Ein Galafest der Stimmen und „Standing Ovations“ in Meiningen
Aufführung 27.10.2013 (Wiederaufnahme 15.09.13)
Eine Aufführung, die man so schnell nicht vergisst
Mit fast 60 Freunden fuhr ich nach Meiningen, um mir „Der Puritaner“ von Vincenzo Bellini anzusehen und anzuhören. Und ich habe viel Überzeugungsarbeit gebraucht, dass all meine Freunde mitfuhren, denn Bellini und die Puritaner, was ist denn das? Kaum einer kannte die Oper, ganz wenige versprachen sich viel von der Aufführung und kaum einer wird sie je vergessen, nach einer denkwürdigen Aufführung in Meiningen. Und mit Aussprüchen wie „denkwürdig“ bin ich eigentlich recht vorsichtig, zu viele Aufführungen habe ich in meinem Leben schon erleben dürfen. Und wie schon so oft, fährt man auch wieder mit gemischten Gefühlen aus Meiningen nach Hause, denn zu oft, sind die grandiosen Sänger, die hier fast wie am Fließband verpflichtet werden, nach nur einer oder zwei Spielzeiten an größere Häuser abgewandert – und auch hier wird es wieder so kommen und man kann nur hoffen, dass das Händchen für Stimmen in Meiningen noch lange erhalten bleibt, damit man immer wieder einmal eine solche Sternstunde der Oper erleben darf.
Die Opern von Vincenzo Bellini werden leider nicht so oft aufgeführt, und das liegt nicht daran, dass sie schlecht sind, im Gegenteil, sondern in erster Linie daran, dass es sehr schwer ist, Sänger zu finden, welche den immens hohen Anforderungen dieser Belcantooper gewachsen sind. Meiningen tat gut daran, gerade diesen Opernschmachtfetzen auf seinen Spielplan zu setzen, denn so begeistert wurde hier schon lange keine Oper mehr gefeiert. Bellini gilt als der Meister des wunderschönen Klanges, der musikalischen Linie, der musikalischen Genüsse und Lüste, des reinen Wohlklanges, des italienischen Belcanto schlechthin und als ein Komponist, der auch die Seele berührt.
Xu Chang Stephanos Tsirakoglou und Elif Aytekin Foto-ed
Die Handlung ist eigentlich schnell erzählt. Die Hochzeit steht im Zentrum und um die junge Elvira Walton kämpfen der puritanische Oberst Sir Richard Forth und Lord Arthur Talbot, der ein Anhänger der Stuarts ist. Dem Glück von Arthur und Elvira stehen die Machtkämpfe zwischen Katholiken und Protestanten entgegen, Waffengewalt regiert und alles droht im Kampf zu versinken. Elvira muss mit ansehen, wie ihr Verlobter Arthur Talbott mit Henriette von Frankreich flieht, einfach um deren Leben zu retten. Sie, die sich verlassen fühlt und Arthur fälschlicherweise als untreu zu sehen glaubt, verfällt zusehends dem Wahnsinn (aus dem sie Gott sei Dank wieder entfliehen kann). Die Flucht scheitert und sowohl die Fürstin als auch ihr Helfer Arthur werden zum Tode verurteilt. Jedoch Oliver Cromwell, der siegreich aus der Schlacht heimkehrt, vollzieht die Wende und es kommt – außergewöhnlich für eine eigentlich tragische Oper – zu einem wunderschön anrührenden Happy End. Diese ganze Handlung jedoch wird durch die wunderschöne Musik Bellinis in den Hintergrund gedrängt. Im Vordergrund steht diese Musik, die herrlichen Melodien und vor allem auch die sehr starken Chorszenen, die sich durch das ganze Werk hindurchziehen und die allein schon für berauschenden Kunstgenuss sorgen.
Dae-Hee Shin, Elif Aytekin ,Roberto Cassani, Ernst Garstenauer, Ensemble Foto-ari
Der Regisseur Bernd Dieter Müller hat dies alles in ein schlüssiges Konzept gesteckt, er betont durch seine zeitlose Interpretation, durch den Verzicht auf historischen Pomp, die Musik – und die ist stets im Vordergrund und sie weiß dies weidlich auszunutzen. Beeindruckende Chorszenen (einstudiert durch Sierd Quarré) bestimmen die Oper, Sonderapplaus auch für den Chor, der so oft und dominant nur in wenigen Werken gefordert ist und dies mit Bravour erledigt, allein die Chorszenen wären schon einen Besuch der Oper wert. Die Meininger Hofkapelle ist gut aufgelegt und wird mit sicherer, straffer Hand von Leo McFall geleitet. Er lässt den Sängern auch den notwendigen Freiraum und deckt sie nicht mit Orchesterwogen zu. Und nun im Einzelnen zu den Sängern, es gab in der ganzen Besetzung niemand, der abgefallen wäre, oder den man mit der barmherzigen Gnade der Nichterwähnung schützen müsste, nein, alles fügte sich homogen zu einem Ganzen. Stimmgewaltig in der kleineren Partie des Generalgouverneurs der Puritaner war Stephanos Tsirakoglou als Lord Gualtiero Valton. Immer präsent, sein Bruder Sir Giorgio, Oberst a.D. der Puritaner und väterlicher Freund Elviras, der überzeugend und mit schöner, warmer Stimme von Ernst Garstenauer gegeben wurde. Enrichetta di Francia, die Witwe von Charles I. wurde von der Mezzosopranistin Carolina Krogius sowohl gesanglich als auch darstellerisch rollendeckend verkörpert, ebenso wie Roberto Cassani als Sir Bruno Robertson, Offizier der Puritaner. Sie alle trugen dazu bei, dass es stimmlich eine stimmige Inszenierung wurde.
Elif Aytekin als Elvira, Chor Foto-ari (3)
Ja – und dann waren da die drei Hauptpartien, bei denen man nicht weiß, welcher man die Krone aufsetzen darf, auf ihre Weise haben sie diese alle drei verdient. Die Sopranistin Elif Aytekin verkörperte die liebende, scheinbar Verlassene, dem Wahnsinn verfallende und aus ihm sich wieder lösende Elvira, die Tochter Lord Valtons. Und wie sie diese Figur verkörperte war einzigartig, sowohl von ihrer stimmlichen Verkörperung, als auch ihrer darstellerischen Intensität. Mit einer gewaltigen Stimmkraft, die man diesem zarten Persönchen gar nicht zugetraut hätte, einer brillanten Koloraturtechnik und einem Piani, bei welchem die Töne messerscharf hingehaucht im Raum stehen, in einem Raum, bei dem sich aus dem Publikum dabei kaum einer zu atmen wagt. Eine Ausnahmesängerin und -darstellerin mit Sicherheit, die stimmlich nicht nur voll überzeugt, sondern auch berührt. Ich will keine Vergleiche zu den großen Primadonnen, die diese – teilweise mörderisch schwere Partie – schon gesungen haben ziehen, bin mir aber sicher, dass man von Elif Aytekin in der Zukunft noch viel hören wird. Ihr zur Seite Xu Chang als ihr Verlobter Lord Arthur Talbot. Ich habe ihn schon öfter in Meiningen erlebt, aber noch nie so intensiv und mit einer stimmlichen Gewalt, die fast den Theatersaal sprengte. Noch lange habe ich mich im Bus mit einem mitgefahrenen Orchestermusiker „gestritten“, ob Chang das hochgestrichene E oder F gesungen hat. Wir haben uns dann beide auf das F geeinigt, es war beeindruckend und es gibt mir Sicherheit nicht viele Tenöre, die diese stimmlichen Voraussetzungen mitbringen. Dass Xu Chang ein bisschen die darstellerischen Qualitäten und die Leichtigkeit im Spiel fehlten, war vollkommen unerheblich und eine Kritik daran, die etliche Rezensionskollegen hier angebracht haben, kann man eigentlich nur als beckmesserisch bezeichnen. Ich war jedenfalls von beiden Protagonisten begeistert – und mit mir das fast ausverkaufte Haus, das in endlosen Jubel ausbrach. Und hier ist noch der dritte im Bunde zu erwähnen, der unglaublich sichere, klangschöne mit warmer tragender Stimme singende Dae-Hee Shin, der auch zu den Säulen des Meininger Musiktheaters zählt, als Sir Riccardo Forth, Oberst der Puritaner. Alle drei brachten das anwesende Publikum „zum Kochen“ und am Ende, als nach fast drei Stunden viel zu früh der Vorhang fiel, brachte es den Künstlern stehende Ovationen. Und diese hatten sich alle auch redlich verdient. Ich gebe gerne zu, dass mir sich heute beim Schreiben noch die Gänsehaut aufzieht, wenn ich an dieses musikalische Extraerlebnis zurückdenke.
Schlussapplaus: Xu Chang, Elif Aytekin, Dae-Hee Shin Foto-Eigenaufnahme
Die Fahrt nach Meiningen war ein einmaliges Erlebnis, welches ich so schnell nicht vergessen werde, bereits im Dezember werde ich die drei Hauptprotagonisten wieder in der Oper „Rigoletto“ erleben dürfen und ich freue mich wahnsinnig darauf und hoffe gleichzeitig, dass der Gang zu größeren Opernhäusern noch ein bisschen aufgeschoben werden möge. Selten bin ich von einer Opernaufführung so beeindruckt und aufgewühlt nach Hause gefahren. Ein Edelstein ist in Meiningen zu bewundern, dessen Glanz sich weiter ausbreiten sollte.
Manfred Drescher, 02.11.2013