Besuchte Vorstellung 18.10.2020
Premiere 24.01.2020
Diejenigen, die die Freude hatten, einen Platz zu ergattern, hatten mehr als Spaß an der heiteren Geschichte des „Märchens im Grand Hotel“
Als die Premiere der Paul Abraham Operette am 24. Januar mit riesigem Erfolg über die Bühne ging, ahnte niemand, dass kurz danach durch einen fürchterlichen Virus das Theaterleben für Monate gestoppt werden würde. Umso mehr freute man sich, dass man endlich wieder ins Theater konnte. Nach sieben gezwungenen Absagen von Aufführungen in diesem Jahr, konnte ich erstmals wieder mit einer kleinen Gruppe nach Meiningen fahren, und unsere 36 Musikfreunde nahmen einen beachtlichen Platz der wenigen Plätze im wunderschönen Theater Meiningen ein. Es ist schon eigenartig, wie wenige Fürsprecher die Kunst in der Politik zu besitzen scheint. In einem Opernhaus, mit eingehaltenen Hygieneregeln, und die wurden an diesem Nachmittag gut eingehalten, geht aus meiner Sicht kaum eine größere Gefahr der Ansteckung aus. Wie auch, Musikliebhaber, vor allem des klassischen Bereiches, sitzen brav auf ihrem Platz, reden nicht, weil sie die Sänger auf der Bühne hören und sehen wollen, geraten nicht in schweißtreibende Ekstasen, wie bei manchen Rockkonzerten und verstehen einfach nicht, dass man gerade diese Sparte so im Regen stehen lässt. Es ist unendlich traurig mitanzusehen, wie eine Handvoll von Musikliebhabern, einem begeisterungsfähigen Ensemble gegenübersitzt, die nichts weiter wollen als ihrem Beruf nachzugehen und Freude zu verbreiten. Und dies haben sie an diesem Nachmittag mehr als genug getan. Man merkt richtig, mit welcher Leidenschaft, mit welchem Herzblut die Künstler dabei sind, froh, endlich wieder ihre Kunst, für die und mit der sie leben, an ihr Publikum zu bringen, welches ebenfalls mehr als froh ist, dass die „stumme Zeit“ endlich – wenn auch nur für einige Wochen – vorbei ist. Nach dieser Vorstellung ist es auch verständlich, warum der Bayerische Rundfunk den Klassikpreis „Frosch“, verliehen von der Sendung Operetten-Boulevard, genau an dieses Stück vergeben hat. Eine große Auszeichnung für ein doch relativ unbekanntes Paul Abraham Märchen.
Über den Inhalt der beschwingt leichten Operette brauche ich nichts weiter zu schreiben, dies hat umfassend und ausführlich meine Kollegin Claudia Behn getan.
Die musikalische Seite ist eine Mischung aus einer ganzen Reihe musikalischer Stilelemente, da kommt auch sehr das revuehafte hervor, der Jazz, der Foxtrott, auch Stepptanz und insgesamt ist es so eine Art Musicaloperette. Schwungvoll, schmissig, rassig, dem Publikum jedenfalls gefällt es ausgezeichnet.
Die etwas verkleinerte Meininger Hofkapelle musiziert unter der Leitung von Harish Shankar, und er macht seine Sache recht gut. Vielleicht trägt das Orchester bei einigen moderneren Musikpassagen etwas zu viel auf, vielleicht werden die Übergänge nicht ganz so sicher gefunden, insgesamt gesehen, ist es jedoch eine recht gute Leistung und man merkt auch dem Orchester an, wie froh alle darüber sind, wieder in ihrem Metier zu agieren. Die Regie hat Roland Hüve übernommen und er versucht Abraham zu modernisieren. Die Handlung wird in unsere Zeit verlegt, mit Handy, Tablets, Fernsehserien aus Netflix und ähnlichem. Er versucht hier zu entstauben, was eigentlich gar keiner Entstaubung bedarf. Aber irgendwie passt auch dieses Konzept und mir persönlich gefällt diese leichte, schwungvolle und auch musikalisch reizvolle Operette ausgenommen gut. Gerade in der heutigen Zeit will man nichts weiter tun, als sich zu entspannen. Ob die Ansätze mit der Pandemie, es wird ständig desinfiziert und geputzt, so hätte sein müssen, bezweifle ich etwas. Der Virus macht uns seit Monaten zu schaffen, da brauchen wir nicht auf der Bühne auch damit konfrontiert zu werden. Ausgezeichnet sind die Tanznummern des Stücks, für deren Choreographie Marie-Christin Zeisset verantwortlich zeichnet und die mit zu den Höhepunkten der Aufführung gehören. Das Bühnenbild, das von Christian Rinke zurückhaltend, mit geringen Mitteln aber dennoch recht stimmig verantwortet wird, bietet eine geräumige schräge Hotelhalle mit wenig Inventar, viel gemalten Hintergründen und immer wieder eine von oben sich ins Bild schiebende Videoleinwand, in welcher die Protagonisten zusätzliche Einblicke in das Geschehen geben. Für diese recht gelungenen Videoeinspielungen ist Jae-Pyung Park zuständig. Fügt sich gut ein, passt sich an und ist eine optisch gelungene Abwechslung. Die Kostüme von Siegfried E. Mayer sind farbenfreudig, teilweise sogar etwas luxuriös, auf jeden Fall schöne bunte Farbtupfer im Geschehen.
Eine gute Operette steht und fällt mit den Hauptpersonen, den Sängern und Schauspielern. Und hier hat man in Meiningen fast noch nie einen Ausfall gehabt, es ist beeindruckend, welch gute Künstler man hier herbekommt und wie lange man sie teilweise auch halten kann. Das ist für ein Theater dieser Größenordnung schon eine außergewöhnliche Leistung an der der rührige Intendant Ansgar Haag seinen nicht geringen Anteil hat.
Die Rolle der Isabella, Infantin von Spananien wird von der in Kaiserslautern geborenen Sopranistin Anne Ellersiek gegeben, die seit vier Jahren in Meiningen engagiert ist. Und sie macht dies ausgezeichnet. Ihr Sopran besitzt genügend Leuchtkraft, ist klar und kraftvoll und kann auch mit einer stimmlichen Dramatik überzeugen, ist aber ebenso zu zarten zurückhaltenden Tönen fähig. Sowohl in ihren Soloauftritten als auch in den Duetten mit Prinz Andreas Stephan, dem Hotelbesitzer Chamoix oder dem Zimmerkellner Albert weiß sie mehr als zu überzeugen. Auch darstellerisch kann sie sich sehr gut in Szene setzen und liefert insgesamt eine überdurchschnittliche Leistung ab. Der Applaus, der leider nur spärlich plätschern kann, aber das liegt nicht an den hervorragenden Künstlern, sondern an den wenigen Musikfreunden, die das Glück hatten, eine Karte zu ergattern, erfreut die Solisten sichtlich. Als der sie schmachtend verehrende und verliebte Zimmerkellner Albert (der er ja auch nicht ist) kann sich der blutjunge in Flensburg geborene Bariton Jonas Böhm eindrucksvoll vorstellen. Der gerade einmal 28 Jahre alte Künstler hat einen schönen weichen und flexiblen Bariton, den er jetzt schon gekonnt einsetzen kann. Er singt und spielt den etwas tollpatschigen liebestollen Verehrer ausgezeichnet. Er wird zum Dreh- und Angelpunkt der Aufführung und kann in allen Belangen mehr als voll überzeugen. Man leidet mit dem unglücklich bzw. glücklich Verliebten so richtig mit. Freuen wir uns, was er in Zukunft noch auf die Bretter, die die Welt bedeuten, stellen kann. Als Marylou, die Tochter des Filmagenten kann die in Stegaurach bei Bamberg geborene Deutsch-Französin Natalie Parsa mehr als überzeugen. Den Bamberger Rezensenten freut es umso mehr, dass mit ihr, die eine äußerst starke Bühnenpräsenz besitzt, eine Künstlerin sich einbringt, die den gesamten Raum beherrscht, egal, ob sie tanzt, steppt oder auch singt, sie ist in allen Bereichen beeindruckend. Als Gast in Meiningen bringt sie, die ich als exzellente Musicaldarstellerin bezeichnen darf, Feuer, Leidenschaft und Können auf die Bühne und dies im besten Sinn. Eine ganz tolle Leistung der Künstlerin. Ich bin überzeugt, dass wir von ihr in der Zukunft noch einiges erwarten können. Freuen wir uns darauf.
Als Prinz Andreas Stephan bringt sich der in Ferrara, in Italien geborene junge Bariton Giulio Alvise Caselli ein, und auch er macht dies beeindruckend. Wie ein eitler Pfau stolziert er durch das Hotel, mit schmeichelndem warmem und weichem Bariton lässt er in den Soli wie auch in den Duetten aufhorchen. Auch er eine rollendeckende Erscheinung, dass er auch darstellerisch alle Möglichkeiten voll ausschöpft, sei nur am Rande erwähnt. Als Gräfin Inez de Ramirez weiß die Sopranistin Cordula Rochler sich in Szene zu setzen und fügt sich, vor allem auch vom gestalterischen her, bruchlos in das Ensemble ein. Herrlich ist es, wie sie beispielsweise die Fassung verliert, man fühlt richtig mit ihr mit und sie bringt auch eine große Portion Humor in ihre Rolle ein. Als Hotelbesitzer Präsident Chamoix weiß dann der polnische Tenor Stan Meus, der seit über 20 Jahren auf der Bühne in Meiningen steht, voll zu überzeugen., Das Meininger Urgestein kann mit hellem, klaren und energischem Tenor zu gefallen, dass er darstellerisch und komödiantisch eine außergewöhnliche Begabung ist, weiß das Publikum in Meiningen zu schätzen und gibt auch ihm den wohlverdienten reichlichen Beifall. Keinerlei Ausfälle bei den weiteren Darstellern, die überwiegend im schauspielerischen glänzen und diese Operette zu einer richtig runden Sache werden lassen. Als Großfürst Paul imponiert Matthias Herold, als Hoteldirektor Matard weiß sich Jan Kämmerer in Szene zu setzen und der gebürtige Arnstädter Peter Liebaug gibt dem Filmagenten Sam Makintosh Profil und Gestalt. Auch die weiteren Darsteller machen ihre Sache mehr als gut, es ist kein einziger Ausfall zu verzeichnen.
Langanhaltender, für die wenigen Besucher, die dies miterleben durften, fast schon ein gewaltiger Applaus, für ein unbekanntes Werk von Paul Abraham, welches nur eines will, nämlich zu unterhalten. Und das ist auf das trefflichste gelungen. In dieser momentanen Zeit, von der wir alle hoffen, dass sie bald vorübergehen möge, braucht man keine ernsten, traurigen oder hochtrabenden Stücke, nein, die Musik Paul Abrahams, die flott, frisch und belebend herüberkommt, ist genau die richtige Medizin für diese kranken Zeiten.
Manfred Drescher, 26.10.2020
Fotos Marie Liebig