Wiesbaden: „Un ballo in maschera“

Premiere: 30.04.2018, besuchter Vorstellung: 10.06.2018

Maskenball als düsterer Unterweltkrieg

Lieber Opernfreund-Freund,

Verdis Musikdrama „Un Ballo in Maschera“ ist derzeit in einer neuen Inszenierung am Staatstheater Wiesbaden zu erleben. Am gestrigen Sonntag bin ich für Sie in die hessische Landeshauptstadt gereist und habe mir die Produktion, die in der kommenden Spielzeit wiederaufgenommen wird, angesehen.

Die blutigen Gegebenheiten um den gewaltsamen Tod des Schwedenkönigs Gustav III. der 1792 auf einem Maskenball Opfer eines Attentats von Verschwörern wurde, weil er die Privilegien des Adels abschaffen wollte, hatte Eugene Scribe, vielbeschäftigter Schriftsteller und Librettist, zu einem Drama verarbeitet, in dem er dem König ein amouröses Verhältnis zu Amelia, der Frau seines besten Freundes, andichtete. Neben Daniel-François-Esprit Auber, der das Werk 1833 vertonte, diente die Dichtung dem Librettisten Antonio Somma als Vorlage für Giuseppe Verdis Oper „Un Ballo in Maschera“, die 1859 in Rom zur Uraufführung kam. Den Zugeständnissen an die seinerzeitige Zensur ist es zu verdanken, dass Verdis Werk nicht mehr in Schweden, sondern in Boston spielt, und auch die junge serbische Regisseurin Beka Savić, bis vergangenes Jahr Spielleiterin am Haus, belässt die Handlung in den USA, verlegt sie aber in die 1920er Jahre. Ganz und gar duster sind die Kulissen, Renato ist hier nicht mehr Gouverneur von Boston, sondern eine Unterweltgröße, die seiner Gefolgschaft ein sicheres Auskommen mittels dunkler Geschäfte wie Waffen- oder Alkoholschmuggel ermöglicht. Doch auch mit der Ganovenehre ist es nicht weit her und es regt sich Widerstand gegen den Mafiakönig. Der Galgenberg wird zum düsteren Hinterhofsetting, der Ball am Ende findet in herrlicher, vom Jugendstil inspirierter Kulisse statt (Luis Carvalho hat ein schwarzes Haus auf die Drehbühne gestellt). Selena Orb verpasst vor allem den Damen schillernde und phantasievolle Outfits, die Herren dürfen im Wesentlichen mit Al Capone-Hüten und Gamaschen Zeitkolorit zeigen. Lediglich das grobe Licht von Andreas Frank zerstört bisweilen das stimmige Bild. Gerade die Ulrica-Szene gehört dann doch in obskureres Licht getaucht, damit der wunderbar-mystische Gesang von Romina Boscolo, die mit Leidenschaft und herrlich-androgyner Tiefe die mysteriöse Wahrsagerin mimt, zur vollen Wirkung kommen kann. Denn die Italienierin ist geradezu eine Idealbesetzung für diese Rolle – genau so stellt man sich diese undurchsichtige Figur vor.

Ein ähnlicher Glücksgriff ist Heather Engebretson, dem einen oder anderen von Ihnen vielleicht noch als umwerfende Violetta im Gedächtnis, die als Oscar für die erkrankte Gloria Rehm eingesprungen ist. Schon rein physisch gibt sie überzeugend den bemützten Laufburschen, zeigt dabei enorme Bühnenpräsenz, unglaubliche vokale Geläufigkeit und scheinbar mühelose Höhen. Adina Aarons Sopran ist reichlich nachgedunkelt, seit ich sie das letzte Mal habe hören dürfen, doch das passt gut zum düsteren Regieansatz und lässt ihre Amelia eher als energiegeladene Frau, denn als bloße Gefühlsgetriebene erscheinen. Und doch zieht die junge US-Amerikanerin im dritten Akt auch alle Piano-Register und rührt mit „Morro, ma prima in grazia“ zu Tränen. Vladsilav Sulimsky gibt voller Inbrunst und Verve den enttäuschten Freund und scheinbar betrogenen Gatten, der sein Recht mit allen Mitteln durchsetzen will und auf Rache sinnt. Sein Bariton bringt dafür die nötige Durchschlagskraft mit – und das zeigt der Russe auch gerne. Arnold Rutkowski demonstriert als Riccardo, was er kann, zeigt bombensichere Spitzentöne, metallisches Timbre und viel Gefühl, gerade wenn er die innigeren Momente mit Amelia darstellt. Zusammen mit dem präzise singenden und spielenden Chor, den Albert Horne betreut, präsentiert sich da gestern eine Besetzung, die keine Wünsche offenlässt.

GMD Patrick Lange geht Verdis Partitur mit viel Schwung an, schießt dabei allerdings bisweilen über das Ziel hinaus und übertüncht gerade im ersten Akt gerne einmal das Sängerpersonal. Im Laufe des Abends findet er zusammen mit den glänzend aufspielenden Musikerinnen und Musikern des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden jedoch die richtige Balance zwischen verdischer Wucht und sensibler Begleiterrolle. So wird’s ein rundum gelungener Abend, der dem Publikum merklich gefällt. Beka Savić hat da zwar kein neues Kapitel in der Rezeptionsgeschichte des Werkes aufgeschlagen, aber eine schlüssige, ideenreiche und lebendige Lesart des Dramas gefunden, die sich sicher lange im Repertoire wird halten können.

Ich verabschiede mich nun in die Sommerpause und freue mich schon darauf, Ihnen ab Herbst wieder von Opernabenden berichten zu können, die hoffentlich so kurzweilig sind, wie es dieser war.

Ihr
Jochen Rüth

10.06.2018

Dir Fotos stammen von Monika & Karl Forster.