dicke kommt wie bei der Castorf-Inszenierung von Forza del Destino in der DOB bäumt sich das Publikum noch auf. Auch in der Staatsoper sah man in der letzten Zeit, man denke an Tristan oder Lustige Weiber, zweifelhafte Regieleistungen, und umso erfreuter, ja beglückt konnte man am 24. 11. hier über die Premiere von Saint-Saëns‘ Samson et Dalila, vor Jahren in der Deutschen Oper in der Bismarckstraße auf einem Abstellgleis spielend, sein. Schon einige Tage vor der Premiere konnte man auf der Internet-Seite der Staatsoper Fotos von einer „richtigen“ Bühne ohne Videos und sonstigen Firlefanz, von Sängern in dem Werk angemessenen Kostümen bestaunen und sich auf die Premiere freuen.

Eine alte Theaterweisheit warnt davor, Kinder und Tiere auf die Bühne zu bringen, da sie erstens ablenken und zweitens unberechenbar sind. Regisseur Damián Szifron konnte das nicht wissen, weil er noch nie eine Oper inszeniert hat, wohl aber als Filmregisseur es sogar zu einer Oscar-Nominierung gebracht hat. Der Schluss von „Wild Tales“ soll Daniel Barenboim, weil wie eine Oper wirkend, so sehr gefallen haben, dass er den Regisseur spontan dazu einlud, in Berlin mit ihm eine Opernproduktion zu realisieren. Der angebliche Fehlgriff, Kinder und Tiere betreffend, hatte insofern keine negativen Folgen, als das Kind bereits tot war und der gut erzogene Schäferhund nur kurz an ihm schnüffelte, um dann die Bühne wieder zu verlassen.

In den ersten beiden Akten merkte man der Regie noch an, dass eine Personenführung ohne wechselnde Kameraführung und bei ständiger Totale noch nicht zur Meisterschaft gelangt ist. Da hätte man sich mehr Differenzierung und weniger Rampensingen oder unmotiviertes Hin- und Herlaufen gewünscht. Im dritten Akt mit der Orgie in Lust und Gewalt war die Regie dann in ihrem Element und stand einem Hollywood-Film und seinen Möglichkeiten in nichts nach. Auch Bühnenbildner Étienne Plus war zunächst mit einer kargen Felsenlandschaft mit in sie hineingeschnittenen Häuschen oder der Felsenhöhle Dalilas noch spartanisch vorgegangen, um dann umso gewaltiger den Tempel der Philister aufzutürmen. Gesine Völlm verfuhr ebenso mit den Kostümen, Dalila riss sich das prachtvolle Gewand des dritten Akts von den Schultern und stand wieder in Sackleinwand da, nachdem sie den Oberpriester des Dagon zur Überraschung aller Opernkenner erdolcht hatte. Ein Frauenbild wie das der charakterlosen Edeldirne hat in der heutigen Zeit natürlich nicht Bestand. Auch sonst weiß der Regisseur im Programmheft viel Positives über Dalila zu berichten, was zum Glück („Es geht um die Angst, wirklich zu teilen. Die Angst, mit jemandem zusammen zu sein, ohne ihn oder sie zu unterdrücken.“) auf der Bühne nicht konsequent sichtbar wird. Letztendlich kann man mit der optischen Umsetzung des Stücks mehr als zufrieden sein, auch wenn der letzte Akt eher großes Kino als große Oper war. Aber so bedeutend ist der Unterschied zwischen beiden schließlich nicht.

Um die akustische Seite hingegen war es noch weit, weit besser bestellt. Daniel Barenboim hatte sich vor der Premiere bereits in Konzerten der Staatskapelle mit dem französischen Repertoire auseinandergesetzt, und so klang es aus dem tief herabgesenkten Orchestergraben kostbar, straff und elegant, prangte und prunkte es insbesondere im dritten Akt in prächtigen Farben. Dem ursprünglich als Oratorium gedachten Werk wurde der Chor unter Martin Wright mehr als gerecht. Ein Wunder an Farbschönheit, Ebenmaß und Stilsicherheit war die Dalila von Elīna Garanča, sehr geschmackvoll und mehr auf vokale Vornehmheit bedacht denn auf erotische Überwältigung setzend. Wirklich Tenor von der tiefsten bis zur höchsten Note war der Amerikaner Brandon Jovanovich als Samson, unangefochten durch alle drei anstrengenden Akte hindurch ohne Ermüdungserscheinungen. Einen kraftvollen, durchschlagskräftigen Bariton und ein charaktervolles Spiel setzte Michael Volle für den ränkeschmiedenden Oberpriester ein. Nur kurz konnte Kwangchul Youn seinen tiefschwarzen Bass als Abimelech zur Schau stellen, ehe er von Samson gemeuchelt wurde. Berührend waren die Kurzauftritte von Wolfgang Schöne als Alter Hebräer. Die Brücke zwischen dem Gestaltungswillen und –vermögen der Regie bzw. der Sänger schlug das Tänzerpaar Nikos Fragkou und Lisa Schramm. Die Staatsoper und ihr Publikum können sich über eine Produktion freuen, in die man bei wechselnder Besetzung gern wieder kommt.

Fotos Matthias Baus

25.11.2019 Ingrid Wanja