Wiesbaden: „Falstaff“, Giuseppe Verdi

Eine Trilogie der „letzten Werke“ hatte sich Uwe Eric Laufenberg für seine letzte Wiesbadener Spielzeit vorgenommen mit Mozarts Zauberflöte, Shakespeares Sturm und als krönendem Abschluß Verdis Falstaff. Alle drei Werke sollten durch ein Einheitsbühnenbild verbunden werden. Rolf Glittenberg hat es als große, hohe, lichte Halle entworfen, an den Seiten mit klassizistisch-schlichten Säulen und halbhohen Durchgängen, an der Rückfront mit einem großen Tor, hinter welchem wechselnde Videoprojektionen gezeigt werden können.

© Karl und Monika Forster

In seiner Inszenierung zum Sturm ist Laufenberg darin, folgt man den positiven Kritiken der Kollegen, eindringliches Sprechtheater gelungen, nicht zuletzt als Darsteller des Prospero, einer Rolle, die seiner Amtsführung als strippenziehender, mitunter zaubernder, sich immer wieder von der Politik behinderter und unverstanden fühlender, gelegentlich rachsüchtiger Künstler-Intendant entsprach, durchaus als augenzwinkernde Selbstparodie interpretiert werden konnte, und durch die er mit dem versöhnlichen Ende des Dramas sicher bewußt auch den Ton seines Abschieds setzen wollte, der dann in Falstaffs „Tutto nel mondo è burla, l’uom è nato burlone“ (Alles ist Spaß auf Erden, der Mensch als Narr geboren) musikalisch mit einem heiteren Kehraus hätte enden sollen. Allein, das Temperament des streitbaren Intendanten ließ ihn mit einem offenbar ebenso eigensinnigen Geschäftsführer derart aneinandergeraten, daß nur noch ein vorzeitiger (letztlich weiser) Rückzug größeren Schaden für das Hessische Staatstheater verhindern konnte.

Zombie-Elfen vor Gespenster-Eiche / © Karl und Monika Forster

Die zur Eröffnung der Maifestspiele vorgesehene Verdi-Oper stand damit drei Monate vor der Premiere ohne Regisseur da. In der Not sprang der junge Schauspieler Noah L. Perktold ein, der in Wiesbaden immerhin schon Arthur Schnitzlers Komödie der Worte inszeniert hatte. Da er mit Musiktheater noch überhaupt keine Erfahrung gemacht hatte, stellte man ihm die in Wiesbaden vielfach erprobte Regie-Assistentin Silvia Gatto als Co-Regisseurin zur Seite. Die beiden präsentieren nun eine geradlinig inszenierte, flüssige Komödie ohne Regie-Mätzchen und theoretisierenden Überbau. L‘art pour l’art. Wenige Requisiten kennzeichnen im Einheitsbühnenbild die wechselnden Handlungsorte, mitunter stimmungsvolle Videoprojektionen (Gérard Naziri) markieren unterschiedliche Tageszeiten und zeigen in der Schlußszene schön-schauerromantisch die Gespenster-Eiche im Mondenschein. Auffälligstes Requisit ist ein schrottreifer Ford, der wie die Kostüme von Marianne Glittenberg das Stück vage in den 1950er Jahren verortet. Weil das Fahrzeug dem heruntergekommenen Ritter Falstaff zugleich als mobile Wohnung dient, muß es in allen Szenen, die außerhalb von Falstaffs Privatsphäre spielen, von der Bühne heruntergeschafft werden, wozu immer wieder der Vorhang für Umbaupausen heruntergelassen werden muß. Damit negiert man den Vorteil eines Einheitsbühnenbildes.

Željko Lučić, Erik Biegel, Michael Pflumm / © Karl und Monika Forster

Die ansonsten bruchlos abschnurrende Inszenierung mit amüsanten Details profitiert enorm von der Spielfreude sämtlicher Darsteller, allen voran Željko Lučić in der Titelrolle. Mag die Stimme des charismatischen Baritons auch inzwischen merkbare Gebrauchsspuren aufweisen, zumal in der Höhenlage, verfügt er doch über eine umwerfende Bühnenpräsenz. Als Erzkomödiant versteht er es, mit souveränem Einsatz von Gestik und Mimik auf dem schmalen Grad zwischen feinsinnigem Humor und derber Klamotte traumwandlerisch sicher zu balancieren. Auch Romina Boscolo, die ihre Mrs. Quickly mit saftig-dunklem Alt orgelt, daß es eine Freude ist, und Erik Biegel, der als Cajus seinen markanten Spieltenor wirkungsvoll einsetzt, nutzen weidlich das komödiantische Potential ihrer Rollen. Mit profundem Bariton ist Aluda Todua als Ford dem schlitzohrigen Ritter ein musikalisch ebenbürtiger Gegenspieler. Alyona Rostovskaya klingt mit ihrem hellen Sopran als seine Frau Alice ungewohnt jugendlich. Gut, daß Anastasiya Taratorkina als ihre Tochter Nannetta über eine zwar ebenso jugendlich-frische, aber leichtere Stimme verfügt, mit der sie im Elfenlied im dritten Akt das Publikum verzaubert. Perfekt fügt sich in den Duetten mit ihr Francisco Brito mit elegantem Tenor als ihr Liebhaber Fenton dazu. Fleuranne Brockway als Meg Page mit warmem Mezzo-Sopran sowie Michael Pflumm und Darcy Carroll als durchtrieben-komisches Dienerpaar Bardolfo und Pistola runden ein Ensemble ohne Schwächen ab. Auch der Chor, der als Elfen-Zombies im dritten Akt einen prominenten Auftritt hat, gefällt mit homogenem Klang.

Spitzentanz in der Abendsonne (Romina Boscolo) / © Karl und Monika Forster

Die ambitionierte Partitur von Verdis Alterswerk wird von Antonello Allemandi im Orchestergraben kraftvoll und farbig umgesetzt. In den komplizierten Ensembles, bei denen mehrere Gruppen in unterschiedlichen Metren gleichzeitig singen, wahrt er die Übersicht. Das Orchester zeigt sich wie zuletzt in guter Form.

Das Publikum ist über diesen unangestrengt heiteren Abend begeistert und zollt ausnahmslos allen Beteiligten mit starkem Applaus dankbaren Respekt. Was Laufenberg daraus gemacht hätte, werden wir nie erfahren. Er hat aber in seiner Intendanz ein funktionierendes Ensemble aufgebaut, dessen Sänger auch anderenorts gefragt sind, und bei der Auswahl von Gast-Sängern, so wie hier, immer wieder gutes Gespür bewiesen. Daß ein unerschrockenes junges Regie-Team hierauf aufbauen konnte, um mehr als eine Verlegenheitslösung zu präsentieren, daß zuletzt auch mit Der Freischütz und Turandot trotz der Turbulenzen um das Ende der Intendanz beachtliche Musiktheaterabende zustande kommen konnten, kann Laufenberg sich auf der Haben-Seite verbuchen. Vor der Premiere fand ein Empfang des Oberbürgermeisters zur Eröffnung der Maifestspiele statt. Es wird berichtet, das Stadtoberhaupt habe in seiner Ansprache die zurückliegende Intendanz gewürdigt, was mit minutenlangem Applaus beantwortet worden sei. Tutto nel mondo è burla.

Michael Demel, 3. Mai 2024


Falstaff
Commedia lirica von Giuseppe Verdi

Staatstheater Wiesbaden

Premiere am 1. Mai 2024

Inszenierung: Noah L. Perktold und Silvia Gatto
Musikalische Leitung: Antonello Allemandi
Hessisches Staatsorchester Wiesbaden