Meiningen: „Tristan und Isolde“, Richard Wagner

© Christina Iberl

Der Weg zum Theater führt durch den Englischen Garten. Das goldene Licht der Nachmittagssonne verzaubert diesen märchenhaften Park. Entspannt genießen die Menschen den warmen Frühlingstag, entspannt und ganz unaufgeregt ruhen sogar die Prachtexemplare von Gänsen und Enten. Was für ein Kontrastprogramm oder trügerisches Vorspiel auf das, was kommt. Denn erklingen die ersten Takte, gerät man in den Sog dieser Musik, die mit einer ungeheuren Intensität ans Herz greift. Die Wucht, mit der tiefstes Leiden, tiefste Leidenschaft und Liebesglück hereinbrechen, ist unsagbar und lässt einen fortan nicht mehr los.

Fast zwei Jahre brütete Regisseurin Verena Stoiber eine Inszenierung für Meiningen aus, um primär die innere Welt von Tristan und Isolde in vollkommener Symbiose mit der Musik zeitgemäß in Einklang zu bringen. Während sie den ersten Aufzug als ein auf kleine Bühne konzentriertes Kammerspiel anlegt, in dem die Charaktere vorgestellt werden, verwendet sie im 2. Aufzug Videotechnik, die mit fließenden 3D-Welten eine unglaubliche, atmosphärische Ebene schafft. Achtung!! Wer hier nicht weiterlesen möchte, weil er meint, dass es sich nur um buntbillige Effekte handelt, geht in die Irre. Denn diese Welten balancieren zwischen Realistischem und Surrealem und nehmen den Zuschauer mit, das Innerste, die Träume und Ängste, das Glück und das Leid der Protagonisten zu erleben.

© Christina Iberl

Mit der Ouvertüre öffnet sich der Blick in die Kindheit Tristans und Isoldes: Ein kleiner Junge, in sich gekehrt, bastelt an einem Segelschiff und setzt es ins Wasser. Ein kleines Mädchen durchstreift vergnügt den Wald, findet das Boot und lässt es schwimmen. Musik und Bewegungen scheinen in völliger Harmonie. Umso ernüchternder ist die Atmosphäre, wenn sich der Vorhang zum 1. Aufzug hebt. Gelangweilt und erschöpft sitzen die Passagiere in der Lounge eines Schiffs. Tristan und sein Vertrauter Kurnewal haben den Auftrag, Isolde von Irland nach Cornwall zu bringen, wo sie König Marke heiraten soll. Sichtlich aufgebracht erzählt sie ihrer Gefährtin, dass sie Tristan einst geheilt hat, als er schwer verwundet war und sie sich verliebt hatten. Tamta Tarielashvili profitiert von der weiblichen Herangehensweise der Regisseurin und verleiht Brangäne weit mehr Charakter als üblich. Es wäre auch zu schade, diesen kraftvollen Mezzo zu dämpfen.

Marco Jentzsch als Tristan darf schon am Anfang weniger Profil oder Stärke zeigen. Hier lümmelt kein Held, der Großes geleistet hat, sondern ein Befehlsempfänger, der wenig emotional seinen Auftrag ausführt. Isoldes vehemente Vorwürfe und Angriffe, ihr Sarkasmus, scheinen ihn nicht zu tangieren. Verena Stoiber betont hier die besondere Sicht auf eine Frau, die nicht am Schicksal zerbrochen ist und im Augenblick all ihre Gefühle zeigt. Lena Kutzner fährt im äußerst textlastigen 1. Aufzug ihre ganze stimmliche Vielfalt in meisterhaft präziser Ariosität auf und beweist ihr sensibles schauspielerisches Talent mit jeder Faser. Es ist ein Glücksgriff, dass Tristan hier kein stimmgewaltiger Macho, sondern ein leiserer, und dennoch markanter Typ ist, der sich von ihr führen lässt. Sie ist nun außer sich, dass sie so einfach an König Marke verschachert werden soll und will sich und Tristan vergiften. Doch Brangäne gibt ihr etwas völlig Anderes und beide geraten in einen faszinierenden Drogenrausch, in dem sie ihre Gefühle füreinander hemmungslos zulassen. Sie tauchen buchstäblich ab in eine wunderschöne Unterwasserwelt, begleitet von hochemotionaler Musik. Hier zeigt sich bereits das außerordentliche Talent des Videokünstlers Jonas Dahl, neben den Ebenen des Spiels und der Musik eine dritte zu schaffen, die Träume sichtbar macht.

© Christina Iberl

Während der 1. und 3. Aufzug handlungsmäßig und optisch vergleichsweise eintönig sind, ist der zweite ein abwechslungsreicher bunt-kurioser Trip durch die Träume der Liebenden. Zentrum auf der Bühne ist ein großes Doppelbett. König Marke rüstet sich für einen Jagdausflug und hinterlässt sturmfreie Bude für Tristan. Obwohl Brangäne warnt und Verrat prophezeit, kann sie Isolde nicht bremsen. Flugs naschen die beiden an einem Psychedelic-Drink und schon öffnen sich die Wände und sie sind mitten in der Natur in einem lichtdurchfluteten Wald. Die Illusion führt fortan Regie, begleitet von rauschhafter Musik. Die Idee der Bühnenbildnerin Susanne Gschwender, ein Multifunktionsbett zu kreieren, das nicht als erotische Spielwiese, sondern, mit wenig Aufwand umgebaut, als Kutsche, als Tisch oder als Boot auf einem imaginären See fungiert, ist genial. Die umwerfenden Videoprojektionen simulieren eine jeweils phantastische Kulisse, die sprachlos macht. Inspiriert von Christopher Nolans Filmen Inception und Interstellar, wird hier möglich, was im wirklichen Leben versagt bleibt. So schweben die Liebenden im All und die vollkommene Harmonie der Bewegungen mit der Musik ist überwältigend. Später finden sie sich als Brautpaar in einer Kathedrale, aber hier wird Tristan schon von der Wirklichkeit eingeholt. Er weiß um die Aussichtslosigkeit ihrer Beziehung und sieht nur den Ausweg in den Tod. Noch ist Isolde im Überschwang und zaubert unter dem Altar ein Motorrad hervor, und ab geht’s in Hippie-Kleidung auf einen Easy-Rider-Trip durch die Rockies. Durch Markes und Melots Eintreffen endet jäh der Traum. Selcuk Hakan Tiraşoğlu überzeugt mit sonorem Bass. Zu groß ist seine Enttäuschung, von den Menschen, die er liebt und denen er vertraut hat, hintergangen worden zu sein. Zutiefst beschämt und im Bewusstsein dieser verbotenen Liebe stürzt Tristan sich in Melots Schwert.

Dass Clara Hertel den König und seinen Vertrauten als mittelalterliche Figuren kostümiert, hat schon etwas Komisches und mag natürlich mit überholtem Konventionsverständnis zu tun haben oder ist es der Tribut an Gottfried von Strassburg? Auch Johannes Mooser als Melot passt in dieser witzigen Verkleidung mit Pelzchen und unvorteilhafter Perücke so gar nicht in den Ernst dieser Situation, aber stimmlich war er in Hochform.

© Christina Iberl

Ein düsteres Zimmer mit einem Krankenbett, in dem ein bleicher Greis ruht, lädt zum Verweilen im 3. Aufzug ein. Im Hintergrund sieht man die Brandung in steter Wiederkehr.  Tristan wurde schwer verletzt nach Kareol auf die Burg seiner Väter gebracht. Er liegt am Boden. Ein elegisches Englischhorn-Solo erinnert ihn vermutlich an seine Kindheit. Die Atmosphäre ist bedrückend und todesschwanger, doch noch ist Hoffnung. Tristan erwacht, ist aber verwirrt und hofft, dass Isolde zu ihm kommt. Für Marc Jentzsch ist dieser 3. Aufzug der größte Kraftakt, denn hier reflektiert er noch einmal sein Leben, die Trauer, seine Eltern nie gekannt zu haben, seine unerfüllte Liebe. Dass er sich stimmlich jetzt zurücknehmen muss, verzeiht ihm jeder, denn gerade die leiseren und dennoch klar artikulierten Passagen rühren das Herz.  Das Warten zieht und zieht sich und Shin Taniguchi, sein Vertrauter wacht Tag und Nacht bei ihm. Obwohl als Randfigur angelegt, hat er nun seinen wichtigen Auftritt und der helle und eindringliche Tenor ist für den Kranken der fürsorgliche Mittler zwischen Leben und Tod und Hoffnungsquelle. Ein Schäfer, Aleksey Kursanow, berichtet, dass noch kein Schiff in Sicht ist. Der Greis ist inzwischen verschwunden, war er die Vision des Vaters, den Tristan nie gekannt hat? Tatsächlich kommt Isolde übers Meer, findet aber den Geliebten mehr tot als lebendig und wünscht sich nur noch eine Stunde mit ihm. Ob sie ihn erreicht, ist ungewiss und sie verlässt ihn.

GMD Killian Farrell hat dieses Monumentalwerk mit äußerster Konzentration und motivisch transparent dirigiert. Selbst im Fortissimo werden die Stimmen nicht überspült und im Elegischen klingt eine Zartheit an, die zu Tränen rührt. Wunderbar artikuliert kehren die Leitmotive im Reigen wieder und die Kongruenz der Tempi mit den Inhalten der Videofilme zeigt hohe Sensibilität. Wenn er selbst vom Sog und den unterschiedlichen Farben dieser Musik spricht, die für ihn quasi eine philosophische Exposition bedeutet, versteht man, dass dieses Werk mitnimmt und wie ein unerforschtes Psychopharmakon wirken kann.

Dieses Theater kann stolz auf sein exzellentes Orchester und Musikensemble sein, das sich mit Erfolg an solch schwierige Produktionen wagt.

Wagneraufführungen sind auch für das Publikum eine Herausforderung. Verena Stoibers Interpretation des 2. Aufzugs macht es leicht, sich für ein solches Werk zu begeistern.

Inge Kutsche, 14. April 2025


Tristan und Isolde
Oper in drei Aufzügen von Richard Wagner

Staatstheater Meiningen

Premiere am 12. April 2025

Regie: Verena Stoiber
Musikalische Leitung: Killian Farrell
Meininger Hofkapelle

Weitere Vorstellungen: 21. und 26. April, 17. und 25. Mai, 9., 15. und 22. Juni 2025