Wiesbaden: „Arabella“

Solides Theaterhandwerk, durchwachsene musikalische Bilanz

Schon wieder eine Verschiebung der Handlung einer Strauss-Oper in die Entstehungszeit: Nach Brigitte Fassbaenders riskanter, aber überraschend geglückter Verlegung des „Capriccio“ vom späten 18. Jahrhundert in die 1940er Jahre an der Oper Frankfurt läßt nun auch die Wiesbadener Neuproduktion der „Arabella“ das Stück in den Anfängen der Nazizeit spielen, anstatt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Anders aber als in Fassbaenders Frankfurter Regie-Coup erhält das Stück dadurch keine zweite Ebene oder gar eine politische Umdeutung. Das hübsch anzusehende Bühnenbild von Gisbert Jäkel zeigt unverfremdet die geschmackvolle Inneneinrichtung eines gehobenen Hotels der 30er Jahre. Wenn nicht beim Fiakerball des zweiten Aktes ein paar dezente Hakenkreuz-Wimpel auf den Tischen stünden und der Offizier Matteo eine Wehrmachts- anstelle einer KuK-Uniform trüge, man hätte die Zeitverschiebung schnell vergessen, so dezent kommt sie daher, so folgenlos bleibt sie aber auch. Ansonsten nämlich sieht man eine typische Laufenberg-Inszenierung: Mit solidem Theaterhandwerk wird geradlinig die Geschichte erzählt. Die Personenregie ist flüssig und unauffällig. Das Lieblingsstilmittel des inszenierenden Intendanten kommt auch zu seinem Recht: Das Erscheinen von Figuren, die eigentlich nicht dran sind, von denen aber gerade die Rede ist. Dieses Mal ist es der Graf Elemer. In der Wiesbadener Ring-Inszenierung wirkte diese Form der Überdeutlichkeit auf die Dauer penetrant. In der Neuproduktion von Strauss‘ letztem großen Publikumserfolg bleibt die Dosis so sparsam, daß sie nicht weiter stört. Der Hang zum Expliziten beschert den Premierenbesuchern außerdem noch die bei Laufenberg ebenfalls unvermeidliche Filmeinspielung. Sie illustriert den Übergang zum letzten Akt und zeigt, was im Libretto von Hugo von Hofmannsthal nur subtil angedeutet wird: Den Liebesakt von Matteo mit Zdenka, die er für Arabella hält. Das hatte bislang noch jeder Opernbesucher auch ohne Bebilderung kapiert.

Die musikalische Bilanz des Abends ist gemischt. Das Orchester spielt unter dem neuen Generalmusikdirektor Patrick Lange eher bayerisch-herzhaft als wienerisch-subtil auf, präsentiert sich aber in ähnlich guter Form wie zuletzt im „Tannhäuser“. Das Klangbild ist ausgewogen und so gut durchhörbar, daß man viele Details der reichen Partitur plastisch wahrnehmen kann. Das Staatsorchester hat unter Lange sehr schnell ein so erfreuliches Niveau stabilisiert, daß einige Unkonzentriertheiten der Oboe am Premierenabend negativ herausstechen.

Bei der Besetzung der Hauptrollen machen die Herren gegenüber den Damen eindeutig den schwächeren Eindruck. Regelrecht fehlbesetzt ist Ryan McKinny als „Mandryka“ mit seinem stumpfen und glanzlosen Bariton. Lange nimmt auf sein begrenztes Volumen anders als bei den weiblichen Protagonisten keine Rücksicht und ertränkt ihn immer wieder schier im Klangrausch. Das ist vielleicht auch besser so. Thomas Blondelle beeindruckt als „Matteo“ erneut mit seinen mimischen Qualitäten, die allerdings wie üblich nicht frei von einer Neigung zum Chargieren sind. Die Mittellage sitzt gut und unterstützt seine plastische Artikulation. Die gefürchteten Spitzentöne der Partie jedoch werden mehr gestemmt als gesungen und fallen aus der Gesangslinie heraus. Das trübt den Gesamteindruck seiner Leistung gerade im Schlußakt erheblich.

Glänzend dagegen bewältigt Katharina Konradi die Partie der „Zdenka“ mit ihrer glockenreinen Stimme. Intonatorisch sicher und vorbildlich artikulierend gebührt ihr die sängerische Krone des Abends. Dabei kann auch Sabina Cvilak in der Titelpartie überzeugen. Das ist eine kleine Überraschung. Nach einer intensiven „Katia Kabanova“, einer leidenschaftlichen „Sieglinde“ und einer selbstbewußten Tannhäuser-Elisabeth hätte man sie eigentlich nicht im Strauss-Diven-Fach verortet. Ihrem Rollendebüt hatte man daher mit einiger Skepsis entgegengesehen. Aber die Cvilak zeigt sich erstaunlich wandlungsfähig, technisch versiert und hochdiszipliniert. Sie hält ihr dramatisches Stimmpotential im Zaum, bemüht sich erfolgreich um leise, mitunter auch fein schwebende Töne und gut gebaute Spannungsbögen. Lediglich einige scharfe Spitzentöne und eine zum Ende hin unterschwellig hervortretende Robustheit verraten, daß die Sängerin hier nicht im angestammten Stimmfach auftritt.

Wenn Koloraturen zu singen sind, kommt in Wiesbaden die quirlige Gloria Rehm zum Einsatz. Bei der „Fiakermilli“ ist sie in ihrem stimmakrobatischen Element. Wolf Matthias Friedrich gibt dieses Mal den Grafen Waldner. Er artikuliert den Text derart prägnant, daß er mitunter in den Sprechgesang verfällt. Romina Boscolo dagegen ist als seine Frau „Adelaide“ mit ihrem guttural verschatteten Alt nicht immer optimal zu verstehen.

Das Publikum applaudiert zufrieden, aber nicht überschwänglich. Ein vereinzelter, unangebrachter Buhruf trifft ausgerechnet den Dirigenten.

Weitere Vorstellungen gibt es am 17., 23. und 29. März, am 1. und 18. April sowie im Rahmen der Maifestspiele am 22. Mai (dann mit Maria Bengtsson in der Titelpartie).

Michael Demel, 14. März 2018