Bremerhaven: „Macbeth“

Premiere am 17. September 2022

Horror und Neurosen

Macbeth ist die erste von den drei Opern Giuseppe Verdis nach William Shakespeare (neben „Otello“ und „Falstaff“). Es ist die düsterste seiner Opern – ein Nachtstück, bei dem es um krankhaften Ehrgeiz und Machtgier geht, um Mord und Hexenspuk, um Angst und Wahnsinn.

Philipp Westerbarkei, der mit dieser Inszenierung sein Bremerhavener Regiedebüt gibt, sieht in Macbeth den Stoff für eine Horrorgeschichte. Die allgegenwärtigen Hexen spielen dabei eine zentrale Rolle. In furchterregenden Kostümen (von Tassilo Tesche) fallen sie zu Beginn wie Vampire über Macbeths Soldaten her und töten sie wollüstig. Die wie Blitze immer wieder aufflammenden Neonröhren tauchen die zunächst kahle und schwarz ausgeschlagene Bühne (ebenfalls von Westerbarkei) in ein unheilvolles Licht. Später dient eine überdimensionale Holzkonstruktion als Spielfläche, die wie ein klaustrophobischer Sarg wirkt. Westerbarkei lässt die Handlung als psychologisches Kammerspiel ablaufen, bei dem Vieles nur im Kopf von Macbeth und Lady Macbeth stattzufinden scheint. Beim Festbankett etwa gibt es keine Gäste, nur das Gespenst des ermordeten Banquo erscheint zunächst, später dringen auch hier die Hexen ein. Die Morde an Duncan und Banquo werden nicht explizit gezeigt, beim ersten sticht Macbeth wie im Wahn mit einem Dolch auf den Bühnenboden, beim zweiten wird Banquo von unheimlichen Händen hinter den Vorhang gezogen, bis er ganz verschwindet. Blut und blutverschmierte Kostüme gibt es trotzdem genug.

Macbeth wird als hochgradig psychopathisch gezeichnet. Er ist ein Mensch, der von Neurosen und Angstzuständen getrieben wird. Lady Macbeth lebt ebenfalls in ihrer eigenen Welt, bei der auch ihre sexuellen Phantasien eine Rolle spielen, etwa wenn ihr fast nackter Körper mit Blut beschmiert wird. Es ist insgesamt eine gelungene Inszenierung mit einer ganz eigenen Note, die die Düsternis des Werkes unterstreicht. Über die musikalische Seite lässt sich nur das Allerbeste sagen. Marc Niemann und das Philharmonische Orchester Bremerhaven spielen nicht nur hochkonzentriert und makellos. Sie setzen auch hochdramatische Akzente, geben mit genau den richtigen Tempi der Musik mitreißenden Schwung und lassen den Sängern Raum zum Atmen. Es ist eine Wiedergabe, die vom ersten bis zum letzten Takt fesselt und begeistert. Großen Anteil an diesem positiven Eindruck haben auch der Opernchor und der Extrachor in der Einstudierung von Mario El Fakih Hernández. So klangvoll und wuchtig hat man die Bremerhavener Chöre lange nicht gehört.

Als Lady Macbeth kann Signe Heiberg aus dem Bremerhavener Ensemble alle Erwartungen an die Partie erfüllen. Sie verfügt über einen kraftvollen, leuchtstarken Sopran, den sie raumgreifend und mühelos über dem Orchester schweben lässt und der auch in extremen Lagen nie ausbricht. Ihre Darstellung der Lady, schwankend zwischen Ehrgeiz, Hohn und Wahnsinn, kennt viele Facetten und Zwischentöne. Es ist eine Leistung, die auch an weitaus größeren Opernhäusern Bestand hätte. Aber auch der Gastsänger Marian Pop kann daneben bestehen. Sein warm timbrierter, sonorer Bariton strömt in allen Lagen ebenmäßig und wohlklingend. Die Neurosen der Figur und ihre Gebrochenheit verdeutlicht er ebenso überzeugend wie deren Skrupellosigkeit. Die Szenen zwischen Pop und Heiberg knistern geradezu vor Spannung und Emotionalität.

Nicht ganz auf diesem Niveau bewegt sich der Banquo von Ulrich Burdack. Auch er gibt seiner Partie durchaus Profil, aber stimmlich sind in Sachen Tiefe und Volumen doch ein paar Abstriche zu machen. Dafür sorgt Konstantinos Klironómos als Macduff für eine echte Überraschung. Seine Partie besteht fast nur aus der einen Arie O figli, o figli miei!, die er aber mit ausgesprochen schön, rund und höhensicher klingendem Tenor serviert.

Wolfgang Denker, 18. September 2022

Fotos von Heiko Sandelmann