Bremerhaven: „Dracula“

Premiere am 17.09.2016

besuchte Aufführung: 25.09.2016

Vampire sind auch nur Menschen

Nein – Vampirzähne bekommt man nicht zu sehen, auch das ganze Vampir-Brimborium mit Kreuzen, Knoblauch und düsterer Karpatenlandschaft bleibt ausgespart. Ein bisschen Blut muss natürlich trotzdem sein, aber auch nicht zuviel.

Wieder einmal hat das Stadttheater Bremerhaven die Spielzeit mit einem Musical eröffnet und wieder auf ganzer Linie gewonnen. Die Wahl fiel diesmal auf „Dracula“ von Frank Wildhorn. Bei dieser Version des hinlänglich bekannten Stoffes handelt es sich mehr um eine Liebes- denn um eine Horrorgeschichte. Das hat Regisseur Philipp Kochheim auch ganz vorbildlich umgesetzt. Der Titelheld ist keine Kopie von Christoper Lee, sondern eigentlich ein ganz netter Kerl. Natürlich beißt auch er kräftig zu, aber eigentlich quälen ihn Einsamkeit und Sehnsucht. Deshalb siedelt Dracula auch von Transsilvanien noch London um. Vielleicht findet er dort Abwechslung, vielleicht sogar ein unverhofftes Glück. Schnell wird Mina, die Verlobte des Rechtsanwalts Jonathan Harker, das Objekt seiner Begierde. Das hindert ihn allerdings nicht, zunächst deren Freundin Lucy (in einer sehr deutlichen Szene) zu vernaschen und in einen blutigen Zombie zu verwandeln. Dank des Gelehrten van Helsing kommt die Londoner Gesellschaft schnell dahinter, was es mit Dracula auf sich hat. Das ist Anlass für den Regisseur, eine kleine Action-Einlage zu inszenieren: Eine turbulente Jagd mit Gewehren und Knallerei, aus der Dracula zunächst entkommt. Ihn hat ja die „wahre Liebe“ gepackt und es zieht ihn zu Mina. Vampire sind eben auch nur Menschen. Aber weil er sich unsterblich verliebt hat, ist der sterblich geworden. Und so endet es leider doch böse: Im letzten Bild richtet Jonathan die Flinte zum tödlichen Schuss auf ihn.

Kochheim hat eine sehr gelungene Inszenierung in sehr ästhetischen Bildern auf die Bühne gebracht. Ausstatterin Barbara Bloch variiert die Spielräume mittels Drehbühne geschickt zwischen einer Hausbar, einer geräumigen Wohnsuite und einem Schlafzimmer. Bedrohliche Stimmung wird mit gekonnten Lichteffekten erzeugt. Kochheims Personenführung ist in jedem Moment spannend und schlüssig. Auch die unvermeidlichen Gruseleffekte werden geschmackvoll ausgespielt.

Auch musikalisch ist die Produktion erstrangig. Das ist der hervorragenden Besetzung, dem opulenten Klang der Bremerhavener Philharmoniker und dem inspirierten Dirigat von Hartmut Brüsch zu danken. Die Musik von Frank Wildhorn hat da mit ihren individuellen Liedern und ihren fast sinfonischen Passagen viel zu bieten. Brüsch kostet die mitunter an schönste Filmmusik erinnernden, reinen Orchestersequenzen voll aus und spitzt die Dramatik spannungsvoll zu.

Als Dracula kann Christian Alexander Müller mit ausdrucksvoller Stimme und charismatischer Persönlichkeit überzeugen. Kein Wunder, dass Mina seiner Faszination erliegt, auch wenn sie sich zunächst dagegen wehrt. Erst der „Kuss der Erkenntnis“ (fast wie bei „Parsifal“, nur mit umgekehrtem Vorzeichen) ändert alles. Anna Preckeler gibt der Figur genau die richtige Zerrissenheit mit. Die Duette der beiden erklingen emotional aufgeladen. Carolin Löffler ist die leichtlebige, attraktive Lucy. Operntenor Tobias Haaks sorgt als van Helsing mit dem Schmelz und der Kraft seiner Stimme für besondere Höhepunkte. Gut besetzt sind auch die weiteren Rollen, darunter Maximilian Mann als Jonathan Harker und Thomas Burger als der skurrile, Spinnen fressende Diener Renfield.

Wolfgang Denker, 26.09.2016

Fotos von Heiko Sandelmann