Wiesbaden: „Pique Dame“

Premiere: 29.01.2022, besuchte Vorstellung: 13.02.2022

Musikalisches Erlebnis mit Altmännerphantasien

Lieber Opernfreund-Freund,

gut 20 Jahre nach der Inszenierung von Ansgar Haag präsentiert das Staatstheater Wiesbaden seit Ende Januar wieder Tschaikowskys Pique Dame. Dabei kann die musikalische Seite mehr überzeugen als das Setting von Hauschef Uwe Eric Laufenberg.

Von Rolf Glittenberg hat der sich einen riesigen Einheitsbühnenraum bauen lassen, den er abwechselnd mit einem ausladenden Spiel- oder Speisetisch, der auch als Laufsteg für das Defilee der Eitelkeiten dienen darf, und nur wenigen Requisiten wie einem Sofa oder einem Schminktisch bestücken lässt. Das macht Intimität in den leiseren Szenen schlicht unmöglich, auch wenn Laufenberg dank des raffinierten Lichts von Andreas Frank durchaus schöne Bilder gelingen. Die will er durch die eine oder andere Altmännerphantasie aufbrechen, zeigt Damen, die unter den Pelzmänteln nackt sind, und auch die Zarin hat am Ende der Maskenballszene kaum etwas an. Klar wird: hier geht es um Gier in jeder Form, nach Spaß, nach Sex, nach Alkohol und Geld, auch wenn eine tiefere psychologische Deutung des Stoffes unterbleibt. Stattdessen versucht sich Uwe Eric Laufenberg an einer Symbiose von literarischer Vorlage und Oper, lässt das Publikum zwischen den einzelnen Bildern Auszüge aus Puschkins Erzählung lesen und verweigert Hermann am Ende den von Modest Tschaikowsky, dem Bruder des Komponisten, in seinem Libretto vorgesehenen Bühnentod von eigener Hand, sondern lässt ihn wie in Puschkins Vorlage lediglich wahnsinnig werden.

Dessen Darsteller Aaron Cawley ist auch der Primus inter Pares in einer ausnehmend guten Sängerriege. Das Ensemblemitglied trumpft von seiner ersten Szene an stimmgewaltig auf und zeigt als Hermann Heldentenorqualitäten mit nicht nachlassender Kraft und bombensicherer Höhe. Doch auch die leiseren Töne trifft der Ire wunderbar, zeigt glaubhaft, wie Hermann mehr und mehr von den drei Karten besessen ist und darüber seine Liebe zu Lisa vergisst. Die findet in Elena Bezgodkova eine einfühlsame Interpretin, die mit farbenreichem Sopran die Stimmungen und Zustände der jungen Frau überzeugend zu verkörpern weiß. Romina Boscolo in der Titelpartie ist eigentlich viel zu jung für die greise Fürstin und macht doch deren Erinnerungsszene ganz zu der ihren, erzeugt allein mit ihrer tiefen, mysteriösen Stimme Gänsehaut, da sie die Regie nahezu bewegungslos an den Rollstuhl fesselt. Dagegen präsentiert Benjamin Russell die große Arie des Fürsten Jeletzki dermaßen nüchtern, dass es nicht verwundert, dass Lisa schnurstracks in die Arme des leidenschaftlichen Hermann rennt, auch wenn der nicht nur gesellschaftlicher Außenseiter ist, sondern auch bei seinen Militärkumpanen nur als Opfer ihres Spotts geschätzt wird.

In den kleineren Partien überzeugen Almas Svilpa als eindrucksvoller Tomski und Silvia Hauer, die mit hingebungsvollem, weich timbriertem Mezzo als Polina gefällt und in den Duetten mit Elena Bezgodkova zu Höchstform aufläuft. Der von Albert Horne betreute Chor, wie nahezu alle Protagonisten von Marianne Glittenberg vorzugsweise in noble Abendrobe gehüllt, interpretiert die imposanten Szenen meisterhaft, auch wenn Laufenberg seine Auftritte eher schablonen- und kulissenhaft inszeniert.

Im Graben schlägt Oleg Caetani mitunter forsche Tempi an, was zur einen oder anderen unsauberen Abstimmung mit dem Bühnengeschehen führt. Dennoch gelingt es dem erfahrenen Italiener, die russische Szene der Musik zu entfalten, so dass es alles in allem musikalisch ein beeindruckender Abend wird. Gespielt wird die schön bebilderte Inszenierung in dieser Spielzeit noch bis in den Mai hinein und das Staatstheater Wiesbaden durfte jüngst die Kartenkontingente für die kommenden Veranstaltungen aufstocken. Also nichts wie hin!

Ihr
Jochen Rüth

14.02.2022

Die Fotos stammen von Karl und Monika Forster.