Luke Bedford
Premiere am 25.September 2020
In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Tragende Figur ist A, Anne Ellersiek, Sopran, die sich mit R, Shin Taniguchi, Bariton, einem smarten Autoverkäufer, einlässt. Schnell verfällt sie diesem „Magier“ der Manipulation, der angeblich für den Geheimdienst arbeitet und unterzieht sie einer Gehirnwäsche. Sexuell abhängig, ihm vollkommen hörig, verliert sie nicht nur den Bezug zum realen Leben sondern auch ihr Vermögen. Aus einer strahlenden, selbstbewussten Frau wird eine willenlose Marionette. Dass er schließlich dank der Intervention ihrer Schwester doch von der Polizei gefasst und ihm der Prozess gemacht wird, bedeutet kein Happy End, nicht für A und nicht für die anderen Frauen, die er auf die gleiche Weise missbraucht hat. A ist keinesfalls geheilt und schwankt zwischen Angst, Sehnsucht und Hoffnung.
Die Oper beginnt in einem TV-Studio. A ist bereit, einer Interviewerin über ihr Leben zu berichten. Dies geschieht in Rückblenden. 16 kurze Szenen von unglaublicher Dichte zeigen in hohem Tempo die Geschehnisse. Der Drehbühne sei Dank. Jede Szene hat eine eigene in sich stimmige Klangwelt, die in erster Linie auf der Gestaltung der instrumentalen Schicht beruht. Nicht die Stimmen sondern die für den Inhalt spezifischen Instrumente dominieren. Nur acht Musiker, acht Instrumente, sind die Hauptakteure. Wer Melodien, fassbare wiederkehrende Motive erwartet, muss umdenken, „umhören“. Und dennoch herrscht hier kein willkürliches Klangchaos. Jede Szene hat etwas Charakteristisches. Mal dominieren die Streicher: Violine, Cello und Bass, mal hetzt und schlägt die Percussion, mal verführt das Akkordeon. Trompete, Harfe und Klarinette sorgen für eine Vielfalt an Klangfarben. Vierteltöne, falsche Dreiklänge, unterschiedlich gestimmte Instrumente irritieren vielleicht, passen aber punktgenau zu den meist verstörenden Inhalten: schrill, alarmierend, laut, aber auch sensibel.
Darin liegt Luke Bedfords Kunst: Klangszenarien stellen Dramatik und Gefühle, wie Angst, Verzweiflung, Aggression, Depression, Abscheu und Liebe in diesem Seelenstriptease besser dar als echte Handlung oder Stimmen. Der Gesang ist fast immer sprachnah und rezitativisch gehalten. Einfache Wechseltonmotive, die erweitert und gesteigert werden, prägen jede Szene. Lang gehaltene Liegetöne halten die Spannung. Die Sopranistin Anne Ellersiek fügt sich dieser musikalischen Idee unglaublich sensibel. Sie modelliert in jedem Bild Stimmung und Inhalt. Erst kokett, dann mädchenhaft, mal naiv, mal verstört oder depremiert zieht sie das Publikum trotz der Instrumentaldominanz in ihren Bann. Hoch über der Bühne zeigt ein riesiger Spiegel ihr Gesicht und ein unglaublich echtes Mienenspiel Wären nicht Coronaregeln einzuhalten, hätte sie Ansgar Haag beim Schlussapplaus am liebsten umarmt ob dieser großartigen Leistung. Auch der Bariton Shin Taniguchi ist für diese Rolle ein Glücksfall. Die reduzierte Sprache erfordert den richtigen Effekt in Kürze. So spielt er mühelos den smarten Verführer, aber auch den brutalen, aggressiven Kriminellen, der mitleidlos sein Opfer missbraucht. Seine kräftige, markante und teils schneidende Stimme treffen.
Marianne Schechtel, Mezzospranistin, als Schwester As, vermittelt durch klare Botschaft eine gewisse Normalität im Geschehen. Carolina Krogius, Mezzosopran, spielt eine Doppelrolle. Im TV-Studio distanziert sie sich und bleibt stimmlich im Hintergrund, dafür mimisch vielsagend. In der anderen reduziert sie sich auf ein verstörtes Opfer, das sich später als raffinierte und schadenfrohe Interviewerin entpuppt.
Die Szenen brauchen nur wenig Raum und Schauplätze: TV-Studio, Autosalon, Küche der Schwester, Restaurant, Schlafzimmer, Wohnzimmer, Parkbank, Warteraum im Terminal und Gefängniszelle. Grautöne dominieren, nur die leuchtend grüne Seidenbluse As stechen heraus. Die wenigen Statisten bleiben völlig im Hintergrund.
Corinna Jarosch, der Dramaturgin, gelang ein Meisterstück und Ansgar Haag sei Dank, dass er ein kurzes Werk auf die Bühne bringen musste, das nach nur sieben Wochen Proben ein voller Erfolg wurde.
Eigentlich müsste man es zweimal sehen, da alles in rasantem Tempo abläuft. Konzentriert man sich auf die Übertitel, verpasst man das Bühnengeschehen. Will man sich auf die Klangfacetten der Instrumente einlassen, vernachlässigt man die Akteure.
Mein Fazit: Allen Opernnostalgikern sei gesagt: Nicht jede moderne Oper ist Mist, bloß weil ohrgängige Arien fehlen. Nein, hier ist wirklich etwas Bedeutendes geglückt. Hut ab vor den Engländern und natürlich dem Meininger Theater.
Inge Kutsche, 27.9.2020
Bilder (c) Staatstheater Meiningen / Marie Liebig