Berlin: „Strawinsky“, Marco Goecke

Der neue Abend des Staatsballetts mit dem Titel Strawinsky vereint zwei Schlüsselwerke der klassischen Moderne – die in Paris von den Ballets Russes uraufgeführten Ballette von Igor Strawinsky Petruschka und Das Frühlingsopfer. Die Kombination des Abends bezog ihren Reiz aus der Gegenüberstellung von zwei konträren und unterschiedlichen Stilen angehörenden Choreografien.

Die Burleske in vier Bildern Petruschka aus dem Jahre 1911 ist eine Arbeit von Marco Goecke, die 2016 ihre Uraufführung beim Ballett Zürich erlebte. Das streitbare Idiom des Choreografen sorgte auch hier für kontroverse Meinungen – ungeachtet des großen Erfolgs am Ende. Die schwarz ausgeschlagene Bühne von Ausstatterin Michaela Springer und ihre unspezifischen Kostüme mit schwarzen Hosen erlaubten keine lokale und zeitliche Einordnung des Geschehens. Das ausgelassene Treiben auf dem Jahrmarkt erschloss sich dem Zuschauer ebenso wenig wie Petruschkas unglückliche Liebe zur Ballerina. Bestimmend für die Aufführung war Goeckes motorischer, „pathologischer“ Tanzstil, der die Tänzerinnen und Tänzer zucken, zittern und zappeln lässt. Das ist eine originelle und eigenwillige Sprache, die in manchen Momenten durchaus fasziniert, sich aber auf Dauer abnutzt und ermüdet. Wie die Mitglieder des Staatsballetts allerdings die anspruchsvollen Vorgaben des Choreografen umsetzten, die Bewegungen in staunenswerter Synchronität ausführten, war so verblüffend wie bewundernswert.

(c) Revazov

Alexandre Cagnat mit weißer Halskrause war ein anrührender Interpret der Titelrolle, in seiner Aura dem berühmten französischen Pantomimen Marcel Marceau ähnelnd. Sein schief gelegter Kopf ließ ihn unsagbar traurig erscheinen und Mitgefühl erwecken. Der abgehackte Bewegungsduktus imaginierte tatsächlich eine Marionette; das Lachen, Quietschen und die Worte im Diskant erhöhten die surreale, groteske Wirkung der Figur. Petruschkas Rivale um die Gunst der Ballerina (Alizée Sicre) war David Soares, ein eitel posierender Kraftprotz; Federico Spallita imponierte als Scharlatan (der früher als „Mohr“ betitelten Rolle) mit bedrohlicher Ausstrahlung. Ihm fällt Petruschka schließlich zum Opfer, aber Goecke bleibt beim Original und lässt den Geist der Puppe wieder auferstehen.

(c) Revazov

Nach der Pause folgte eine Ikone des Tanztheaters – Pina Bauschs Choreografie Das Frühlingsopfer, die 1975 vom Wuppertaler Tanztheater uraufgeführt wurde und nun als Koproduktion mit der Pina Bausch Foundation in der Originalausstattung von Rolf Borzik nach Berlin kam. Auf dem mit Sand bedeckten Boden evozieren die aus dem Dunkel heraus geleuchteten Frauen anfangs eine aufgeregte Atmosphäre. Schutz suchend vereinen sie sich immer wieder zu einer Gruppe, entbehren trotz der dramatischen Situation auch nicht der Anmut. Stampfend und in animalischer Wildheit stürmen die Männer herein. Aggressiv und voller Gewalt ist ihr Bewegungsduktus. Der Anführer der Gruppe wählt ein Mädchen aus, das in einem archaischen Ritual geopfert werden soll. In einem roten Kleid tanzt Clotilde Tran (auf dem Besetzungszettel unverständlicherweise nicht explizit ausgewiesen) die Erwählte mit phänomenalem physischem Einsatz und einem Ausdruck von existentieller Panik. Immer wieder bricht sie zusammen, rafft sich wieder auf, um schließlich in einen trancehaften Todestanz zu verfallen. Die Solistin und alle Tänzerinnen und Tänzer (darunter Polina Semionova, Iana Balova, Arshak Ghalumyan, Johnny McMillan u. a.) erzeugten mit ihrer Darbietung eine berstende Spannung, die sich danach in einem Beifallsorkan des Premierenpublikums entlud. Giuseppe Mentuccia leitete die Staatskapelle Berlin, modellierte all die grotesken musikalischen Elemente des Petruschka plastisch heraus und bot den Sacre mit geschärften Konturen und expressiver Wucht.

Bernd Hoppe, 12. Juni 2023

Nach der Pause folgte eine Ikone des Tanztheaters – Pina Bauschs Choreografie Das Frühlingsopfer, die 1975 vom Wuppertaler Tanztheater uraufgeführt wurde und nun als Koproduktion mit der Pina Bausch Foundation in der Originalausstattung von Rolf Borzik nach Berlin kam. Auf dem mit Sand bedeckten Boden evozieren die aus dem Dunkel heraus geleuchteten Frauen anfangs eine aufgeregte Atmosphäre. Schutz suchend vereinen sie sich immer wieder zu einer Gruppe, entbehren trotz der dramatischen Situation auch nicht der Anmut. Stampfend und in animalischer Wildheit stürmen die Männer herein. Aggressiv und voller Gewalt ist ihr Bewegungsduktus. Der Anführer der Gruppe wählt ein Mädchen aus, das in einem archaischen Ritual geopfert werden soll. In einem roten Kleid tanzt Clotilde Tran (auf dem Besetzungszettel unverständlicherweise nicht explizit ausgewiesen) die Erwählte mit phänomenalem physischem Einsatz und einem Ausdruck von existentieller Panik. Immer wieder bricht sie zusammen, rafft sich wieder auf, um schließlich in einen trancehaften Todestanz zu verfallen. Die Solistin und alle Tänzerinnen und Tänzer (darunter Polina Semionova, Iana Balova, Arshak Ghalumyan, Johnny McMillan u. a.) erzeugten mit ihrer Darbietung eine berstende Spannung, die sich danach in einem Beifallsorkan des Premierenpublikums entlud. Giuseppe Mentuccia leitete die Staatskapelle Berlin, modellierte all die grotesken musikalischen Elemente des Petruschka plastisch heraus und bot den Sacre mit geschärften Konturen und expressiver Wucht.

Bernd Hoppe 12. Juni 2023


Strawinsky

Igor Strawinsky

Staatsballett Berlin in der Staatsoper

Premiere am 10. Juni 2023

Choreografien von Marco Goecke und Pina Bausch

Musikalische Leitung: Giuseppe Mentuccia

Staatskapelle Berlin