Bremerhaven: „Oceane“

Premiere am 29.04.2022

Geheimnisvolle Frau am Meer

Mit der Premiere der Oper Oceane von Detlev Glanert ist dem Stadttheater Bremerhaven ein musikalisch wie szenisch von der ersten bis zur letzten Sekunde fesselnder Opernabend gelungen. Das Werk wurde 2019 an der Deutschen Oper Berlin mit größtem Erfolg uraufgeführt und sollte schon ein Jahr später – noch in der Intendanz von Ulrich Mokrusch – in Bremerhaven gespielt werden. Doch dann kam Corona. Zum Glück hat sein Nachfolger Lars Tietje die Pläne übernommen und so eine geradezu beglückende Produktion ermöglicht.

Vorlage für die Oper ist vor allem das Novellenfragment „Oceane von Parceval“ von Theodor Fontane. Oceane ist eine geheimnisvolle Frau, die besonders der Natur und dem Meer verbunden ist. Sie findet in der bunten Gesellschaft, die sich in einem heruntergekommenen Hotel am Meer zu einem Sommerball versammelt hat, keinen Platz – so sehr sie sich auch danach sehnt. Zwar ist sie keine Nixe, aber doch eine „Schwester“ von Undine, Melusine oder Rusalka. So kann sie auch die stürmische (und übergriffige) Liebe, die ihr vom Gutsbesitzer Martin erklärt wird, nicht erwidern. Gefühle sind nicht ihr Ding. Die angeschwemmte Leiche eines Fischers löst bei ihr keine Empathie aus. Für sie ist es ein Bild der Natur. Zudem stachelt der eifernde Pastor Baltzer die Badegesellschaft zu Hass und Ablehnung gegen Oceane auf. Er behauptet, sie sei kein Kind Gottes und bringe den Tod. Ist es wirklich so? Immerhin begegnet sie gleich zu Anfang dem Fischer, der später tot angeschwemmt wird. Oceane erkennt jedenfalls, dass sie in der Welt der Menschen nie ankommen wird. Sie hinterlässt einen Abschiedsbrief für Martin und entschwindet genauso geheimnisvoll wie sie gekommen ist. Die Oper endet wie sie begonnen hat: Mit einer Vocalise Oceanes und den vom Chor ausgeführten Stimmen des Meeres. Die Musik verdämmert dabei fast unwirklich.

Diese Musik von Detlev Glanert ist gemäßigt modern. Mit Arien, Duetten und Ensembleszenen, mit Tänzen und orchetralen Zwischenspielen bedient sie sich gängiger Opernformen. Glanert beschwört sphärische, zarte Töne, setzt auf Melodie und Gesangslinie, auf Tanzrhythmen wie Walzer, Polka und Galopp und entfacht mit mächtigen Chorsätzen und expressiven Orchesterausbrüchen ein rauschhaftes und berauschendes Spektrum an Klängen. Er findet für Meer und Wind stets einen sinnlichen, musikalischen Ausdruck. Es ist eine Musik, die einfach begeistert, zumal Marc Niemann am Pult des Philharmonischen Orchesters Bremerhaven für eine durchgängig spannende und überzeugende Wiedergabe sorgt. Allein die erste Szene ist an überwältigender Wirkung kaum zu übertreffen. Auch Chor und Extrachor (Mario El Fakih Hernández) zeigen sich dabei von ihrer besten Seite.

Katharina Thoma hat mit ihrer sehr stimmungsvollen und schnörkellosen Inszenierung entscheidend den Gesamteindruck geprägt. Mit sehr differenzierten Lichtstimmungen, mit wabernden Nebelschwaden, bläulichem Horizont und viel echtem Wasser auf der Bühne wird die Allgegenwärtigkeit des Meeres verdeutlicht. Dazu kommt bedarfsweise eine Rampe mit Badekabinen als Terrasse für das Sommerfest (Bühne von Sibylle Pfeiffer). Thoma gelingt es dank ausgefeilter Personenführung den Charakter jeder Figur genau herauszuarbeiten. Die stilisierten Tanzszenen des Sommerballs wurden von Lidia Melnikova choreographiert. Und wie Oceane sich geradezu in Ekstase tanzt und für einen Skandal auf dem Ball sorgt, ist atemberaubend.

Das Bremerhavener Theater glänzt hier mit einer sehr guten Ensembleleistung. Allen voran begeistert Signe Heiberg als Oceane, die mit ihrem leuchtstarken, kraftvollen Sopran mühelos Chor und Orchester überstrahlt und mit der Intensität ihrer Darstellung Maßstäbe setzt. Auch Patrizia Häusermann ist mit hervorragender Diktion und schönem Stimmklang eine hervorragende Hotelbesitzerin. Der Tenor von Alexander Geller mag Geschmackssache sein, aber er gibt dem Martin sehr leidenschaftliche Züge. Das zweite Paar (Albert und Kristina) ist mit Marcin Hutek und Victoria Kunze adäquat besetzt. Nicht immer ganz mühelos, aber dafür ausdrucksstark gibt Ulrich Burdack den Pastor Baltzer. Als Hoteldiener Georg sorgt Patrick Ruyters mit seinem ständigen „traurig, traurig“ für eine heitere Note.

Opernfreunde sollten sich das vielschichtige Werk in dieser hervorragenden Produktion nicht entgehen lassen.

Wolfgang Denker, 30.04.2022

Fotos von Heiko Sandelmann