Premiere am 25.03.2017
Nur schon um den Interpreten der Titelrolle erleben zu dürfen, lohnt sich die Reise nach Bern! Wie der junge schwedische Tenor Daniel Frank diesen Tannhäuser mit packender Intensität spielt und singt ist geradezu ereignishaft. Wann hat man je eine solch plastisch gestaltete Romerzählung gehört, voller Leidenschaft, Tragik und Verbitterung – und dazu ohne jegliche stimmlichen Ermüdungserscheinungen. Denn der Tannhäuser ist und bleibt eine der anspruchsvollsten und gefürchtetsten Tenorpartien aus Wagners Schaffen.
Doch Daniel Frank singt ihn mit fantastischer Leichtigkeit und Genauigkeit der Tongebung, dynamisch fein abgestuft, die Kräfte klug und stimmig disponierend. Dem lichten Timbre seiner kontrolliert und sauber ansprechenden, hervorragend fokussierten Stimme ist die baritonale Vergangenheit seines stimmlichen Werdegangs kaum mehr anzumerken. Hervorragend auch, wie Daniel Frank die schwierige Szene im Venusberg zu Beginn der Oper meistert: Verhalten steigt er ein in die Lobpreisung der Göttin, steigert sich von Strophe zu Strophe, legt an energischer Entschlossenheit zu. Und die braucht er auch, um sich von der selbstbewussten Venus loszueisen. Denn hier, in der Inszenierung von Calixto Bieito, ist Venus weder üppige Puffmutter noch ein Abbild eines Männerfantasien bedienenden Centerfold-Girls. Nein, hier ist die Venus eine Frau in ihren besten Jahren, welche sich ihrer sexuellen Bedürfnisse voll bewusst ist, sich zu nehmen weiss, was sie braucht. Claude Eichenberger verkörpert diese Frau mit bezwingender darstellerischer und stimmlicher Wucht, versteht es, den Heinrich Tannhäuser zu ihrem ergebenen Sexsklaven zu machen, holt sich den Cunnilingus, wenn sie ihn braucht, stillt ihr sexuelles Verlangen auch mal selbst oder reibt sich an dem verkehrt rumhängenden Geäst des schwülen Waldes.
Ihre Stimme strahlt eine herrlich herbe Erotik aus, kann durch Mark und Bein gehen, ohne hysterisch zu klingen. Toll!!! Ja, sie ist ein Naturphänomen, diese Venus – weckt Begehren und stösst in ihrer selbstsicheren Unerbittlichkeit auch ab. Eigentlich hätte man gedacht, die Szene im Venusberg sein eine Steilvorlage für den Regisseur Calixto Bieito, ein Regisseur, der sich in der Regel nicht scheut, Orgien, Sexualität und Gewalt mit handfester Körperlichkeit auf den Opernbühnen des Kontinents zu zeigen. Doch Bieito ist ein kluger Analyst und unterläuft die Erwartungshaltung manches Operngängers mit Subtilität. In dem von der Bühnenbildnerin Rebecca Ringst gestalteten Bühnenraum herrscht eine schwül-tropische Atmosphäre, die feuchte Hitze bringt zum Bacchanal die Venus, diese Frau im schwarzen Unterrock, in Wallung, die kopfüber rumhängenden Bäume sind das Ballett, Venus die einzige Tänzerin. Nebelschwaden, fahles Licht, eine Teichfolie als Boden. Dazu Wagners geniales Vorspiel mit dem für Paris komponierten Bacchanal, welches vom Berner Symphonieorchester unter der Stabführung von Kevin John Edusei mit transparenter Klangkultur gespielt wird, dem soghaften Duktus der Musik aber nichts schuldig bleibt.
Wunderbar setzt Edusei die geballten Höhepunkte, das Pilger- und Erlösungsmotiv wird mit architektonischer Finesse aufgebaut, bäumt sich hoch – und findet die exakte Entsprechung auch auf der Bühne. Von den sorgfältig herausgearbeiteten Arpeggien der Harfe und den chromatischen Wendungen des Bacchanal geht eine flirrende Sinnlichkeit aus, kann rabiat umschlagen, das gesamte Dirigat ist nie bloss zelebrierend, sondern richtet den Blick nach vorne, bleibt hochspannend, genau wie die Inszenierung, die insgesamt sehr schlüssig gehalten ist. Nachdem Tannhäuser sich dann von Venus losgesagt hat, findet er sich wieder in der Männergesellschaft seiner alten Kumpels von der Wartburg. Diese gebärden sich im ersten Akt wie eine Gruppe von Managern (oder Politikern), welche sich in einem dieser Trainingscamps befinden, wo sie im Wald ihren infantilen Männerritualen frönen dürfen. Sie ziehen sich aus, beschmieren sich mit Blut, Rangeleien um die Hackordnung brechen sich Bann, alles leicht homoerotisch aufgeladen, wenn auch die Sexualität durch eben diese „Bubenspielchen“ quasi ersetzt wird. Bieitos Dauerthema (Männer sind Schweine) schimmert immer wieder durch, auch im zweiten Akt. Hier, in der Halle der Wartburg, ist alles klinisch rein. Die dreischiffige, lichte Säulenhalle strahlt eine emotionale Kälte sondergleichen aus, das Lichtdesign von Michael Bauer unterstreicht diese unterkühlte, lustfeindliche Atmosphäre sehr gekonnt. Und man merkt es von Beginn an, der Tannhäuser wird sich in diese Gesellschaft mit ihren faschistoiden Zügen nie und nimmer einfügen können. Zwar ordnet er sich zu Beginn des Sängerwettstreits noch unter, legt den Hoody und die Schlabber-Combathosen zur Seite, zieht sich Hemd, Fliege, Sakko und feine Hose an (Kostüme: Ingo Krügler), wirft sich auch in Büssermanie bäuchlings auf den Boden wie alle anderen Minnesänger.
Lange hält er es allerdings nicht durch, alles wird ihm schnell zu eng. Kalt wie ihre Umgebung klingt auch die Stimme Elisabeths in der Hallenarie: Liene Cinča singt sie mit grosser, sauber geführter Stimme. Man spürt bei ihr deutlich die Enttäuschung, die Verbitterung über Tannhäusers Weggang, der sie in dieser unerfreulichen, die Frauen als zu begrapschendes Objekt behandelnden Männergesellschaft zurückgelassen hat. Sie scheint zu spüren, dass sie nie daraus wird ausbrechen können. Ihre mit grandioser Expressivität gesungene Phrase „Heinrich, was tatet ihr mir an?“ drückt all die Gefühle aus, welche Elisabeth empfindet. Der Regisseur hat diese Szene ganz besonders genau und textbezogen in Szene gesetzt, zeigt die Bedürfnisse Elisabeths mit exemplarischer Deutlichkeit. Wenn sie sich dann (nach dem turbulent endenden Sängerstreit) mit „Der Mut des Glaubens sei ihm neu gegeben“ für Heinrich einsetzt, geht das wahrlich unter die Haut. Auch ihr Gebet im dritten Akt „Allmächt’ge Jungfrau“ gelingt Frau Cinča ausgezeichnet, sie kann hier ihre Stimme wunderschön ins mezzopiano zurückführen. In Jordan Shanahans Wolfram von Eschenbach hat Elisabeth einen zweiten Verehrer, der in Bieitos Sicht auf das Werk aber beileibe nicht der seine Sexualität in geistiger Verklärung auflösende Gutmensch ist. Im Gegenteil: Er bleibt ein Rivale Heinrichs und ein unbeholfen grapschender Macho. Shanahan gibt ihn nicht mit balsamischem Wohlklang. Seine ausgesprochen und bewundernswert penible Diktion bewirkt eine gewisse Kurzatmigkeit bei den Phrasen, so dass z.B. das O du, mein holder Abendstern etwas eher Drängendes denn Tröstliches hat.
Ein interessanter Ansatz, den Shanahan mit seinem markanten, sauber intonierenden Bariton hervorragend umsetzt. Der Landgraf (Kai Wegner) ist ein gar unheimlicher Oheim Elisabeths und Landesfürst. Er beteiligt sich mit Lust an den Spielen der „wilden Kerle“ im Wald, gibt dann den Gastgeber auf der Wartburg und lebt nebenbei noch seine pädophilen Neigungen aus, indem er einen der Edelknaben auf den Schoss nimmt, ihn unangemessen tätschelt und ihm auf anzügliche Art und Weise einen Lollipop in den Mund schiebt. Das etwas flach intonierte „So bleibe denn unausgesprochen“ des Landgrafen erhält so eine ganz eigene, unerwartete Dimension. Unter der nach aussen so klinisch sauberen Fassade brodeln also dunkle Abgründe. Auch die anderen Minnesänger (besonders erwähnenswert der wie stets ausgezeichnet singende und engagiert agierende Andries Cloete als Walter von der Vogelweide) sind wahrlich keine Musterschüler an Keuschheit und Ritterlichkeit. Sie sind doppelzüngige, scheinheilige Männer, die sich genauso nach Freiheit von der autoritären Unterdrückung sehnen wie die Gäste auf der Wartburg (verkörpert vom Chor und Extrachor Konzert Theater Bern, Einstudierung: Zsolt Czetner), welche auch die Pilger verkörpern und den Chorpassagen dynamisch fein abgestuften Wohlklang und glutvolle Intensität einhauchen.
Wenn sie dann am Schluss über die zusammengeraffte Teichfolie zwischen den nun von der Natur wieder zugewucherten und quasi zurückeroberten Säulen der Halle zur Rampe gekrochen kommen, ein Halleluja anstimmen und von der Gnade Heil singen, dabei aber wie Gefangene die Hände nach Erlösung und Verlangen nach Freiheit in den Raum recken, so kommen einem doch berechtigte Zweifel am „seligen Frieden“. Ein paar störende Regieeinfälle sollen aber nicht verschwiegen werden, sie wiederholen sich bei Calixto Bieito leider in seinen eigentlich sehr genau konzipierten Inszenierungen immer wieder: Im dritten Akt rauscht zu Beginn 20 Minuten lang (akustisch störend) Wasser vom Bühnenhimmel zu Boden, nur mit dem Zweck, eine Pfütze zu haben, in welcher dann der von Elisabeth zurückgestossene Wolfram buchstäblich baden gehen kann. Auch das Finale II wird einmal mehr durch Bühnengeräusche „versaut“: Die Minnesänger schlagen mit Eichenlaub unaufhörlich und überaus laut auf Tannhäuser ein, kasteien und erniedrigen den in der Pose des Gekreuzigten (auch diese Pose hat man schon zu oft gesehen) an der Rampe stehenden Heinrich. Für mich ist diese Missachtung der Musik (wie in Bieitos Inszenierung von DER FLIEGENDE HOLLÄNDER in Stuttgart) ein absolutes No-go. Und sehr gerne würde ich einmal eine Inszenierung von Bieito sehen, in der Männer nicht nur Schweine sind, sondern auch positive Identifikationsfiguren darstellen können. So schlecht sind wir doch nicht (alle) … .
Bilder (c) Philipp Zinniker, mit freundlicher Genehmigung KonzertTheaterBern
Kaspar Sannemann 2.4.2017