Bremerhaven: „Rigoletto“

Premiere am 04.11.2017

Ein Fest ausdrucksvoller Stimmen

Zeit und Ort sind in der Inszenierung von Verdis „Rigoletto” bei Regisseur Andrzej Woron nicht festgelegt. Zum Orchestervorspiel kommt ein Clown vor den noch geschlossenen Vorhang, fast so als wären wir im „Bajazzo“. Er lacht hysterisch und laut in die Musik hinein. Es ist Rigoletto, der Hofnarr des Herzogs von Mantua. Von Hofstaat ist allerdings nichts zu sehen. Das Bühnenbild besteht aus einer schräggestellten Drehscheibe, auf der sich Männer mit aufblasbaren Sexpuppen vergnügen. „Die Personen drehen sich auf einer Scheibe wie bei einem Roulette“, beschreibt Woron die Szene. Aber auch die Assoziation zu einer Zirkusmanege liegt nahe. Man trägt zwar überwiegend Alltagskleidung, aber die Gesichter der Hofschranzen sind weiß geschminkt. Später wird mittels Drehbühne der Blick auf Gildas enge, fast unterirdische gelegene Klause und später auf die puffrot beleuchtete Schänke von Sparafucile gelenkt. Das Bühnenbild stammt ebenfalls von Andrzej Woron, das er zusammen mit Hanna Sibilski entworfen hat.

Die erste Szene des 1. Aktes fällt dabei insgesamt etwas aus dem Rahmen und wirkt fast wie ein plakativer Beitrag zur aktuellen Sexismus-Debatte. Aber dann findet Woron doch schnell zu seiner eigentlichen Intention, nämlich einer psychologischen Zeichnung der Personen. Das ist besonders im Fall von Rigoletto gelungen, der als „Übervater“ seine Tochter einschließt und ihre Bedürfnisse ignoriert. Rigoletto ist hier kein Krüppel; wenn er seine Clownsperücke abzieht, wirkt er in Schlips und Kragen eher wie ein bürgerlicher Beamter. Die vermeintliche Liebe des Herzogs befreit Gilda geradezu psychisch und physisch aus ihrem engen Verließ: Sie entschwebt bei ihrer Arie „Caro nome“ auf einer Schaukel nach oben, sozusagen in den siebenten Himmel. Sie trägt dabei den Tüllrock und die roten Schuhe, die ihr der Herzog zuvor geschenkt hat. Das ist ein sehr gelungenes Bild, poetisch und symbolkräftig zugleich. Worons Inszenierung zeichnet sich zudem durch logisch durchdachte Details aus. Bei seiner Arie „Ella mi fu rapita“ etwa sucht der Herzog in ihrem Kabuff nach Gilda und nicht am Hof. Etwas überzogen ist der Schluss, wenn Gilda den Herzog umarmt und ihn einfach nicht loslassen kann, auch wenn der gerade mit Maddalena „rummacht“.

Musikalisch sorgt dieser „Rigoletto“ für ungetrübtes Verdi-Glück. Bremerhaven beschert ein Fest ausdrucksvoller Stimmen. Dae-He Shin, der 2010 zum Sänger des Jahres nominiert wurde, kam gastweise vom Meininger Theater. Er singt den Rigoletto mit erzenem Wohlklang und gestaltet die Partie mit einer reichen Ausdrucksfülle. Seine Arie „Cortigiani“ lässt an Emotionalität und Wucht keine Wünsche offen, ebenso wie das lodernde Racheduett und die vorausgegangene Szene mit Gilda. Die wird von Tijana Grujic mit leuchtendem und sicher geführtem Sopran gestaltet. Die Hoffnungen des jungen Mädchens verdeutlicht sie mit anrührendem Spiel und findet in der letzten Szene zu ätherischen Tönen. Mit Kwonsoo Jeon steht ein jugendlicher, burschikoser Herzog zur Verführung. Bei „Questa e quella“ hat er sich noch nicht ganz warm gesungen, aber das Duett mit Gilda gestaltet er mit sinnlichem Verführungston. Bestens gelungen und mit feiner Differenzierung versehen ist auch „Ella mi fu rapita“, während „La donna e mobile“ noch leichtfüßiger und eleganter denkbar ist.

Leo Yeun-Ku Chu begeistert einmal mehr mit seiner runden, sonoren Bassfülle. Der Sparafucile wird bei ihm zu einer Hauptrolle. Patrizia Häusermann erweist sich für die Maddalena als eine äußerst attraktive Besetzung. In weiteren Partien bewähren sich u.a. Brigitte Rieckmann als Giovanna, Daniel Dimitrov als Graf von Monterone, Lukas Baranowski als Marullo, MacKenzie Gallinger als Borsa und Michaela Weintritt als Gräfin von Ceprano. Der bestens singende und agierende Herrenchor wurde von Mario Orlando El Fakih Hernández einstudiert. Marc Niemann dirigiert das Philharmonische Orchester Bremerhaven mit Sinn für instrumentale Feinheiten und arbeitet spitzt die dramatischen Höhepunkte effektvoll zu, ohne dabei jemals „knallig“ zu wirken.

Wolfgang Denker, 05.11.2017

Fotos von Heiko Sandelmann