Bremerhaven: „Der Freischütz“, Carl Maria von Weber

Die Oper gilt als der Inbegriff der romantischen Oper und zählt bis heute zu den „Evergreens“ im Opernrepertoire.

(c) Heikon Sandelmann

Auch in Bremerhaven taucht das Werk in schöner Regelmäßigkeit im Spielplan auf. Zuletzt wurde es dort 2004  von Stefan Heinrichs und 2014 von Andrej Woron inszeniert. Der Regisseur der aktuellen Neuproduktion heißt Wolfgang Nägele. Er war Schüler von Hans Neuenfels und hat an großen Häusern wieder Bayerischen Staatsoper, der Deutschen Oper Berlin oder der Hamburgischen Staatsoper inszeniert.

Waldromantik war bei ihm nicht zu erwarten. Im Bühnenbild von Stefan Mayer ist eigentlich nur eine von Kriegszerstörungen gezeichnete Landschaft mit Schrott und alten Autoreifen zu sehen. Nägele legt den Fokus auf den ambivalenten Charakter des Jägerburschen Max und stellt ihm als böses Alter Ego ein Double (Martin Maecker) an die Seite. Dass in jedem Menschen auch Abgründiges schlummert, ist allerdings keine so neue Erkenntnis. Dieses Double erscheint quasi als traumatisierter Kriegsheimkehrer schon zur Ouvertüre, nähert sich zunächst der am Rand sitzenden Agathe, wendet sich ab und – onaniert! Später geht das Double dem Ännchen an die Wäsche, was wohl zeigen soll, dass im Unterbewusstsein von Max nicht ganz klar ist, ob er Agathe oder doch Ännchen begehrt.

(c) Heiko Sandelmann / Konstantinos Klironomos (Max), Signe Heiberg (Agathe), Martin Maecker (Max Double), Victoria Kunze (Ännchen)

Von solchen Überraschungen hat Nägele noch mehr parat. Vor dem Jägerchor lässt er das Double dessen Text mit allen „Tralalas“ voller Hohn aufsagen, um das mit einem dummen Spruch aus dem Internet zu krönen: „Wenn dir ein Mädel splitternackt von hinten an die Nudel packt, wenn dir also Gutes widerfährt, das ist schon einen Asbach Uralt wert.“ Da fällt einem nichts mehr ein – dem Regisseur schon, der noch weitere Zoten auspackt.

Die Wolfsschluchtszene, in der der schwarze Jäger Samiel für das Gießen der Freikugeln angerufen wird führt bei Nägele in ein Laboratorium, nicht unähnlich dem von Dr. Frankenstein. Samiel und das Double von Max sind identisch. Der zappelt während der gesamten Zeremonie allerdings nur auf diversen Stühlen herum. Eine unheimliche oder bedrohliche Stimmung kommt dabei nicht auf. Für die sorgen nur die großartig aufspielenden Bremerhavener Philharmoniker.

Zu den guten Momenten der Inszenierung, die es auch gibt, zählen die quirligen Szenen mit Ännchen und Agathe. Sie verblassen aber im Gesamteindruck. Wer seinen Kindern oder Enkeln ein Freischütz-Erlebnis vermitteln will, sollte nicht unbedingt diese Produktion wählen.

Aber musikalisch macht die Aufführung uneingeschränkt Freude. In der Titelpartie des Max überzeugt das neue Ensemblemitglied Konstantinos Klironomos mit kraftvollem und höhensicherem Tenor. Vielleicht singt er manchmal mit etwas zuviel Druck, aber sein rückhaltloser Einsatz und sein angenehmes, rundes Timbre hinterlassen den besten Eindruck. Auch sein Gegenspieler Kaspar, verkörpert von Thomas Weinhappel, steht mit unglaublicher Bühnenpräsenz im Mittelpunkt der Aufführung.  Sein markanter Bariton prädestiniert ihn auch für Wagner-Partien. Seine beiden Arien serviert er darstellerisch mit starkem Ausdruck und gesanglich mit bezwingender Intensität.

(c) Heiko Sandelmann / Konstantinos Klironomos (Max), Martin Maecker (Max Double), Thomas Weinhappel (Kaspar)

Signe Heiberg hat in Bremerhaven bereits als Oceane und als Lady Macbeth begeistert. Auch als Agathe kann sie ihren strahlenden und ganz auf Linie geführten Sopran in bester Verfassung präsentieren. Bei mancher Phrase hätte man sich vielleicht mehr Innigkeit und weniger Dramatik gewünscht, aber insgesamt gelingt ihr eine überzeugende Leistung. Das gilt auch für die bewährte Victoria Kunze, die als Ännchen mit silbrigem Stimmglanz und quicklebendiger Darstellung durchgängig erfreut. Die weiteren Partien sind mit Bart Driessen (Kuno), Marcin Hutek (Ottokar), Andrew Irwin (Kilian) und Ulrich Burdack als dandyhaftem Eremit besetzt.

Chor und Extrachor (Einstudierung Mario El Fakih Hernández) zeigen sich von ihrer besten Seite. Getragen wird die Aufführung auch vom Philharmonischen Orchester Bremerhaven, das unter der Leitung des jungen Dirigenten Davide Perniceni mit viel Wohlklang für die romantische Stimmung sorgt, die die Inszenierung vermissen lässt. Musikalisch war es jedenfalls ein Festmahl. Nur die Nudelsuppe hat nicht geschmeckt.

Wolfgang Denker, 8. Januar 2023


„Der Freischütz” von Carl Maria von Weber

Stadttheater Bremerhaven

Premiere: 25. Dezember 2022 / besuchte Vorstellung: 7. Januar 2023

Inszenierung: Wolfgang Nägele
Musikalische Leitung: Davide Perniceni
Philharmonisches Orchester Bremerhaven

Weitere Vorstellungen: 13., 10., 28. Januar, 2., 5., 26. Februar 2023