Das traditionelle Neujahrskonzert des Staatsorchesters Braunschweig fand diesmal nicht in der Stadthalle, die nun endlich saniert wird, und auch nicht in der für Klassik-Konzerte deutlich überdimensionierten VW-Halle statt, sondern im Großen Haus des Staatstheaters. Angekündigt war ein Abend unter dem Motto „Die Zwanziger – und es glänzt mehr als Gold“; damit waren offensichtlich nicht nur Werke aus den so genannten „goldenen“ 1920er-Jahren gemeint, sondern die überaus vielfältigen Stilrichtungen, die man damals in den Metropolen erleben konnte. Wie man es in Braunschweig inzwischen gewöhnt ist, setzte sich auch diesmal die Programmgestaltung von der Walzer- und Operetten-Seligkeit üblicher Neujahrskonzerte deutlich ab. Nur die Ouvertüre zu „Gräfin Mariza“ von EmmerichKálmán, der „Delirien Walzer“ von JosefStrauss und Paul Linckes Ouvertüre zu „Frau Luna“ mögen Zugeständnisse an Gängiges gewesen sein.
Das vielschichtige Konzert begann fast klassisch mit einer Ouvertüre von Louise Farrenc, einer der ganz wenigen Komponistinnen, die noch zu Lebzeiten berühmt waren. Auf energische Herausforderungen der tiefen Streicher antworteten schöne Bläserkantilenen und erzeugten damit eine durchweg positive Stimmung. In der folgenden „Mariza“-Ouvertüre und dem „Delirien Walzer“ sorgte Braunschweigs GMD Sraba Dinic mit gewohnter Präzision in der Zeichengebung für schwungvolles Musizieren des in Bestform aufspielenden Staatsorchesters. Die Moderation des Abends hatte diesmal mit Götz van Ooyen ein Publikumsliebling aus dem Braunschweiger Schauspielensemble, der humorig über die nötigen Fakten informierte. Dabei stellte er dem Publikum ein Musikrätsel zum weitgehend unbekannten Orchesterstück „Erinnerung an Bartfeld“ des ungarischen Komponisten Béla Kéler, das streckenweise an einen weit berühmteren Komponisten des 19. Jahrhunderts erinnert. Die Lösung: Johannes Brahms hatte diesen Teil zu seinem „Ungarischen Tanz Nr.5“ gemacht. Mit der 1928 entstandenen Orchester-Suite „Der gläserne Berg“ wies das Staatstheater auf Walter Braunfels hin, dessen Oper „Die Vögel“ ab Ende März 2025 auf dem Spielplan steht. In der musikalisch gefälligen Suite mit märchenhaftem Inhalt, in dem eine Königstochter einen verzauberten Prinzen erlöst, gab es manch Tonmalerisches zu hören („reitet auf dem weißen Wolf“ oder „…wandeln durch den Sternenraum“), das in vielfältiger Farbigkeit und Instrumentation erreicht wurde, angereichert durch zahlreiche, ausgezeichnet präsentierte Soli aus allen Gruppen des Staatsorchesters.
Flott und schwelgerisch („Schlösser, die im Monde liegen“) eröffnete die „Frau Luna“-Ouvertüre den zweiten Teil des Konzerts. Die folgenden drei Stücke waren eher unbekannt: So hörte man das Konzertstück „Subito con forza“ der koreanischen Komponistin Unsuk Chin, dass 2020 anlässlich des 250. Geburtstags Beethovens entstanden ist. „Die enormen Kontraste von Vulkanausbrüchen bis hin zu extremer Gelassenheit“ bei Beethoven (Unsuk Chin) finden sich mit noch gesteigerter Wucht in dem schlagzeuglastigen Stück, in dem virtuose Klaviergirlanden, rasende Streicher-Läufe und schillerndes Schlagwerk eine ganz eigene Farbigkeit entstehen lassen. Glänzend erfüllte das Staatsorchester die hohen Anforderungen dieser technisch anspruchsvollen Komposition. Das gilt auch für die folgende, etwas langatmige Bühnenmusik-Suite „Sturm“ des als „politischer Komponist“ geltenden Hanns Eisler, in der die jeweils abrupten Abschlüsse der einzelnen Teile der Suite überraschten. Schließlich bildete das tänzerisch mitreißende Stück „Archipelago Rhumba“ des amerikanischen Komponisten George Antheil aus den 1950er-Jahren das offizielle Ende das Neujahrskonzert 2025.
Als Zugabe gab es den wohl unvermeidlichen Radetzky-Marsch, der das Publikum noch nicht so recht aus der Reserve locken konnte. Erst nach der zweiten Zugabe, dem äußerst schmissig servierten „Can Can“ aus Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“, gab es den verdienten, begeisterten Applaus für alle Mitwirkenden.
Gerhard Eckels, 3. Januar 2025
Neujahrskonzert
am 2. Januar 2025
Staatstheater Braunschweig
Musikalische Leitung: Sraba Din
Staatsorchester Braunschweig