Hannover: „Die Zirkusprinzessin“, Emmerich Kálmán

Für die Inszenierung von Emmerich Kálmáns drei-aktiger Zirkusprinzessin von 1926, der dritt-bekanntesten seiner Operetten nach Czardasfürstin (2015) und Gräfin Mariza (2024), hatte man Felix Seiler engagiert, der sich intensiv mit dem Stoff auseinandergesetzt hat. Für ihn steht neben den üblichen Verwechsel-Spielen der Liebe vor allem der sozialkritische Aspekt trennender gesellschaftlicher Schichten im Fokus, der leider auch heute noch aktuell ist.

Kurz zum Inhalt: Die junge Witwe Fürstin Fedora Palinska hat dem sie umwerbenden Prinzen Sergius einen Korb erteilt und wird nun das Opfer seiner perfiden Rache. Um sie zu einer Zirkusprinzessin zu erniedrigen, bringt er sie mit dem mysteriösen geigenden Akrobaten Mister X zusammen, den sie als „Prinz Korossow“ kennen- und lieben lernt. Der intrigante Prinz Sergius jedoch weiß nicht, dass Mister X, dem das Schicksal übel mitgespielt hat, schon früher in die Fürstin verliebt war und ebenfalls von blauem Blut ist. Hier trifft die Welt des Adels nun auf die vermeintlich niedrigste Gesellschaftsschicht, die Zirkuswelt, in der es ein Happyend wohl kaum geben kann. Dagegen liegt für das Buffopaar, Hotelbesitzersohn Toni und die Kunstreiterin Miss Mabel Gibson, das Happyend klar auf der Hand. Das Regieteam hatte sich entschieden, den in der Spannung deutlich nachlassenden 3.Akt zu streichen und die Operette tragisch ausgehen zu lassen. Nur die Heirat des Buffopaares wurde in den turbulenten 2.Akt eingearbeitet, der dann mit dem Todessprung von Mister X endete.

© Sandra Then

Die Ausstattung für die spannende und lebhafte Inszenierung Felix Seilers hatten  Timo Dentler und Okarina Peter übernommen. Geschickt wurde eine schmutzig-graue Zirkusarena für den 1.Akt angelegt, die durch eine variable, runde Vorhang-Wand den Spielort von außen nach drinnen verlegt werden konnte. Raffiniertes Lichtdesign (Susanne Reinhardt)  spiegelte dem Zuschauer dann die Kunstreiter oder Artisten vor. Der 2.Akt spielte offenbar im Dachgarten von Prinz Sergius‘ Palast, da die in passendem russischem Look der 20er Jahre gekleideten Akteure von unten auftraten oder abgingen, was manchmal holprig wirkte.

Toll war die Choreographie der vier Tanzpaare von Danny Costello, dessen eigene Musicalerfahrung deutlich einfloss; herrlich die acht „Mädels“ bei Die kleinen Mädeln im Trikot.

Die musikalische Leitung lag in Händen des jungen Kapellmeisters Giulio Cilona, der das Orchester zu flottem, allerdings häufig zu lautem Spiel animierte. Besonders eindrucksvoll gelangen das ineinanderfließende Wechselspiel mit der Bühnenmusik (Finale 1.Akt) und die vielen intensiv ausgespielten melancholischen Phasen.

© Sandra Then

Für den Geheimnis-umwitterten Mister X (ehemals Fedja Palinski) ist der junge Tenor Marius Pallesen aus Schwerin verpflichtet, dessen baritonales Timbre mit Kern und klangvolle Tiefe besonders auffielen. Leider warf er sich stimmlich zunächst mit zu viel Verve ins Geschehen, was dem Premieren-Fieber geschuldet sein mag. Daher klang auch sein Zwei Märchenaugen zunächst nicht ganz frei; erst im 2.Akt konnte er seine schöne, lyrische Stimme voll entfalten und auch mit dramatischen Akzenten überzeugen. Darstellerisch gab er gut konturiert den vor langer Zeit durch seine Degradierung Verstoßenen und im Zirkus Gelandeten, der dann endgültig daran zerbricht, dass seine geliebte Fedora nicht sofort von ihrem Standesdünkel lassen kann, als sie seine echte Geschichte erfährt. Diese „Titelrolle“ war der argentinischen Sängerin Mercedes Arcuri anvertraut. Mit bestens durch alle Lagen geführtem Sopran machte sie wieder von Alles nur pour l’amour an nachdrücklich auf sich aufmerksam. Unglaubwürdig war im Spiel nur ihre Reaktion auf die falsche Ankündigung Prinz Sergius‘, sie habe sich nun mit ihm verlobt; da wäre nach den vorangegangenen Tagen mit ihrer großen Liebe „Prinz Korossov“ eine vehementere Ablehnung passender gewesen. In großen Duetten wie Süßeste von allen Frauen oder War’s nur ein Traum verbanden sich die Stimmen sehr gut. Als intriganter Prinz Sergius setzte Daniel Eggert seinen prächtigen Bass bestens ein. Schauspielerisch zog er seine fiesen Strippen mit der notwendigen Arroganz und Überheblichkeit. Erst als er erkannte, dass der letzte Coup nicht gelungen war, sondern eines seiner Opfer sogar in den Tod getrieben wurde, zeigte er offen Betroffenheit wegen seiner Tat. Der Schluss gehörte dann ganz Fedora, die noch einmal zu dem tödlich verunglückten Mister X eilte und zu der Melodie der Zwei Märchenaugen abermals von dem Geliebten träumte.

© Sandra Then

Als ebenfalls geheimnisvolle Kunstreiterin Miss Mabel Gibson versuchte die niederländische Sopranistin Nikki Treurniet zunächst erfolgreich, sich der Avancen ihres Verehrers Toni zu erwehren. Köstlich ihr Song Wenn du mich sitzen lässt, fahr ich nach Budapest, den sie mit höhensicherer, leichter Soubrettenstimme witzig darbot. Ihr Toni war Philipp Kapeller, der seinen lyrischen Tenor bei den Kleinen Mädeln wirkungsvoll einsetzte. Im naiven Walzer-Duett Liese, komm mit mir auf die Wiese ergänzten sich die Stimmen Beider ausgezeichnet. Die beliebte Carmen Fuggiss gab in bewährter Manier Tonis Mutter Carla Schlumberger. Frank Schneiders und Marco Lee ergänzten als Zirkusdirektor und Regisseur das muntere Ensemble kongenial.

Nachdem auch einige herausstechende Tenorstimmen sich eingesungen hatten, entwickelte der Staatsopernchor in der Einstudierung von Lorenzo Da Rio wieder die gewohnte gute Homogenität.

Das Publikum dankte allen Beteiligten mit starkem, anhaltendem Applaus für den teils unterhaltsamen, teils doch sehr nachdenklich machenden Abend.

Marion Eckels, 26.11.2022


Emmerich Kálmán: „Die Zirkusprinzessin“

Staatstheater Hannover

Besuchte Premiere am 25.11.2022

Inszenierung: Felix Seiler

Musikalische Leitung: Giulio Cilona

Niedersächsisches Staatsorchester Hannover

Weitere Vorstellungen: 30.11. + 8., 10., 16., 18., 22., 31.12.2022 u.a.