Natürlich: Wenn man nicht einmal eine Woche zuvor eine harmlos-traditionelle wie bildschöne Aufführung des Falstaff gesehen hat, wirken die fünf neuen Kammeropern leicht verstörend – und musikalisch schwach und uninspiriert. Hat man sich jedoch einmal auf das Unternehmen eingelassen, das die Hochschule für Musik Nürnberg und das Staatstheater Nürnberg in die 3. Etage des Schauspielhauses gebracht haben, staunt man zuletzt darüber, dass den Werken „Shakespeares“, also Edward de Veres, des 17. Earl of Oxford, immer noch Werke abgewinnen lassen, obwohl es ja kein Wunder ist. Denn kein Autor hat literarisch so in seine nachfolgenden Zeiten hineingewirkt wie der Mann, den die Orthodoxen immer noch mit dem illiteraten Händler aus Stratford verwechseln.
Die Mid{summer}nightdreams präsentieren also drei Kammeropern, einen dramatischen Monolog und ein szenisch ausgespieltes Sonett. Die musikalische Sprache differiert, je nach Sujet, auch wenn das nacheinander von Kyungbae Ju, Elizaveta Prokofieva, Yudania Gómez Herediá und Otto Itgenshorst konzentriert geleitete Orchester mit seiner Besetzung insgesamt gleich bleibt; dass der Schlagzeugpart manch Passage dominiert versteht sich angesichts des Grundthema der Beziehung von Mann und Frau von selbst. Gordon Kampe, in Nürnberg durch seine beglückend hysterische Kammeroper Anoia, in Bayreuth durch seine Festspieloper Immer noch Loge bekannt geworden, spricht den gleichsam verständlichsten Jargon, weil die Szene – die Täuschung des liebestollen Haushofmeisters Malvolio aus Was ihr wollt – relativ witzig ist, auch wenn der närrische Kerl am Ende das „R“ in seinem erschütternden Schlusssatz „Ich räche mich an Eurer ganzen Rotte“ besonders stark rollen lässt. Wird der Mann auch in diesem Fall persönlich verdoppelt (die beiden Malvolios heißen Kiuk Kim und Lukas Amberger Baumeister), so sind doch die Frauen die Gewinner des Spiels. Sie treten beide betont sexy auf: Theresa Geyer als Maria (rote Perücke, kurzer Minirock, Lederstiefel, blaugeschminkte Lippen), Rosario Febre als Olivia, eine schwarzgekleidete, epaulettierte Frau wie aus einem Gothic-Album. Am Ende des Abends wird Febre in der Othello-Variante das Opfer sein. Und der erste Malvolio wird mitlachen, wenn der zweite gedemütigt wird.
Singt Febre zwischendurch einen echten Shakespeare-Song, klingt Kampes Partitur meist perkussiv. Der musikalische Gegenpol zu allen anderen Stücken ist das Sonett 18 von Geunu Ryu. Lena Marie Zeizel tritt als Allegorie der Verliebtheit, sich selbst bespiegelnd, auf; sie ist auf einem Auge blind, was den Satz, dass, solange ein Auge sehen könne, ins Konkrete übersetzt. Ryu schrieb über „Shakespeares“ Verse eine Elegie, ein dunkler Streicherklang bricht sich ruhig Bahn, am Ende steht sie da: in weißem Kleid, doch nun ohne Augenbinde. Die Verbindungen zwischen den Kurzopern werden durch Auftritte gestiftet, zwischen der Malvolio-Szene und dem zweiten Stück in Form eines seltsamen Frauendialogs aus Bruchstücken der erotischen Alltagskommunikation. Dann betritt Lady Anne die Szene – die Frau, auf die der Gattenmörder Richard, der spätere König, am Sarg ihres Mannes so intensiv beredet, bis sie einknickt und ihm die Hand reicht (bevor sie später, natürlich, auch von ihm gekillt wird). Die österreichische Dramatikerin Gerhild Steinbuch schrieb einen Text nach der betreffenden Szene aus Richard III., allein es war vergebliche Müh‘. Am Abend versteht der Zuhörer nicht mehr als zwei Worte: (vermutlich) „König“, (vielleicht) „Sarg“. Was uns Ekaterina Maslakova als Lady Anne mitzuteilen hat, bleibt völlig im Dunkel. Sie könnte, denkt sich der Besucher, der sich auf die Variante einer Szene aus den ultraselten vertonten Königsdramen gefreut hat, auch Vokalisen, russisch oder chinesisch singen. Die „Suche, v.a. der Frau, nach einer eigenen Stimme“, die das Programmheft ankündigt, versandet in purem Stimmklang. Klar wird nur, dass Frau es wieder mit den den (diesmal vier) Männern zu tun bekommt, vier uniformen Herren in weißem Hemd und schwarzer Hose, mit denen sie sich rangelt, bevor sie sich selbst auf die strukturbildenden Stühle des Abends legt, die in diesem Fall als Sarg dienen. Dass die Lady-Anne-Szene in Giorgio Battistellis 2005 uraufgeführtem Riccardo III. im Vergleich zu Sarah Nemtsovs Komposition wie die reinste romantische Oper klingt, versteht sich da fast von selbst.
Noch weniger versteht man, wenn die Sänger in Tongs and Bones den Mund öffnen, aber es soll so sein. Frau Maslakova, Bioh Jang und Jiwoong Choi geben einen puren Fantasietext von sich, wenn sie ein Konzentrat der Titania-Oberon-Handlung spielen, Puck als Koch des ganzen Gebräus agiert und Zettel mit einer Gang auftritt. Gewalt, die keinen genauen sprachlichen Ausdruck mehr benötigt, steht im Raum, wo aus dem Eselskopf eine Terrier-Kampfhundmaske den Kopf ziert und die Frauen, nicht allein Titania bedroht werden („Fleisch zu kaufen“, so steht‘s auf den Schildern, die die drei leichtgewandeten jungen Frauen dem Publikum hinhalten). Oder anders: Die Bilder und die nervöse Musik sagen alles. Stephan Winkler akzentuiert die direkt-indirekte Vergewaltigung Titanias durch Oberon mit einem fragmentierten sound, doch nachdem sich die Frauen durchaus zu wehren wussten, ziehen am Ende die Kerle wieder ab – bevor die Wiederholungen von Othello und Desdemona, beide im grünen military look, das pathologische Spiel von Gewalt und Zärtlichkeit fast bis zum Ende spielen. Wieder ist Rosario Febre dabei, die in Sara Glojnarics Pray, chuck, come hither das begehrte und gehasste Opfer des Mannes ist – die schließlich, es scheint fast wie ein Wunder, nicht ermordet wird. Der Mann verzichtet auf die letzte Tat, drei Frauen erscheinen hinter Desdemona, kriegsbemalt und eigensinnig.
„Es ist interessant“, meinte der Regisseur Sebastian Häupler, „wie sich Shakespeares Geschichten neu erzählen lassen, wenn die Frauen im Mittelpunkt stehen und sich das Geschehen aus der Perspektive entwickelt.“ Die Mitternachtsträume, die von „Shakespeares“ Männern und Frauen gealbträumt werden, bieten immer noch genug Stoff, um aufs Neue verdichtet und in die Gegenwart gedacht zu werden, die in Sachen Frauenpower bekanntlich andere Ansichten hat als das späte 16. Jahrhundert. Dass auch diese fünf Opern nach „Shakespeare“ schneller in der Versenkung verschwinden werden als Laurence Oliviers und Maggie Smith‘ Stimmen, die in die Othello-Szenen eingelegt werden, ist angesichts der Unoriginalität der Musik unausweichlich, aber wer aufmerksam hinhörte, wird zwei sehr gute Sängerinnen – die Sopranistin Rosario Febre (die als Desdemona auch ein bewegendes Weidenlied singt) und die Mezzosopranistin Lena Marie Zeizel – bemerkt haben. Das Froschkonzert, das zu Beginn des Abends aus den Boxen schwappte, klang da noch ganz anders…
Frank Piontek, 23.11. 2022
„Mid{summer}nightdreams„
Kammeropern von Gordon Kampe, Sarah Nemtsov, Stephan Winkler, Geunu Ryu und Sara Glojna
Staatstheater Nürnberg
Kooperation mit der Hochschule für Musik
Premiere: 18.11.2022
Besuchte Aufführung: 22.11. 2022
Regisseur Sebastian Häuple
Dirigate:
Kyungbae Ju, Elizaveta Prokofieva, Yudania Gómez Herediá, Otto Itgenshorst