Mainz: „The Fall of the House of Usher“, Philip Glass

Am Staatstheater Mainz gelingt eine eindringliche Umsetzung von Philip Glass‘ Oper The Fall of the House of Usher. Das Publikum betritt den Aufführungsort über Wege, die sonst den Künstlern vorbehalten sind und nimmt auf der Bühne Platz. Dort sind Tribünen hufeisenförmig angeordnet, mit dem offenen Ende zum leeren Zuschauerraum hin. Der Bühnenrand wird von Musikern eines Orchesters in Kammerstärke gesäumt. Inmitten der Bühne befindet sich in nachtschwarzer Dunkelheit das Stahlskelett eines Turms, in dessen Innern Treppen zu kleinen Plateaus auf unterschiedlichen Höhen führen (Bühnenbild von Matthias Werner): Dieses Gebilde steht für den titelgebenden Stammsitz der Familie Usher, einem Adelsgeschlecht, das in Edgar Allan Poes berühmter Erzählung im Aussterben begriffen ist und nur noch aus dem letzten Sproß Roderick und seiner Schwester Madeline besteht. Auf dem Bühnenboden vor dem Turm und innerhalb des Gerüsts sind Flachbildschirme verteilt.

© Andreas Etter

Noch ehe der erste Ton erklingt, zucken darauf Bildblitze auf, dazu tönen aus Lautsprechern die Jingles der gängigen Nachrichtensendungen, Wortfetzen vermischen sich zu einem undurchdringlichen Stimmengewirr. Aus dem Zuschauerraum nähert sich, über die rot gepolsterten Sitze kletternd, ein Darsteller, der sich zunächst auf Deutsch an das Publikum wendet, zur einsetzenden Musik Bühne und Hausskelett erreicht und sich schließlich als William, Jugendfreund des Roderick Usher zu erkennen gibt (bei Poe ist der Erzähler namenlos). Dieser habe ihn in einem eindringlichen Brief um sein Kommen gebeten. Brett Carter singt diesen Erzähler mit klarem, kernigen Bariton. Bei seiner Ankunft findet er den Freund im Zustand größter Angespanntheit vor. Mark Watson Williams zeichnet den Roderick als von einer inneren Unruhe Gequälten mit nervösen Ticks. Stimmlich gibt er seiner Figur mit klarem lyrischen Tenor Profil. Wo es nichts zu singen gibt, muß er immer wieder ächzen und stöhnen. Seine schlichte schwarzer Kleidung das fahl geschminkte Gesicht und halblanges flachsblondes Haar zeichnen auch seine Schwester Madeline aus (Kostüme: Lucia Vonrhein). Als weiteres Personal spuken ein humpelnder Diener (Doğuş Güney) und ein zwielichtig-androgyner Arzt (Georg Schießl) durch das Hausskelett.

Bei Edgar Allan Poe bleibt das Verhältnis der Geschwister zueinander rätselhaft: Inzest wird angedeutet, aber auch eine tiefenpsychologische Deutung der Madeline als Verkörperung der dunklen Seite Rodericks liegt nahe. Wenn sie schließlich stirbt und in einen Sarg gebettet wird, klingt das in Poes Werk zentrale Motiv des Lebendig-Begrabenseins an (in der Mainzer Produktion legt sie sich stattdessen in einen schwarzen Leichensack, dessen Reißverschluß sie selbst von innen zuzieht). Es bleibt sogar unklar, ob Madeline tatsächlich existiert oder lediglich eine Wahnvorstellung ist. Die Musik nimmt dies auf, indem sie die weibliche Hauptfigur keinen Text, sondern nur Vokalisen singen läßt. So erklingt Maren Schwiers Sopran zunächst sirenenhaft wie ein Soloinstrument über repetierenden Harmoniegerüst des Orchesters. Die langen instrumentalen Passagen erinnern dabei stark an Muster des zeitgleich entstandenen Violinkonzerts des Komponisten, dem Gidon Kremer zu Popularität verholfen hat.

© Andreas Etter

Immer wieder kriecht Kunstnebel am Boden vor den Zuschauern vorbei, der sich mit dem kreisenden Haus in Bewegung setzt und verwirbelt wird. Dieses Kreisen, der ruhig über den Boden wabernde Nebel und die minimalistische Musik erzeugen einen eigentümlichen Sog und nehmen dem Publikum das Zeitgefühl. Die Inszenierung von K. D. Schmidt ist dort am stärksten, wo sie auf diese tranceartige Wirkung vertraut und dort am schwächsten, wo sie diese mit allerlei Aktionismus unterläuft. Der Regisseur tut aber gut daran, sich einer konkreter Verortungen des Geschehens und Deutungen zu enthalten und läßt damit der Geschichte ihr Geheimnis. Ebenso tut Paul-Johannes Kirschner am Pult des Orchesters gut daran, die Musik selbst dann nicht zu überhitzen, wenn sich das Bühnengeschehen zuspitzt. So finden Szene und Musik zu einer werkadäquaten Haltung und verschaffen dem Publikum ein intensives Musiktheatererlebnis.

Michael Demel, 18. Februar 2025


The Fall of the House of Usher
Philip Glass

Staatstheater Mainz

Premiere am 14. Februar 2025

Inszenierung: K. D. Schmidt
Musikalische Leitung: Paul-Johannes Kirschner
Philharmonisches Staatsorchester Mainz

Weitere Aufführungen: 8. und 23. März, 7. und 17. April, 9. und 30. Mai sowie 7. Juni 2025