Berlin: „Der fliegende Holländer“, Richard Wagner

Nur ein Traum

Auch nach wiederholtem Besuch der Holländer-Produktion, nun nach dem Schillertheater in der Staatsoper unter den Linden zu besichtigen, ursprünglich aber aus Basel stammend, ist der Moment sehenswert, in dem aus dem Riesenmeeresgemälde Dalands Matrosen in sein mit Büchern gut bestücktes Studierzimmer springen, in dem Senta über dem Bild vom Fliegenden Holländer gerade eingeschlafen ist. Das Bühnenbild von Philipp Stölzl, der auch die Regie geführt hat, und von Conrad Moritz Reinhardt ist ein wirkliches Highlight, vor allem, wenn es dann noch ein Bild im Bild und in diesem wiederum ein Bild gibt, der Horizont ein immer weiterer zu werden scheint und gegen Ende sogar der Holländer, der unter Deck Frauen in Kostümen aus unterschiedlichen Jahrhunderten gefangen hält, zu einer Art Blaubart-Light wird. Die Geschichte selbst spielt in der Entstehungszeit der Oper, ein Fluchtkoffer, mit dem Erik erscheint, um Senta dem Banne des Holländers zu entreißen, erinnert den Zuschauer daran, dass er sich in Regietheaterzeiten befindet.

© Matthias Baus

Verwirrend wird es am 7. Juni für die vielen Schüler auch der Mittelstufe gewesen sein, dass es plötzlich zwei Sentas und zwei Holländer gab, die eine mit einem rechten Stinkstiebel zwangsverheiratet, der zum Glück stumm bleibt und von ihr gegen Ende abgemurkst wird, die andere Senta ebenfalls stumm, ein Traumgebilde, so wie die Erlösung des Holländers ein Traum Sentas ist. Musikalisch ist das nicht unproblematisch, wenn beim großen Duett der beiden der Holländer weit aus dem Bühnenhintergrund zu hören ist, während Senta sich auch akustisch weit präsenter von der Rampe her vernehmen lässt. Dass allgemeine Verwirrung herrschte, war auch daran zu merken, dass die stumme Senta beim Schlussapplaus erst einmal einen Riesenbeifall einheimste, weil sie für den singenden Sopran gehalten wurde.

© Matthias Baus

Ungetrübte Hörerfreuden verbreitete der noch im Opernstudio weilende Tenor Magnus Dietrich mit seinem Steuermann, dem er eine frische, technisch sichere Stimme schöner Farben verlieh. Seine Entwicklung kann man mit freudigem Interesse verfolgen. Wohl kurzfristig eingesprungen war als eigentliche Luxusbesetzung Andreas Schager als Erik, den er mit einer tristangestählten Heldentenorstimme voller Aplomb anging, den Verdacht beim Hörer nährend, dass er der Partie eigentlich entwachsen ist. Ein auch optisch beeindruckender Daland war Jan Martinik, der, abgesehen von der Extremhöhe, akustisch mit tiefschwarzer, dabei geschmeidiger Präsenz erfreute. Eine Luxusbesetzung war die Mary von Marina Prudenskaya, die in dieser Produktion nicht fleißige Spinnerinnen, sondern eher säumige Raumpflegerinnen anführt. Optisch mit ihrem mädchenhaften blonden Double durchaus mithalten konnte Vida Miknevičiūtè mit schlankem, durchschlagskräftigem Sopran, der nur in der Extremhöhe manchmal scharf und schneidend klang. Ein Paradebeispiel nicht nur für eine kluge Rollengestaltung der Titelfigur, sondern auch für eine ebensolche der Gesamtkarriere ist Gerald Finley, dessen Holländer sich durch eine beispielhafte Textverständlichkeit, kluge Einteilung der Stimmreserven und fein differenzierende Rollengestaltung auszeichnete. Wenn dem Bariton die Partie oft zu tief, dem Bass zu hoch liegt, so zeigte der englische Bassbariton weder die eine noch die andere Schwäche.

© Matthias Baus

Beeindruckend meisterte der Chor seine unterschiedlichen Aufgaben als lebende und untote Seeleute und als derselben harrende Liebsten (Chorleitung Martin Wright). Oft mehr lärmend als sich im Forte ausdrückend, allerdings im Verlauf der Vorstellung allmählich zu einer mehr werkadäquaten, d.h. die unterschiedlichen Stimmungen vermittelnden Orchesterleistung führte Matthias Pintscher die Staatskapelle, die man aus vorangegangenen Vorstellungen dieses Werks in besserer Erinnerung hatte.       

Ingrid Wanja, 8. Juni 2023


Der Fliegende Holländer

Richard Wagner

Staatsoper Berlin

20. Vorstellung am 7. Juni 2023 nach der Premiere am 28. April 2013

Inszenierung: Philipp Stölzl

Bühne: Philipp Stölzl und Conrad Moritz Reinhardt

Musikalische Leitung: Matthias Pintscher

Staatskapelle Berlin