Darmstadt: „Jenůfa“

Dernière am 21. Mai 2017

Großes Glück

Janacek in Deutschland war und wird kein Kassenschlager für die Opernhäuser! So auch wieder einmal erlebt bei seinem Meisterwerk „Jenufa“ in einer hervorragenden Inszenierung von Dirk Schmeding am Staatstheater Darmstadt.

Sehr erfreulich, dass es endlich einmal Janacek in deutscher Übersetzung gab! Gerade bei ihm, der so sehr von der Sprache her arbeitet, ist der sprach-emotionale Textbezug außerordentlich bedeutsam. Erinnern wir uns an den großen Rafael Kubelik, der sich in seiner Wirkungszeit immer für Aufführungen von Janaceks Opern in der Landessprache einsetzte. Und das erscheint mir völlig richtig! Insbesondere, wenn ein Großteil der Besetzung deutsche Muttersprachler sind. Alle Sänger dieser Aufführung verschmolzen mit dem zu singenden deutschen Text auf außergewöhnliche Weise. Das waren keine bloßen Töne und Rhythmen, sondern gelebtes Leben mit jeder Silbe! Leider eine Seltenheit!

Das Glück wäre vollkommen gewesen, wäre das Publikum in den Genuss der sog. „Prager Fassung“ gekommen, die über die Jahrzehnte hinweg gespielt wurde. Die vielfach kritisierten Retuschen an der Instrumentierung werten m. E. Jedoch die Partitur außerordentlich farblich auf. Nun also die sog. „Originalfassung“, die „Brünner Fassung“, die recht graufarbig daherkommt und der Partitur viel an Wirkung nimmt.

Dirk Schmedings Inszenierung ist eine ungemein überzeugende Arbeit. Das Stück bleibt visuell in seiner ursprünglichen bäuerlichen Örtlichkeit verhaftet. Die Personenführung wirkt schlüssig und immer natürlich. Der Handlungssog baut sich kontinuierlich auf und nimmt die Zuschauer gefangen. Sehr genau hat Schmeding in die Musik hinein gehört. Nebenfiguren wie Jano oder der Altgesell werden deutlich aufgewertet. So feuert der Altgesell Stewas Feiergesellschaft gehörig an. Er ist es auch, der den toten Leichnam des Säuglings auf die Bühne bringt. Die Interaktion zwischen den handelnden Personen ist geradezu perfekt und lassen immer wieder an einen Filmablauf denken. Viele Details sind gelungen. Unvergesslich Jenufas Fassungslosigkeit, als sie erfährt, dass Stewa nun Karolka heiratet. Oder die irrlichternde, wahnsinnige Küsterin, die im 3. Akt auf dem Steg des Orchestergrabens lange auf und ab geht und damit dem Publikum extrem nahe kommt. Prägnant auch das Bild, als erst Laca und dann gemeinsam mit Jenufa das Grab für das tote Kind am Ende der Oper ausheben. Auch das Bühnenbild folgt dem Werk aus dem mährischen Bauersleben. So gibt es in der Bühnengestaltung durch Martina Segna vielerlei Heuballen zu sehen und farbige, ländliche Kostüme, die Frank Lichtenberg entwarf.

Katharina Persicke ist eine empfindsam, herbe Jenufa, die sehr gut die Entwicklung nachvollzieht. Ihr lyrischer Sopran bleibt meist auf Linie und wird nicht künstlich groß gemacht. Die totale Identifikation mit der Rolle war begeisternd, wie auch ihre hohe Textverständlichkeit. Als Küsterin war Kammersängerin Katrin Gerstenberger zu bestaunen. Denn derart vielschichtig und farbenreich habe ich diese Künstlerin bis dato noch nicht gehört. Die Küsterin lebt vor allem durch einen exponierten Wort-/Tonbezug, Schöngesang ist da eher störend. Somit warf sich Gerstenberger nahezu selbstvergessen in die hohen Anforderungen ihrer Partie. Eindringlich, erschütternd und bewegend sang und gestaltete sie ihre Rolle. Marco Jentzsch als Laca war eine gute Wahl. Darstellerisch sehr präsent und stimmlich mit heller Tenorstimme sicher, blieb er seiner Partie keine Nuance schuldig. Auf Augenhöhe agierte Mickael Spadaccini als Stewa. Er war eine formidable Besetzung für diesen Leichtfuß, darstellerisch total enthemmt und mit ungewöhnlich großer Spinto-Stimme, die auch die heiklen Höhenflüge mit Jenufa im Duett gut meisterte. Auch die mittleren und kleineren Rollen waren überzeugend besetzt, wie z.B. Elisbeth Hornung als pasthose Alte Burya oder Thomas Mehnert als sonorer Altgesell.

Der spielfreudige Chor in der Einstudierung von Thomas Eitler-de-Lint machte seine Sache vorzüglich.

GMD Will Humburg befeuerte seine Damen und Herren im Graben im Dauereinsatz! Und das Staatsorchester Darmstadt war in Geberlaune. Sehr ausbalanciert in den einzelnen Gruppen, hart und schlagkräftig in den Forte-Stellen, aber auch berückend intim in den lyrischen Stellen, wie z.B. im kantablen Violinsolo bei Jenufas großer Soloszene im 2. Akt.

Das halbvolle Haus feierte am Ende eine packende Aufführung von hoher Geschlossenheit. Bleibt zu hoffen, dass im angedachten Janacek-Zyklus des Staatstheaters auch die übrigen Werke auf Deutsch einstudiert werden. Und diese Jenufa sollte als Wiederaufnahme kommen. Ein der besten Aufführungen dieses Werkes!

Bilder (c) Staatstheater Darmstadt

Dirk Schauß 22.5.2017