Braunschweig: „Salome“, Richard Strauss

Die Braunschweiger Neuinszenierung des spannungsgeladenen Einakters durch Operndirektorin Isabel Ostermann überrascht durch die örtliche und zeitliche Verlegung der biblischen Geschichte in die Gegenwart. Das Einheitsbühnenbild von Stephan von Wedel zeigt einen modernen, mit einer Sitzgruppe karg möblierten und durch bodenlange Store-Vorhänge begrenzten Bungalow, in dem alle in zeitgerechter Kleidung (Julia Burkhardt) agieren. Offensichtlich feiert der betuchte Herodes seinen Geburtstag, zu dem auch seine Stieftochter Salome erschienen ist. Wie ihre ersten Worte „Ich will nicht bleiben. Ich kann nicht bleiben.“ zeigen, bereut sie es schnell, zur Geburtstagsfeier in ihre Familie zurückgekommen zu sein. Nur ihre Neugier auf den fremden Gast Jochanaan zwingt sie zum Bleiben. Hier wird schon das insgesamt überzeugende Konzept der Regisseurin deutlich, das zeigt, wie sehr Menschen durch ihre Kinder- und Jugendzeit im Kreis der Familie geprägt werden und wie das in Gewalt und psychische Störungen ausarten kann, wenn die Familie so ist wie die von Herodes und seiner Frau Herodias, die ja in erster Ehe mit Herodes‘ Bruder verheiratet war, den Herodes über Jahre gefangen gehalten hatte, bis er starb. Nachdem er die Witwe seines Bruders geheiratet hatte, hatte er die Doppelrolle als Salomes Onkel und Stiefvater auszufüllen.

Matthew Peña/ Milda Tubelyté/Dorothea Herbert (© Joseph Ruben Heicks)

Im Folgenden werden durch kluge Personenregie die Beziehungen der Angehörigen der kaputten Familie zueinander und zum fremden Gast offengelegt. Zwischen Salome und dem anfangs im Hintergrund mit Herodes ins Gespräch vertieften Jochanaan entsteht ein höchst ambivalentes Verhältnis, indem sich beide zugleich anziehen und abstoßen. Während Salome Jochanaans Körper lobt und dann wieder verachtet, treibt sie erotische Spielereien mit dem sie verehrenden Narraboth, wohl um Jochanaan eifersüchtig zu machen. Offen bleibt, ob Salome Narraboth getötet hat oder er sich selbst – jedenfalls bringt sie ihm ein Obstmesser, bevor er tot zu Boden sinkt. Auch folgerichtig ist, dass Jochanaan nicht irgendwo eingekerkert ist, sondern sich frei im Bühnenraum bewegt. Schließlich überzeugt auch, dass es natürlich keinen abgeschlagenen Kopf des Propheten gibt. Der berühmte Tanz der Salome erklingt nur aus dem Graben; zugleich erscheinen auf dem schwarzen Zwischenvorhang einige Texte, die Adultismus, die Machtungleichheit zwischen Kindern und Erwachsenen,erläutern. Wenn der Vorhang wieder aufgeht, sind Möbel und Vorhänge verschwunden, und Jochanaan ist mit durch ein großes Pflaster verschlossenem Mund an eine der Vorhang-Streben gebunden. Später bindet Salome auch ihre „Eltern“ an Streben, wovon sie sich jedoch jederzeit selbst befreien können. Dadurch, dass Salome in ihrem Schlussgesang eigentlich nur ihren

(Stief-)Vater ansingt, wird deutlich, dass sie sich im Grunde an Herodes rächen will. Wer weiß, was er ihr alles angetan haben mag, als sie noch in der Familie zuhause lebte. Dass sie schwere psychische Probleme hatte und noch immer hat, zeigt, dass sie sich nach Narraboths Tod durch Ritzen der Arme selbst verletzt.

Ursula Hesse von den Steinen/Hans-Georg Priese/Maximilian Krummen (© Joseph Ruben Heicks)

Die kleineren Partien, meist nur Stichwortgeber, sind in die moderne Familiengeschichte passend integriert: So sind die beiden Soldaten und der zum Kellner mutierte Cappadocier (jeweils zuverlässig Rainer Mesecke, Jisang Ryu und Maximilian Krummen)alles Bedienstete von Herodes; das gilt später auch für die beiden Nazarener, die ausgesprochen wohlklingend von Jesus von Nazareth berichten (Rainer Mesecke/Maximilian Krummen). Die Juden bleiben hinter der Bühne und stellen später im stimmtechnisch überaus komplizierten Quintett von verschiedenen Positionen im Parkett und 1. Rang aus ihre Meinungen prägnant in den Raum (Matthew Peña, Yuedong Guan, Steffen Doberauer, Sungmin Kang und Jisang Ryu).

Die Premiere war neben der stimmigen Regie dank Srba Dinić auch ein musikalisches Ereignis. Wie der GMD mit überaus präziser, immer auch animierender Zeichengebung die faszinierenden Klänge der Strauss’schen Partitur herausarbeitete, das hatte wieder einmal besonderes Format. Das stark besetzte Staatsorchester war in allen Instrumentengruppen in Hochform und bewältigte die hohen technischen Anforderungen mit Bravour. Dazu kamen die durchweg ausgezeichneten Leistungen aller Sängerinnen und Sänger: Zuerst ist hier in der übermäßig fordernden Titelpartie Dorothea Herbert zu nennen. Ihr war ja aufgegeben, die in die Familie zurückkehrende Salome – anders als im Libretto vorgesehen – als eine schon eine ganze Reihe anderer Erfahrungen mitbringende Frau darzustellen, was ihr glänzend gelang. Wie sie außerdem mit ihrem durchschlagskräftigen Sopran die vielen aberwitzigen Intervalle ihrer Partie sauber und absolut höhensicher meisterte, das hatte wirklich ganz hohes Niveau.

Dorothea Herbert/Michael Mrosek (© Joseph Ruben Heicks)

Jochanaan war mit druckvollem, markantem Bariton Michael Mrosek, der dessen zwiespältiges Verhältnis zu Salome eindrucksvoll verdeutlichte. Sehr beweglich in der Darstellung des übernervösen Herodes war Hans-Georg Priese, dessen flexibler Charaktertenor gut zur Partie des Tetrarchen passte. Mit gut durchgebildetem Mezzo gefiel Ursula Hesse von den Steinen als Herodias. Teilweise glanzvolle Tenortöne ließ als Narraboth Matthew Peña hören, während Milda Tubelyté (Page/Sklave) wieder durch ihre kultivierte Stimmführung positiv auffiel.

Im leider nur mäßig besetzten Haus gab es starken, mit Bravos durchsetzten Beifall für alle Mitwirkenden und das Regieteam.

Gerhard Eckels, 10. Dezember 2023


Salome
Musikdrama von Richard Strauss

Staatstheater Braunschweig

Premiere am 9. Dezember 2023

Inszenierung: Isabel Ostermann
Musikalische Leitung: Sraba Diníc
Staatsorchester Braunschweig

Weitere Vorstellungen: 15.,22.,30.Dezember 2023 + 5.,10.,19.,21.,26. Januar + 1.,11. Februar 2024