In den letzten Jahren wird die populärste Oper von Walter Braunfels, die nach der Uraufführung 1920 in München bis zu ihrem Verbot in den 30er-Jahren sehr erfolgreich war, wieder häufiger aufgeführt, auch in mittleren Häusern wie z.B. Osnabrück, Oldenburg und jetzt Braunschweig. Braunfels (1882 bis 1954), der die Arbeit an der Oper 1913 begann, wurde 1915 eingezogen und kehrte erst zum Ende des 1.Weltkrieges in seine Heimatstadt Frankfurt a.M. zurück. Im von ihm selbst verfassten Libretto, das auf das Stück von Aristophanes aus dem Jahr 415 v. Chr. zurückgeht, wird aus der Komödie eine Tragödie, indem die erlebten Zeitumstände mit einfließen. Es wird deutlich, wie schnell Diktaturen entstehen können, was gerade heute hochaktuell ist.

Die beiden verwöhnten Großstädter Ratefreund und Hoffegut suchen nach dem Reich der Vögel, um sich ganz der „Kunst“ zu widmen und die bisherigen Zerstreuungen hinter sich zu lassen. Ratefreund, machtbewusst und gewitzt, entwirft den Plan zu einer befestigten Stadt in den Lüften namens Wolkenkuckucksheim. Diese Residenz soll so prächtig werden, dass sie den Vögeln die Herrschaft über die Götter und Menschen sichert. Der Wiedehopf, der König der Vögel, berät mit seinem Volk über den Plan. Zunächst dominieren die Gegner, denn mit den Menschen haben viele Vögel sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Doch schließlich siegt der Wille zur Macht, Begeisterung greift um sich und alle nötigen Aufgaben bei den Bauarbeiten von der Beschaffung des Mörtels bis zur Wasserversorgung werden auf die Vögel verteilt. In einer Vollmondnacht trifft der empfindsame Hoffegut auf die Nachtigall und lässt sich von deren Gesang verzaubern. Schließlich ist die imposante Vogel-Stadt errichtet, und alle Beteiligten freuen sich über ihren Erfolg. Prometheus tritt auf und warnt die Vögel vor den Folgen ihres Hochmuts. Noch „schlafe“ Göttervater Zeus, doch wenn er aufwache, werde sein Zorn fürchterlich sein. Ratefreund lässt sich von Prometheus nicht beirren und stachelt die Vögel zum Krieg gegen die Götter auf. Ein gewaltiges von Zeus ausgelöstes Gewitter endet in der totalen Zerstörung von Wolkenkuckucksheim. Wenig berührt von diesem tragischen Ende, kehren Ratefreund und Hoffegut in ihre Stadt zurück. Ratefreund sehnt sich bereits zurück nach heimischer Gemütlichkeit, Hoffegut hängt mit seinen Gedanken ganz der Nachtigall nach, die allein es wert gewesen sei, in die Welt der Vögel aufzubrechen.

In der Braunschweiger Inszenierung der Parabel über menschliche Hybris vermeidet Regisseurin Kerstin Steeb bewusst jede Aktualisierung und setzt auf ein äußerst fantasiereiches Ambiente, das im ersten Teil eine karge Gebirgslandschaft ist, in dem die Vögel in ausladenden, detailverliebten Kostümen stark beeindrucken (Ausstattung: Lorena Días Stephens, Jan Hendrik Neidert). Wohl aus umbautechnischen Gründen wird das lange, berühmte Duett zwischen Hoffegut und der Nachtigall an den 1. Akt angehängt, sodass nach der Pause das Wolkenkuckucksheim als eine riesige Überwachungsanlage erscheint, deren Energie von den Vögeln im Geschoss unter dem „Big-Brother-Auge“ erzeugt wird. Die Choreografin Valeria Liva sorgt mithilfe eines kleinen Bewegungschors dafür, dass auch die Choristen sich als Vögel individuell tiergerecht verhalten und nach der Rede des sich zum Diktator aufspielenden Ratefreund völlig einheitliche, sozusagen gleichgeschaltete Bewegungen machen.
Die musikalische Ausführung hatte in der besuchten Vorstellung in allen Bereichen sehr hohes Niveau: GMD Sraba Dinic hatte den großen Apparat fest im Griff und sorgte am Pult des in allen Instrumentengruppen ausgezeichneten Staatsorchesters mit gewohnter Präzision und mit jeweils deutlich hervorhebender Zeichengebung dafür, dass die spätromantische, mit zahlreichen Wagner-Anklängen versehene Partitur mehr als nur angemessen zur Geltung kam.

An erster Stelle aus dem insgesamt hochklassigen Gesangsensemble ist eine der Braunschweiger Publikumslieblinge zu nennen: Ekaterina Kudryavtseva beherrschte die stimmtechnisch höchst anspruchsvolle Partie der Nachtigall bravourös. Die vielen extremen Höhen schienen ihr ebenso wie die schönen Legato-Passagen vor allem im Duett mit Hoffegut keinerlei Probleme zu machen. Dieser wurde von Mirko Roschkowski verkörpert, der nicht nur Lyrisches ausdrucksstark zu gestalten wusste, sondern auch tenoralen Glanz verbreitete. Mit ihm drang Ratefreund ins Reich der Vögel ein, dem Michael Mrosek, aus mehreren Partien in Braunschweig in guter Erinnerung, mit seinem überaus flexiblen Bariton so starkes rhetorisches Gewicht verlieh, dass ihm die Vögel sofort in allem folgten. Besonders gefiel auch das Braunschweiger Ensemblemitglied Maximilian Krummen als Wiedehopf, König der Vögel; er führte seinen volltimbrierten Bariton mit bestem Legato durch alle Lagen. Mit durchgehend volltönendem Bassbariton imponierte Johannes Schwärsky als warnender Prometheus. Als klarstimmiger Zaunschlüpfer – besser bekannt als Zaunkönig – überzeugte die Israelin Galina Benevich; dass sie alberner Weise wohl wegen des Namens fast ständig mit heruntergezogenem Schlüpfer agieren musste, ist ihr nicht anzulasten. In kleineren Rollen ergänzten Isabel Stüber Malagamba mit charaktervollem Mezzo (Drossel) und Florian Spiess mit kräftigem Bass (Rabe/Adler). Wieder präsentierte der Chor in der Einstudierung von Johanna Motter trotz beweglichen Spiels gut ausgewogene, mächtige Klänge.
Das Publikum in der Nachmittagsvorstellung war begeistert und spendete starken Beifall.
Gerhard Eckels, 14. April 2025
Die Vögel
Oper von Walter Braunfels
Staatstheater Braunschweig
Besuchte Vorstellung am 13. April 2025
Premiere am 29. März 2025
Musikalische Leitung: Sraba Dinic
Inszenierung: Kerstin Steeb
Staatsorchester Braunschweig
Weitere Vorstellungen: 16. April + 3.,9., 17.,29. Mai + 15. Juni 2025