Lieber Opernfreund-Freund,
der Innenhof des Mainzer Landesmuseums bietet derzeit die Kulisse für die letzte Spielzeitproduktion des dortigen Staatstheaters. Die in Kooperation mit dem Festival della Valle d’Istria entstandene und dort im vergangenen Jahr präsentierte Ausgrabung L’Angelica des Barockkomponisten Nicola Antonio Porpora bietet unterhaltsames Sommertheater und beschert dem Publikum in der Lesart von Gianluca Falaschi einen vergnüglichen Abend.
Nicola Porpora gilt als einer der produktivsten Komponisten des frühen 18. Jahrhunderts. Dabei widmete er sich fast ausschließlich der Vokalmusik, hinterließ 40 Opern, sechs Dutzend Kantaten, zwei Oratorien sowie acht Serenaten. Zur letzten opernähnlichen Gattung, die nicht mit einer Serenade zu verwechseln ist, zählt L’Angelica, 1720 anlässlich des Geburtstags von Kaiserin Elisabeth Christine, Frau Karls VI., in Neapel uraufgeführt. In seinem allerersten Libretto stellt Pietro Metastasio die verführerische Angelica in den Mittelpunkt, eine Prinzessin und Zauberin, nach der sich die Männer verzehren. Unter ihnen ist neben Medoro auch Orlando, der dem einen oder anderen aus Ariostos Epos Orlando furioso bekannt sein dürfte. An der feinen Gesellschaft teilnehmen wollen auch die kecke Licori und ihr Geliebter Tirsi – einfältige Landeier und ungekünstelt im besten Wortsinne, die mit den Ränken der oberen Zehntausend natürlich überfordert sind und deren Liebe dazwischen fast aufgerieben wird.
Gianluca Falaschi, der das Mainzer Publikum 2022 schon mit einer ausdrucksstarken Adriana Lecouvreur beglückte, strafft die dreieinhalbstündige Spielzeit des Werkes auf knackige 90 Minuten – und das tut ihm sehr gut. So entfaltet es seinen Witz gewissermaßen in komprimierter Form, die feinen Melodien und stimmungsvollen Arien reihen sich ohne ermüdende Längen aneinander. Damit ist der Grundstein gelegt für einen unterhaltsamen Abend. Die Handlung lässt Falaschi an einer ausladenden barocken Tafel spielen, die mit üppigen Köstlichkeiten gedeckt ist, und kleidet die höfische Gesellschaft in ausladende Roben. Mit viel Gespür für Situationskomik erzählt er die Irrungen und Wirrungen der Geschichte, ohne in Plattitüden zu verfallen und legt den feinen Esprit des Werkes frei. Dass dabei alles so gut gelingt, ist vor allem auch der exzellent disponierten Statistenriege zu verdanken. Mit ansteckender Spielfreude und liebevoll ausgespielten Details kommentieren die jungen Damen und Herren die Handlung der Hauptprotagonisten.
In der Titelrolle zeigt Nadja Stefanoff eine weitere Facette ihres wandlungsfähigen Soprans. In den vergangenen Jahren hat man sie oft als Verismo-Heldin besetzt, und sie war neben Manon Lescaut, Adriana Lecouvreur und Fedora auch im Repertoire des 20. Jahrhunderts beispielsweise als Madame Lidoine (Dialogues des Carmélites) oder Martha (Die Passagierin) zu erleben. Ihr gelingen gleichermaßen barocke stimmliche Schlankheit, die sie immer wieder mit Ausbrüchen voller Feuer würzt, wie perlende Koloraturen. Dazu kommt ein fesselndes, ja fast betörendes Spiel. So verfallen ihr nicht nur das Publikum, sondern auch die Ensemblemitglieder Julietta Aleksanyan und Karina Repova. Erstere zeigt als Medoro einen wunderbar gefühlvollen Sopran, letztere lässt die Geschlechtergrenzen fast vollends verschwimmen (ein Extra-Bravo für die exzellente Maske von Chefmaskenbildner Guido Paefgen und seinem Team), mischt ihrem satten Mezzo fast gutturale Töne bei und gibt auch darstellerisch vollkommen den verzweifelt verliebten Orlando. Aus Italien eingeflogen hat man Barbara Massaro und Gaia Petrone, die beide schon in Istrien das Liebespaar Tirsi und Licori dargestellt hatten. Barbara Massaro steht ihrem berühmten Vorgänger Farinelli, der als Tirsi vor mehr als 300 Jahren sein Operndebut gegeben hatte, bezüglich der im nachgesagten unglaublichen stimmlichen Geläufigkeit in nichts nach und rührt bei aller technischen Vollkommenheit doch auch emotional. Gaia Petrone verkörpert die Licori mit jeder Faser und singt dazu ganz wunderbar. Ebenfalls aus Italien kommt das Orchester La Lira di Orfeo, das unter der Leitung von Barockfachmann Felice Venanzoni Porporas ungehörte Partitur für das Mainzer Publikum in all ihren Facetten aufblättert. Die Bäume im Innenhof des Landesmuseum umrahmen das Bühnengeschehen, als hätte Gianluca Falaschi sie dort hingestellt, immer wieder überfliegen Tauben und zwitschernde Vögel die Szene und im Laufe der Aufführung senkt sich die Dämmerung herab. Diese Stimmung unwillkürlicher Natürlichkeit macht den Abend voller musikalischer Leichtigkeit und szenischem Witz perfekt.
Ihr
Jochen Rüth, 15. Juli 2023
„L‘Angelica“ , Serenata von Nicola Antonio Porpora
Premiere: 13. Juli 2023
Inszenierung, Bühne und Kostüme: Gianluca Falaschi
Musikalische Leitung: Felice Venanzoni
La Lira di Orfeo
Weitere Vorstellungen: 16., 19. und 21. Juli