Hannover: „Die macht des Schicksals“

Premiere am 30. Januar 2016

Schuld und Rache

Brigitte Hahn

In der Neuinszenierung verlegt Frank Hilbrich die von unglaublichen Zufällen und Schicksalsschlägen gebeutelte Handlung der Verdi-Oper in unsere Zeit, die leider immer noch ähnliche Strukturen aufweist, so dass Rassismus, Ehrenmorde, Kriege und nachlassende Menschlichkeit gerade wieder hochaktuell sind. Die Verknüpfung der Grundstrukturen der drei traumatisierten Protagonisten, die von ihren Schuld- und Rachegefühlen gepeinigt werden, und dem Volk, das die drei Phasen – Frieden, Krieg und als Folge hier geistige Armut – durchläuft , gelingt dem Regisseur recht gut. Nicht erschlossen hat sich mir, warum es – anders als im Libretto – einleuchtender sein soll, dass Alvaro die Pistole Leonora in die Hand drückt, die ihr etwas später vom Marchese entrissen wird, wobei er sich quasi aus Versehen selbst erschießt. Mit Kinder-Doublen zu arbeiten ist nicht mehr neu und als Holzhammer für die Zuschauer absolut überflüssig. Interessanter ist da schon die Entscheidung, die Hauptfiguren konsequent stark altern zu lassen, so dass sich Carlo und Alvaro schließlich als behinderte Greise den Schlusskampf liefern.

Xavier Moreno/Brian Davis

Um eine schnelle Szenenfolge zu ermöglichen, bediente man sich der Drehbühne (Volker Thiele), die mit einfachen Durchgängen oft auch während der Szene (leicht knarrend) bewegt wurde. Völlig albern war allerdings der erste Auftritt Alvaros durch den Kleiderschrank im Wohnzimmer! Solche Albernheiten setzten sich u.a. bei den weihnachtlichen Mützen zu den Karo-Hemden der Bauern und Leonoras Verkleidung im Weihnachtsmann-Outfit fort (Kostüme: Gabriele Rupprecht).

Brian Davis/Monika Walerowicz/Chor

Musikalisch ließ die Aufführung Wünsche offen: Von Stefan Klingele hätte das Orchester für die stimmlich weniger auftrumpfenden Sänger noch mehr gezügelt werden müssen; ausgezeichnet waren die einige Arien begleitenden Instrumentalsolisten, allen voran der Solo-Klarinettist, während man das Cello-Solo ganz schnell vergessen sollte. Brigitte Hahn als Leonora war wieder einmal eine sichere Bank für saubere Spitzentöne und erfolgreich bemüht um eine ruhige Stimmführung in der Mittellage und Tiefe. In der „Pace“-Arie fehlte mir ein wenig an Feindifferenzierung, beispielsweise beim vierfachen „maledizione“-Schluss. Die intensive Darstellung scheiterte stellenweise an den abscheulichen Kostümen, angefangen bei dem für den reifen Frauenkörper unpassenden Kinderkleid bis zu dem im Laufe der Zeit immer mehr vergammelnden langen roten Kapuzen-Steppmantel als Obdachlose mit Einkaufswagen voller Plastiktüten, die beim Suchen nach der Pistole bereits bei der Ouvertüre und auch bei der „Pace“-Arie störend knisterten. Als Halb-Wilder mit verfilzten Rasta-Locken (Alvaro) trumpfte der Spanier Xavier Moreno mit durchschlagendem Tenor auf; bis auf wenige Intonationstrübungen in der Mittellage an lyrischen Stellen überzeugte er in dieser Rolle rundum. Darstellerisch hatte er auch unter dem Holzhammer zu leiden: Als er nach dem Krieg wieder zusammengeflickt auf Krücken erscheint, wird er trotz seiner Behinderung von Don Carlo schon direkt angegriffen (damit auch alle merken, wie schlecht die Menschen heute sind?). Zum Schluss muss er auch noch einen unsäglichen Ballonseiden-Jogginganzug unter der Mönchskutte tragen, damit er nun nach Übernahme des Einkaufswagens als Obdachloser davonziehen kann. Der bis ins hohe Alter fanatisch rachsüchtigen Don Carlo wird von Brian Davis gekonnt unsympathisch gespielt; sein kräftiger, gut durchgebildeter Bariton passte bestens für diese Partie.

Shavleg Armasi/Brigitte Hahn

Eine aufreizende Preziosilla war Monika Walerowicz in greller Fantasie-Uniform, die mit leichtem, sauberen Koloratur-Mezzo überzeugte. Mit balsamisch fließendem Bass, ausgeglichen in allen Lagen war Shavleg Armasi ein präsenter Pater Guardiano der Extra-Klasse. Dieser große innere Ruhe ausstrahlenden Stimme hätte man gerne noch länger zugehört. Weiter entwicklungsfähig scheint mir das gute Stimmmaterial von Karel Martin Ludvik, dem es noch ein wenig an Durchsetzungskraft fehlt; als Fra Melitone kämpfte er vergeblich, die Menschen vom Kriegswahnsinn abzulenken oder durch Lektüre zur Sinnhaftigkeit zu verhelfen. Einen wohltönenden Marchese von Calatrava gab Michael Dries. Auch die übrigen kleineren Partien waren solide und rollendeckend besetzt.

Chor und Extrachor hatten durch die sehr lebhafte Bewegungs-Regie nicht immer die optimale Verbindung zum Graben, gaben aber ihr Bestes, so dass es bei leichten Wacklern (z.B. im „Rataplan“-Chor) blieb (Dan Ratiu).

Der Beifall im mäßig besetzten Haus war endenwollend.

Bilder: Jörg Landsberg

Marion Eckels 17. Februar 2016

Weitere Vorstellungen: 4.+15.3., 4.+15.5., 5.6.2016