7. November 2014 ( 4. Vorstellung nach der Premiere vom 25. Oktober)
In unserer Medienwelt ist es möglich, dass man sich schon vor dem Besuch einer Opernvorstellung ein Bild machen kann, was der Regisseur mit seiner Inszenierung zeigen will – und so sei zu Beginn zitiert, was Marco Štorman (der im Vorjahr in Klagenfurt einen sehr stimmigen Rosenkavalier auf die Bühne gestellt hatte) auf Klagenfurts Website schreibt:
„Für mich ist es wichtig, dass die Inszenierung einen Grund liefert, dass Cavalleria rusticana und Pagliacci an einem Abend aufgeführt werden. Letztlich erzählen sie beide vom immerwährenden und immer kreisenden Spiel der Liebe. Wie sich Sehnsüchte aufbauen, sie zerstört werden, sich Menschen wieder aufrichten. Wie sie kämpfen, in ihrem Kämpfen aber gegen die Mechanismen einer Gesellschaft stoßen, sich gegen diese stellen müssen, wie aus Liebe Hass wird, aus Eifersucht Rache, aus Leben Sterben. Gleichzeitig steht in Pagliacci eine Bühne auf der Bühne. Das Leben kreist also nicht nur als solches, sondern dreht sich weiter in unsere Wunsch- und Traumbilder hinein. Hier liegt unser Anknüpfungspunkt: Wessen Wahrheit wird eigentlich erzählt? Und wer hat die Kontrolle über unsere Wünsche? Gibt es eine objektive Realität? Oder projizieren wir nicht vielmehr alle qua eigenem Erleben, eigener Ängste, jeder einen eigenen Blick in das Jetzt? Pagliacci ist eine Variation von Cavalleria rusticana. Ein Weiterdrehen der Geschichte. Realität und Fiktion vermischen sich zunehmend. Was ist also Theater, Träumen, was ist Leben? Oder erleben wir nicht vielmehr im Träumen? Tonio, die Erzählerfigur in Pagliacci, taucht bei uns auch in der Person des Alfio im ersten Teil, in der Cavalleria rusticana auf. Er wird zum teuflischen Traumlenker, zu jemandem, der das Spiel unserer Leben spielt, unsere Wahrnehmung verschiebt und uns von einer Bühne des Lebens in die nächste führt.“
Nun muss der Besucher der Aufführung – und erst recht der kritische Berichterstatter – beurteilen, ob dieser Werkzugang überzeugt oder bloß ein intellektuelles Gedankenkonstrukt bleibt. Und leider muss man wieder einmal sagen: Was der Regisseur in seinem Beitrag wortreich darlegt, scheitert in der praktischen Bühnenumsetzung. Die beiden veristischen Opernhits leben an diesem Abend ausschließlich von der unsterblichen Musik Mascagnis und Leoncavallos und von den sängerischen Leistungen. Gemeinsam mit dem Bühnenbildner Dominik Steinmann und der Kostümbildnerin Sara Schwartz hat der Regisseur grelle Variété-Tableaus auf die Bühne gebracht und gar nicht versucht, eine spannende Handlung zu erzählen. Eine szenische Führung des Chors hat sich der Regisseur überhaupt erspart: der Chor steht (in skurril-drastischen Kostümen) meist als regungsloser Block auf der Bühne – wenn es nicht etwa peinliches rhythmisches Köpfewackeln des Herrenchors bei Alfios erstem Auftritt gibt. Die einzige die Aufmerksamkeit des Publikums erregende Bühnenaktion besteht in der Verdoppelung der handelnden Personen durch Kinder – das findet zwar das Publikum rührend, aber es trägt absolut nichts zu einer dramatischen Zuspitzung der Handlung bei und lenkt von den Protagonisten ab.
Das Publikum reagiert übrigens erfrischend-natürlich auf diese Kindereinlagen – und entlarvt damit das gescheiterte Bemühen der Inszenierung. Dazu ein konkretes Beispiel: vor dem Duell Alfio/Turiddu steht im Libretto die szenische Anweisung: „Sie umarmen sich. Turiddu beißt Alfio in das rechte Ohr.“ Das wird natürlich nicht umgesetzt. Stattdessen stehen Alfio und Turiddu regungslos da – das Umarmen und Beißen besorgen ihre kindlichen Doubles. Dann gehen alle ab, nur Turiddu bleibt allein zurück, steht (in seinem peinlich engen Anzug) hölzern in der Mitte der Bühne und singt „Mamma“. Das Publikum lacht. Die tragische Stimmung des Abschieds von der Mutter und vom Leben ist zerstört…..Die angesungene Mamma Lucia ist übrigens nicht auf der Bühne – sie singt ihre Einwürfe zunächst unsichtbar und erscheint dann in einer Loge im Zuschauerraum. Das Drama der verlassenen und zutiefst verletzten Santuzza wird nur dann spürbar, wenn die wunderbare Mary Elizabeth Williams ihre große, leicht raue Stimme erhebt. Sie wirkt durch ihr Singen überzeugend und berührend – trotz unvorteilhafter Kostümierung und mangelnder Personenführung. Ihrer dramatischen Stimme gewinnt sie auch zarte Farben und schöne Piani ab. Allerdings hat man an diesem Abend den Eindruck, dass sie primär aus ihrem reichen Stimmmaterial schöpft und dass der Stimmsitz nicht ganz zentriert ist.
Alfio ist natürlich kein bäuerlicher Fuhrmann, sondern schon in der Cavalleria der Clown, den die Regie zu einem beide Stücke durchziehenden und unablässigen dümmlichen Grinsen verurteilt – selbst an jenen Stellen des Stücks, wo es bei Gott um ernste, ja existenzielle Dinge geht. Und mit der Peitsche knallt der Alfio natürlich nicht bei seinem Auftrittslied, sondern im Duett mit Santuzza – auch das wahrlich kein überzeugenden Einfall. Der erst 32 Jahre alte ungarische Bariton Csaba Szegedi überzeugt stimmlich vor allem als Tonio. Für den Alfio fehlt ihm noch ein wenig das bedrohlich-düstere Stimmgewicht. Turiddu und Canio ist der erfahrene Ricardo Tamura , der im nächsten Jahr an der Met den Don Carlo singen wird. Die Siziliana hinter geschlossenem Vorhang gelang nicht so recht – aber dann steigerte er sich zu einer großartigen stimmlichen Leistung mit strahlenden Höhen. Den jugendlich-leichtsinnigen Bauernburschen konnte er weder szenisch noch stimmlich vermitteln, da war er als Canio dann in jeder Hinsicht überzeugender, auch wenn er seine großen Szenen primär völlig statisch zu singen hatte.
Das krampfhafte Regiekonzept ging in „Pagliacci“ noch weniger auf als in der „Cavalleria“. Das Libretto vermittelt uns drei menschliche Ebenen – das dörfliche Leben, das private Leben der Komödiantentruppe und das Spiel auf der abendlichen Bühne – von den Spannungen zwischen diesen drei Ebenen lebt das Stück, daraus entwickeln sich die dramatischen Verknüpfungen. Die Regie trägt dieser Ausgangssituation überhaupt nicht Rechnung, zeigt nur eine einzige grell-bunte Kunstwelt und vergibt damit die Chance auf spannendes Bühnengeschehen. Dazu wieder ein Beispiel: der Bauernbursch Silvio kommt aus dem dörflichen Leben. Ausgerechnet sein Auftritt erfolgt auf der grell erleuchteten Schmierenbühne und nicht in der nächtlichen Verborgenheit des Dorfes. Geradezu unbeholfen gelöst ist auch die Schlussszene mit den Notenpulten und herumgeworfenen Textbüchern. Packendes Musiktheater gibt es nur durch die Musik.
Zu den beiden Konkurrenten Turiddu/Canio bzw. Alfio/Tonio kommt in den „Pagliacci“ eine neue Frauenfigur. Aus Stimmfachgründen konnten natürlich Santuzza und Nedda nicht von einer Sängerin gestaltet werden ( aber das Kinderdouble der Santuzza musste auch im Bajazzo auftreten, um die krampfhafte Idee des Regisseurs zu manifestieren, dass die beiden Stücke zusammengehören). Die Chinesin Guanqun Yu war eine stimmlich sehr sichere Nedda, die die lyrischeen Stellen ebenso überzeugende gestaltete, wie die dramatischen Ausbrüche, wenn es ihr auch ein wenig an der gebotenen erotischen Laszivität fehlte. Für mich war allerdings ihr Silvio eine besondere Entdeckung. An diesem Abend sang der Österreicher Stefan Zenkl diese Partie zum ersten Male in der Klagenfurter Produktion und überzeugte nicht nur durch darstellerische Präsenz, sondern auch mit seinem markanten, technisch ausgezeichnet geführten Bariton. Man versteht seinen Erfolg als Wolfram im vorigen Jahr in Kassel und freut sich auf seinen Papageno, der im Dezember in Klagenfurt folgt. Auch alle kleineren Rollen waren sehr gut besetzt: Anna Werle als kühle Lola, Eibe Möhlmann als markante Mamma Lucia und Ilker Arcayürek als präsenter Beppe, aber auch die beiden Chorsolisten Michael Schober und Woohyun Park. Der stark besetzte und in diesen beiden Opern so wichtige Chor (Leitung: Günther Wallner) profitierte von der statischen Regie und bot eine geschlossene, klangschöne und im Wesentlichen präzise Leistung – nur zu Beginn des 2.Akts „Pagliacci“ wackelte es ein wenig.
Das Kärntner Sinfonieorchester unter seinem Chef Alexander Soddy begann zunächst etwas zaghaft – die ersten Takte des Cavalleria-Vorspiels waren eher dünn als „dolce e religioso“. Dann aber steigerte sich das Orchester zu einer sehr guten Leistung mit etlichen schönen Holzbläser-Stellen, aber auch die Streicher gewannen an Substanz. Soddy bemühte sich um eine differenzierte Orchestergestaltung. Er sollte nur darauf achten, dass gerade bei dieser plakativen Musik nicht der große Bogen verloren geht. Speziell bei den großen Santuzza-Szenen bestand ein wenig die Gefahr, dass die Piano-Stellen aus dem Gesamtzusammenhang herausfallen. Und ein ernsthafter Hinweis an den Dirigenten: sein Glenn-Gould-artiges Mitbrummen/singen war bis in die 6.Reihe zu hören und gerade bei Piano-Stellen durchaus störend!
Zusammenfassung: Klagenfurt hat mit dieser Aufführung ein sehr respektables Niveau bewiesen – schade, dass die Regie an dieses Niveau nicht heranrecht.
Hermann Becke, 8. 11. 2014
Szenenfotos: Stadttheater Klagenfurt, (c) Aljosa Rebolj
Die nächsten Vorstellungstermine finden Sie hier . Wegen der sehr guten musikalischen Leistungen lohnt sich der Besuch – trotz der verunglückten Regie…..
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