Berlin: „Tristan und Isolde“

Zum Zweiten

Vorstellung am 03.03.2018

Gepflegte Vorlesung über die Liebe

Eigentlich ist ja in dem kongenialen Vorspiel, welches Richard Wagner zu TRISTAN UND ISOLDE komponierte, alles enthalten, was wir für das Verständnis des Werks benötigen. „Wir schwimmen dem Traum entgegen“, hatte Ernst Bloch konstatiert. Wenn also Daniel Barenboim aus dem Dunkel heraus (kein Auftrittsapplaus) die ersten Takte durch die herausragend aufspielende Staatskapelle intonieren lässt, ist das „Versinken“ in den aufgewühlten Fluten garantiert. Die Wogen brechen stockend über den Hörer herein (gedehnte Generalpausen), reißen dann mit in den magischen Sog, brennen, sehren, steuern unerbittlich auf den Kulminationspunkt zu. Das ist Orchester- und Klangmagie vom Allerfeinsten.

Und die Akustik in der wiedereröffneten Staatsoper enttäuscht nicht, Transparenz und Balance, Rausch und Ekstase sind über die folgenden fünfeinhalb Stunden (inklusive zweier Pausen) gewährleistet. Einzig gegen das Ende von Isoldes Liebestod hin dünkten mich die Streicher zu gleißend, zu vordergründig alles andere erstickend. Mag sein, dass das auf den Rängen besser abgemischt geklungen haben mag. Überhaupt vermochte die beliebteste und bekannteste Passage der Oper (auf die im dritten Akte alle Zuhörer entgegenfiebern) an diesem Abend am wenigsten zu überzeugen.

Anja Kampe als Isolde hatte einen fabelhaften ersten Akt gesungen, leidenschaftlich, unerbittlich, kämpferisch, mit beachtlich schönen, gerundeten Tiefen, die Erzählung der Vorgeschichte mit grandioser Spannung aufgebaut, die Flüche fulminant in den Raum geschmettert, auf sauber intonierte Intervallsprünge geachtet. Im zweiten Akt schwang sie sich mit vor Sehnsucht brennender Stimme zum „dass hell sie dorten leuchte“ auf, vereinigte sich wunderbar mit Tristans Stimme zum „wonnehehrsten Weben“ im ausgedehnten Liebesdialog an der zentralen Stelle der Oper. Doch ausgerechnet im Schlussteil von „Mild und leise“ klang die Stimme nicht mehr so schön, unmotivierte sforzati störten den magischen Sog, ein „Ertrinken, Versinken“ fand für den Hörer nicht statt, dazu war das ganze zu unausgeglichen gestaltet, hatte einen Hang zum Schrillen, Grellen, Anorganischen, der Fluss, die Rundung, das Hineinziehen in die Verklärung fehlten über weite Strecken.

Dass auch Heldentenöre gegen Grippeviren nicht gefeit sind, mag für den Normalsterblichen tröstlich sein, für die Künstler und die künstlerischen Betriebsbüros der Opernhäuser ist das natürlich desaströs. Denn einen Ersatz-Tristan findet man nun wahrlich nicht an jeder Straßenecke. Andreas Schager musste also seinen Auftritt kurzfristig absagen, als Einspringer gelang es der Staatsoper Vincent Wolfsteiner zu verpflichten. Der relativ spät (mit 34 Jahren) in die Sängerlaufbahn eingestiegene Tenor (geboren 1966) fügte sich darstellerisch hervorragend in die nicht gerade einfache Inszenierung, überzeugte mit seinem markant und hell gefärbten Tenor und klarer Diktion. In den ersten beiden Akten schwang ab und an noch etwas viel Vibrato mit (und er haderte verständlicherweise etwas mit Wagners verschwurbelten Textfluten), doch der dritte Akt mit dem langen Fieberwahn – das pièce de résistance für jeden Tristan – geriet herausragend, da trumpfte er mit unermüdlichen Stimmfontänen auf, sang sich in eine wahre Ekstase („Kurwenal, siehst du es nicht?“). Großartig!

Ganz hervorragend auch Boaz Daniel als sein treuer Gefährte Kurwenal, überzeugend in seinem Spottlied im ersten und seiner Fürsorge im dritten Akt. Sein Bariton klingt auf angenehme Art heldisch. Ebenfalls ausgezeichnet die Brangäne von Ekaterina Gubanova. Ihr „Habet acht!“, diese wohl schönste Stelle der Oper, hätte bei einer etwas vorteilhafteren Positionierung der Sängerin durch den Regisseur auf der Bühne wohl noch mehr an glutvoller Intensität evozieren können. Am besten gelangen Ekaterina Gubanova die etwas verhalteneren, mysteriösen Passagen („Kennst du der Mutter Künste nicht?“), während sie im forte schnell etwas zu blechern wurde und damit der Isolde im hochdramatischen Ausdruck zu nahe kam. Glaubwürdig, ehrlich und berührend trug Stephen Milling die Klage König Markes vor, man hing regelrecht an seinen Lippen. Dabei kam er ohne übertrieben orgelnde Basstöne aus und erreichte trotzdem eine sehr schöne, runde Sonorität, durchdrang den Text mit intelligenter Phrasierung.

Aufhorchen ließ die wunderschöne Tenorstimme von Linard Vrielink als Stimme des jungen Seemanns und als Hirte. Allesamt profitierten die Sängerinnen und Sänger vom sehr stimmenfreundlichen Bühnenbild (seitlich, nach hinten und nach oben abgeschlossen), welches der Regisseur Dmitri Tcherniakov (wie stets bei seinen Arbeiten) selbst entworfen hatte. Dabei hielt er sich im Wesentlichen an die von Wagner für die drei Akte vorgegebenen Spielorte: Im ersten Akt sind wir bei Tcherniakov wirklich an Bord eines Schiffes (nicht auf Deck zwar, aber immerhin …), nämlich in einer Art Cocktaillounge im Bug einer Luxusjacht, edel mit Holz getäfelt, die Männer in schicken Anzügen (Kostüme: Elena Zaytseva), die beiden Frauen natürlich in Highheels, eleganten Hosen und Pullovern.

Wie meistens leider in heutigen Inszenierungen bleibt die Natur, die Aussenwelt ausgesperrt. Das Wetter verfolgen wir auf einem Seeradarbildschirm, auf dem auch ab und an der weite Horizont über dem Meer sichtbar wird. Immerhin kann Brangäne dann anhand der Seekarte Isolde zeigen, wo sie sich gerade befinden. Von der Personenführung her allerdings überzeugt dieser Akt bei weitem am meisten. Gelungen fand ich insbesondere den hysterischen Lachanfall, in welchen Tristan und Isolde nach der Einnahme des Liebestranks verfallen, sich die Bäuche haltend am Boden wälzen.

Die hohen Bäume im Garten von König Markes Burg im zweiten Akt sind auch da, aber nur auf den hässlichen Tapeten des Salons im Stil der Fünfzigerjahre, mit Glasschiebetür, die sich zu einem Konferenzraum öffnet. Hier also sollen sich Tristan und Isolde erotisch näher kommen, doch die Szene gerät zu einer gepflegten Vorlesung über die Liebe, wobei sich die beiden in den beigen Cocktailsesseln gegenübersitzen, eine Annäherung, geschweige denn eine sexuelle Anziehungsbegierde nicht stattfindet.

Die Jagdgesellschaft labt sich erst mal am Sekt und bricht dann betrunken mit den Gewehren fuchtelnd auf. Zwar ist TRISTAN UND ISOLDE ein Werk, das sich ganz aus dem Innern der Personen heraus entwickelt, doch müssen die die äußeren Einflüsse, welche diese Verinnerlichung in Gang setzen, irgendwie doch plausibel und verständlich über die Rampe kommen.

Melot (Stephan Rügamer macht das stimmlich prima) hier zum Beispiel würgt Tristan am Ende des zweiten Aktes nur leicht, fügt ihm also keine tödliche Wunde zu. Trotzdem siecht dieser dann im dritten Akt in seinem ehemaligen Elternhaus (ein düsteres, lange nicht mehr gelüftetes Zimmer mit Alkoven und schönem Gusseisenofen und Stockflecken auf den hässlichen Tapeten) dahin, betreibt mit Unterstützung Kurwenals Selbstanalyse. Kurwenal holt den Englischhorn Spieler auf die Bühne, die Musik mit der alten Weise soll Tristan bei seiner Reise in die Vergangenheit beflügeln. Dieser hat nun Visionen von seinen Eltern, Vater und Mutter, die er nie gekannt hat.

Diese tauchen in Tcherniakovs Inszenierung dann auch tatsächlich in Fleisch und Blut auf, der Papa lässt sich von der Mama die Socken wechseln, sie stellt einen Wecker. Diesen Wecker stellt Isolde dann auch am Ende ihres Schlussgesangs, bevor sie die Vorhänge des Alkovens zieht. Nein, ich mag verrätselte Inszenierungen nicht, sie lenken mich vom Genuss der Musik ab. Vielleicht reicht mein Intellekt dazu nicht aus, dann soll der Regisseur seine Ideen bitte zumindest im Programmheft erklären, vielleicht ist das alles ja sogar schlüssig. Trotz einiger Vorbehalte gegenüber der Inszenierung – langweilig war der Abend nicht, die Spannung, welche Barenboim und die Staatskapelle Berlin im Graben aufbauten, übertrug sich zeitweise auch auf die Bühne. Standing ovations am Ende als Barenboim wie immer das gesamte Orchester auf der Bühne feiern ließ. Verdient.

Kaspar Sannemann 4.3.2018

Bilder siehe unten Premierenbesprechung!