Premiere am 25.12.2017
„Fidelio“ als Weihnachtsmärchen
Wo hätte Regisseur Robert Lehmeier seine Bremerhavener Inszenierung von Ludwig van Beethovens einziger Oper „Fidelio“ wohl angesiedelt, wenn die Premiere nicht für Weihnachten sondern für Ostern geplant gewesen wäre? Hier jedenfalls blickt man zunächst in ein spießbürgerliches Wohnzimmer der fünfziger Jahre, wo Rocco, Marzelline, Jaquino und Fidelio sich den Weihnachtsbraten schmecken lassen. Rocco trägt ein Weihnachtsmannkostüm, im Hintergrund ist ein riesiger, etwas kitschiger Weihnachtsbaum zu sehen und vom Himmel fallen heimelig anmutende Schneeflocken. Da wundert man sich, wenn die Gefangenen später von der Frühlingssonne singen. Für deren Auftritt wird die Bühne hochgefahren, die sich zuvor noch in eine Küche mit Spüle und Waschmaschine verwandelt hatte. Die Gefangenen werden von Jaquino einzeln photographiert, ob für die Polizeiakte oder fürs Familienalbum, bleibt unklar. Für den zweiten Akt genügt dem Ausstatter Stefan Riekhoff die fast leere Bühne mit einer Deckenlampe und nur zwei Stühlen für Rocco und Florestan.
Vorher sitzt Florestan bei seiner Auftrittsarie „Gott! Welch Dunkel hier“ zusammen mit seinem Freund, dem Minister, in einem bequemen Plüschsessel und im hellen Licht einer Stehlampe. Aber das war wohl ohnehin nur eine Vision Leonores, die die Szene beobachtet. Überhaupt die Stehlampen – am Ende wird davon eine ganze Batterie zusammen mit den Chordamen in quietschbunten Kleidern und mit Blumensträußen auf die Bühne gefahren. Die „Gefangenen“ gesellen sich in schmucken Anzügen dazu. Friede, Freude, Weihnachtskuchen für alle? Leonore hält sich bei dem allgemeinen Jubel jedenfalls die Ohren zu.
Die, um es vorsichtig zu sagen, eigenwillige Inszenierung von Robert Lehmeier beginnt mit einer über Lautsprecher eingespielten Weihnachtsansprache von Joachim Gauck, in der um Vertrauen für den Staat, insbesondere für den Rechtsstaat, geworben wird. Das mag noch passen, aber Unterdrückung und staatliche Willkür werden hier viel zu wenig thematisiert. Und der Bösewicht Don Pizarro wirkt bei Lehmeier nur wie die Karikatur eines Schurken. Wenn er mit dem Dolch herumfuchtelt und später grinsend seine Handfesseln präsentiert, ist das eher unfreiwillig komisch. Die Gefährlichkeit der Figur wird nur von Marc Niemann am Pult es Philharmonischen Orchesters Bremerhaven verdeutlicht.
Keine schlechte Idee war es, statt der sonst oft hölzernen Dialoge nur innere Monologe der Figuren (von Schauspielern gesprochen) einzuspielen. Weniger gut die Idee, auch die Anfangstakte der Ouvertüre aus der Konserve zu liefern, bevor dann das Orchester einsetzt. Denn Marc Niemann und das Philharmonische Orchester Bremerhaven erweisen sich in Sachen Beethoven als sehr kompetent, was der Sinfonien-Zyklus auf CD zeigt, deren dritte Folge gerade erschienen ist. Auch bei „Fidelio“ erweist sich sein Zugriff auf die Musik als absolut stimmig und mitreißend. Schon der Ouvertüre gibt er Gewicht und Größe. Den im 1. Akt vorherrschenden Singspielcharakter treffen Niemann und das Orchester ebenso gut wie die dramatische Spannung und die Emotionalität des 2. Aktes. Das Quartett „Mir ist so wunderbar“ wird mit Ebenmaß, perfektem Tempo und schönster Klangbalance musiziert. Auch für die großen Chorszenen im Finale findet Niemann den richtigen Zugang, fernab von hohlem Pathos. Hier stimmt auch die Leistung von Opernchor und Extrachor in der Einstudierung von Mario Orlando El Fakih Hernández, die beim Chor der Gefangenen im 1. Akt noch nicht ganz überzeugte.
Eine kleine Enttäuschung bereitete Yamina Maamar als Leonore. Zwar hat ihr Sopran immer noch viel Durchschlagskraft, aber es fehlt ihm an Jugendlichkeit. Ihre Stimme macht für diese Partie einen überreifen Eindruck und neigt mitunter zu etwas schrillen Tönen. Tobias Haaks bekommt die heldischen Anforderungen der Florestan-Partie gut in den Griff. Auch den heiklen Beginn von „Gott! Welch Dunkel hier“ meisterte er sehr respektabel. Das Crescendo hätte noch besser sein können, aber sein Tenor entwickelt Kraft und Farbe – eine sehr gute Leistung! Der prachtvolle Bass von Leo Yeun-Ku Chu kommt auch bei der Partie des Kerkermeisters Rocco einmal mehr bestens zur Geltung; und Alice Fuder überzeugt als Marzelline (im albernen Glitzerkleid) mit beweglichem Soubretten-Sopran ohne Einschränkung. MacKenzie Gallinger gibt den Jaquino mit solider Routine. Derrick Ballard versieht die Partie des Pizarro mit viel Ausdruck und stimmlicher Wucht, während Vikrant Subramanian als Minister weit unter seinen Möglichkeiten bleibt.
Musikalisch gibt es also durchaus viele positive Eindrücke, während die Inszenierung dem Gehalt von Beethovens Meisterwerk nur in Teilen gerecht wird. Der recht kurze Schlussbeifall gilt vor allem der musikalischen Seite, während die Regie auch Buhrufe zu hören bekommt.
Wolfgang Denker, 26.12.2017
Fotos von Heiko Sandelmann