Meiningen: „Tristan und Isolde“

1. März 2013

Meiningen liegt nicht gerade ums Eck, wenn man aus Wien kommt. Aber die 700 km Anfahrt in den Thüringer Wald war dieser Abend auf jeden Fall wert, denn einen Tristan wie Andreas Schager sieht man heute auf den europäischen Opernbühnen nicht jeden Tag. Bereits im Vorjahr zeigte der Niederösterreicher in Minden mit dieser Rolle, dass er auf dem besten Weg in die vorderste Reihe der Wagner-Interpreten ist. Diesmal hatte ich den Eindruck, dass er dort bereits angekommen ist. Das Südthüringische Staatstheater Meiningen bot ihm auch die ideale Bühne und mit dem Regisseur Gerd Heinz fand er einen alten Theaterhasen vor, der auf plakative Mätzchen verzichtete und mit konsequenter, präziser Personenführung eine „aufregend-altmodische“ Inszenierung auf die Bretter zauberte. Mit Richard Wagners Parsifal konnte der vom Schauspiel kommende 72-jährige (der u.a. das Züricher Schauspielhaus leitete) an diesem Theater bereits 2009 das Publikum begeistern.

Tristan und Isolde hatte Heinz aber in seiner über 50-jährigen Bühnenkarriere noch nie gemacht, das Team für Wagners größtes Liebespaar der Operngeschichte war das gleiche wie 2009: Bühnenbildner Rudolf Rischer und Kostümbildnerin Gera Graf sorgten für Ästhetik und Wohlfühlen, keine Maschinengewehre, keine grauen Anzüge, sondern wunderbare Ausstattungen mit gutem Geschmack.

Für den ersten Akt wurde der Bug eines Schiffes imposant und Titanic-like in die Bühnenmitte gestellt und die Drehbühne intelligent zum Einsatz gebracht. So spielen die intimen Szenen in Isoldes Refugium, geschickt wechselt Heinz die Schauplätze, um schließlich im Finale des ersten Aktes den Chor auf den Außendeck Aufstellung nehmen lässt, um die Ankunft bei König Marke zu zelebrieren.

Isolde (Ursula Füri-Bernhard) ist dabei nicht eine weltentrückte Rächerin, sondern eher die verwöhnte Zicke vom Königshof. Ihre Darstellerin bringt dafür alle Voraussetzungen mit: Eine so behende und quirlige Isolde sieht man eher selten, und da kann es schon einmal passieren, dass die Töne nicht immer dort landen, wo Wagner sie hingesetzt hatte, insgesamt klingt ihr Gesang auch eher italienisch denn wagnerhaft-deutsch. Darüber gingen am Ende auch die Meinungen auseinander, für Furore sorgte die Schweizerin, die in Bern lange unter Vertrag stand und der Kinder wegen bisher auf internationale Engagements weitgehend verzichtete, allemal.

Über den Tristan von Andreas Schager kann man hingegen nur einer Meinung sein, und die kam beim Schlussapplaus auch lautstark aus dem Publikum: Jubel und große Anerkennung. Es ist schon erstaunlich wo dieses schlanke „Bürscherl“ all die Kraft hernimmt, eine der schwersten Partien der Opernliteratur ohne Rücksicht auf Verluste durchzusingen. Dass er alle zwei Tage (auch spätnachts) sein 6-Kilometer-Laufpensum absolviert, ist wohl nur eine unzureichende Erklärung für seinen Erfolg. Ebenso wichtig dürfte für ihn die seit einem Jahr andauernde Arbeit mit der Berliner Gesangslehrerin Heidrun Franz-Vetter sein. Die Stimme springt in jeder Sekunde richtig an und hat ein helles, klares Timbre. Ein fortissimo erschüttert auch die letzten Reihen, die zarten Töne schmelzen nur so dahin, was will man von einem Wagner-Tenor heute mehr. Dass er schon als „der neue Vogt“ gehandelt wird, wird dem sympathischen Sänger nicht gerecht: Er ist bereits DER SCHAGER. (der übrigens den Siegfried auch bestens drauf hat und ihn demnächst in Ludwigshafen singen wird).

Gerd Heinz zeichnet die Rolle Tristans auch in allen Facetten und lässt einen bereits von der ersten Sekunde an die schwierigen Verhältnisse spüren, aus denen er stammt und die erst im letzten Akt erzählt werden. Auch nach dem Liebestrank zweifelt er und steht sekundenlang an der Reling, wohl mit dem Gedanken ins Meer zu springen. Und wie Schager seinen Blick in die Ferne schweifen lässt. bevor er sein „O sink hernieder“ singt, das war großes Kino, das natürlich in einem Haus mit 730 Plätzen besonders effektvoll ankommt.

Apropos Liebestrank: Dass Richard Wagner zu seiner Cosima gesagt hat „sie könnten genauso gut ein Glas Wasser trinken“, setzt die Regie konsequent um. Brangäne versteckt den Todestrank und gießt lediglich Wasser in die Schale. Dass beim Trinken der Blitz in die Liebenden einschlägt bedarf keiner Utensilien. Und eben dieser Blitz ist auch bei den Vorspielen zu den Aufzügen 1 und 3 am Bühnenvorhang zu sehen.

Christina Khosrowi meistert die relativ undankbare Partie der Brangäne mit allergrößter Bravour. Man kann gespannt sein, in welche Richtung es bei ihr weiter gehen wird und auch bei ihr fragt man sich immer wieder, wie eine so gertenschlanke Sängerin (die noch dazu blendend aussieht) diese Power hernimmt dem Orchester stimmlich derart Paroli bieten zu können. Vielleicht wartet da demnächst gar eine Kundry?

Dass die Inszenierung im zweiten Akt einen kleinen Durchhänger hatte lag großteils an den (entbehrlichen) Videoeinspielungen während des großen Liebesduetts, der Sinn dieser „Wasserspiele“ erschloss sich mir jedenfalls nicht und die hektische Optik lenkte von der traumhaften Melodie doch zu sehr ab. Dabei hatte sich der Bühnenparavent mit dem stilisierten Wald vorher bereits zu einer sehr schönen Meeresstimmung geöffnet, naja, zu perfekt sollte der Abend wohl auch nicht ausfallen.

Neben den erwähnten Gastsängern behaupteten sich die hauseigenen Kräfte in den meisten Fällen: Ernst Garstenauer gab einen lautstark akklamierten König Marke, Dae-Hee Shin gab trotz seiner Herkunft einen wortdeutlichen Kurwenal und besonders angetan hatte es mir Rodrigo Porras Garulo, der sowohl den jungen Seemann als auch den Hirten mit lyrischem Tenor wunderschön intonierte. Nicht ganz so gut gefallen konnte der bewährte Stan Meus als Melot und Lars Kretzer als Steuermann.

GMD Philippe Bach brauchte mit der Meininger Hofkapelle (die ja einst auch von Bülow dirigiert wurde) vorerst einige Zeit um den idealen Spannungsbogen zu finden. Das Vorspiel wirkte daher noch ein wenig inhomogen und hätte auch eine exaktere Streichergruppe vertragen. Aber die Damen und Herren im Graben steigerten sich schon bald und Bach hatte das Heft bis zum Schluss fest in der Hand. Ein Bravo dem mit 39 Lenzen noch jungen Schweizer! Für den (gar nicht so kleinen) Chor (der sehr konventionell zum Einsatz kam) zeichnete Sierd Quarré verantwortlich, eine extra Erwähnung soll noch die Lichtregie von Beleuchtungschef Rolf Schreiber bekommen.

Der meiste Beifall galt natürlich am Ende Andreas Schager, aber auch seine Kolleginnen und Kollegen fanden ebenso vehementen Zuspruch wie das gesamte Regieteam – 13 Minuten Ovationen! Bis Ende Juni gibt es noch sieben Reprisen. Und sollten sie eine kürzere Anreise haben als der Schreiberdieser Zeilen, dann lege ich ihnen einen Besuch ans Herz.

Ernst Kopica Fotocopyright: Foto-ed.