Passau: „Il pirata“, Vincenzo Bellini

Besuchte Aufführung: 17. 1. 2014 (Premiere in Passau: 30. 12. 2013)

Beeindruckende Rarität – Schattenspiele und Rampensingen

Es ist eine echte Rarität, die das Theater Passau hier zur Aufführung brachte: Bellinis am 27. 10. 1827 an der Mailänder Scala aus der Taufe gehobene Oper „Il Pirata“ gab den Startschuss zu der erfolgreichen Karriere des Komponisten und leitete zudem die erste große Phase der italienischen Opernromantik ein. Bereits bei diesem Frühwerk sind die typischen Stilelemente Bellinis deutlich auszumachen, die der Tonsetzer in seinen späteren Werken dann zur Vervollkommnung brachte. Es ist eine intensive, emotional stark aufgeladene und berührende Musik, die sich dem Ohr des Zuschauers hier erschließt. Es ist erstaunlich, dass diese großen Reiz verströmende und melodienreiche Oper nicht schon längst den Weg zurück in die Spielpläne gefunden hat. Umso mehr kann man der Leitung des in Passau, Landshut und Straubing spielenden Landestheater Niederbayern Dank sagen, dass es sich auf dieses selten gespielte Juwel des Belcanto besonnen hat.

Eric Vivion-Grandi (Gualtiero), Hyun-Ju Park (Imogene)

Das Stück beruht auf einem spätromantischen Schauerroman des irischen Schriftstellers Charles Robert Maturin. Die Handlung ist schnell erzählt: Das Geschehen spielt an der Küste Siziliens. Die Herzogin Imogene steht zwischen zwei Männern: Ihrem Ehemann Herzog Ernesto von Caldora, mit dem zusammen sie einen Sohn hat, und dem aragonischen Piraten Gualtiero, ehemaliger Gaf von Montaldo, der zehn Jahre zuvor Ernesto im Kampf unterlag und aus Sizilien verbannt wurde. Ihn liebt sie noch immer. Als sein Korsarenschiff im Sturm an der Küste in der Nähe der Burg Caldora strandet, erkennt Imogene in dem Piratenkapitän ihren ehemaligen Geliebten. Sie gibt sich ihm zu erkennen, worauf die alte Liebe erneut entflammt. Bei einem heimlichen Treffen wird das Paar von Herzog Ernesto überrascht. Es kommt zwischen den beiden Rivalen zu einem Duell, in dessen Verlauf Ernesto von Gualtiero getötet wird. Der Freibeuter stellt sich daraufhin selbst dem Gericht. Seine Hinrichtung vor Augen verfällt Imogene dem Wahnsinn.

Kathryn J. Brown (Adele), Hyun-Ju Park (Imogene)

Es war eine operntypische Dreiecksgeschichte mit für die damalige Zeit ungewohntem tragischem Ausgang, die sich vor den Augen des zahlreich erschienenen Auditoriums abspielte. Für die Regie verantwortlich zeigte Alberto Jona von Controluce Teatro d’Ombre. Diese seit bald zwei Jahrzehnten existierende Theatergruppe ist die Begründerin des sog. Schattentheaters. Kein Wunder, dass auch „Il Pirata“ als großangelegtes Schattenspiel auf die Bühne gebracht wurde. Dieser Ansatzpunkt war durchaus akzeptabel. Die Art, wie immer wieder die verschiedensten Schattenfiguren auf eine Vielzahl von die verschiedenen Handlungsorte bildenden überdimensionalen Tücher projiziert wurden, die den ansonsten leeren Bühnenraum von Antonio Martire – von ihm stammen auch die klassischen Kostüme – dominierten, war ebenso wie die Choreographie von Eva Simmeth durchaus eindrucksvoll. Auch einer psychologischen Grundlage entbehrte die Idee nicht. Der Schatten gehört zu den Archetypen, die nach C. G. Jungs Verständnis universell vorhandene Urbilder in der Seele aller Menschen darstellen, unabhängig von ihrer Geschichte und Kultur. Jung interpretiert den Schatten bildhaft als „alle jene dunklen Seiten und ungeliebten Anteile im Menschen, die sie zwar haben, aber nicht kennen, die ihnen unbewusst sind oder sie nicht wahrhaben wollen“. Auch hier geht es um die von Jung ins Feld geführten „dunklen Seiten“, die das Regieteam in Form von solchen Schattenspielen schemenhaft als (Alp-) Traum der Handlungsträger bzw. als Manifestation ihrer Sehnsüchte und Wünsche an die Oberfläche bringt. Konsequenterweise nimmt die Inszenierung manchmal einen etwas surrealen Charakter an. Das Hauptinteresse von Jona gilt Imogene, deren verborgene Seiten trefflich beleuchtet werden. Ihr schlussendlicher Wahnsinn ist die ganze Zeit über bereits latent vorhanden. Bei ihrer großen Schlussarie dringt er schließlich mit Brachialgewalt an die Oberfläche.

Eric Vivion-Grandi (Gualtiero),

So weit schön und gut. Dieses psychologische Konzept war überzeugend und traf meinen Geschmack durchaus. Wenn der Abend von der Inszenierung her dennoch nicht vollständig zu überzeugen vermochte, lag das daran, dass der Focus zu sehr auf den von Cora De Maria geschaffenen Schattenprofilen lag und dabei die eigentliche Personenregie oft stark ins Hintertreffen geriet. Diese war insgesamt nicht gerade ausgeprägt und wurde auch an den Stellen nicht sonderlich intensiviert, an denen die Schatten gerade mal pausierten. Häufig wurde von den Protagonisten, die sich darüber hinaus häufig in altbackenen Sängergesten gefielen, pures Rampensingen gepflegt, was nicht nur einmal gähnende Langweile zur Folge hatte. Insoweit hinterließ die Inszenierung einen recht zwiespältigen Eindruck.

Michael Mrosek (Ernesto), Eric Vivion-Grandi (Gualtiero)

Musikalisch war der Abend dagegen voll gelungen. Basil H. E. Coleman und die Niederbayerische Philharmonie präsentierten einen Bellini vom Feinsten und bewiesen, dass sie sich hinter größeren Häusern wahrlich nicht zu verstecken brauchen. Der britische Dirigent entlockte den versiert aufspielenden Musikern sehr imposante, geradezu zündende Töne, die gleichermaßen gefühlvoll und filigran erklangen und das dramatische Geschehen auf der Bühne wunderbar reflektierten. Da Coleman auch sehr auf vielfältige Nuancen sowie auf die Herausstellung spezifischer Coleurs bedacht war, geriet der von ihm und dem Orchester erzeugte Klangteppich sehr abwechslungsreich und differenziert. Ausdrucksintensität wurde an diesem Abend ganz groß geschrieben.

Ensemble

Und was für ein hervorragendes Sänger/innen-Ensemble hatte das Landestheater Niederbayern doch aufgeboten. In dieser Beziehung hat sich mein Wahlspruch „Verachtet mir die kleinen Häuser nicht“ wieder einmal voll und ganz bestätigt. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass man an den kleinen Häusern oft die besten Gesangssolisten findet. Zu begeistern vermochten insbesondere der Sopran und der Bariton. Hyun-Ju Park erwies sich für die Imogene als wahrer Glücksfall. Diese famose Sängerin hat Bellinis Stil total verinnerlicht und mit bestens sitzendem, bis in die eklatanten Höhen der Partie herauf voll und ausgeglichen erklingendem, flexiblem Sopran sehr beeindruckend umgesetzt. Dabei legte sie in ihren fulminanten Gesang ein Höchstmaß an tief gefühlter Intensität und bewältigte auch die dramatischen Koloraturen mit Bravour. Ihre stark unter die Haut gehende Wahnsinnszene am Ende war der vokale Höhepunkt der Aufführung. Frau Park hat sich an diesem Abend genauso trefflich für größere Häuser empfohlen wie Michael Mrosek, der einen Ernesto der Superlative sang. Dieser Bariton nennt überaus klangschönes, farbiges, sonores und zudem wunderbar italienisch fundiertes Baritonmaterial sein Eigen, das noch bei den extremen Spitzentönen in höchstem Glanz erstrahlte. Dazu gesellten sich eine Ausdrucksstärke des Vortrags sowie eine perfekte Legatokultur. Alles in allem ergab ein phantastisches, charismatisches Rollenportrait. Eric Vivion-Grandi erreichte als Gualtiero das Niveau seiner beiden Kollegen nicht ganz, vermochte aber mit insgesamt gut gestütztem und sauber geführtem Tenor durchaus für sich einzunehmen. Diesen vielversprechenden Sänger möchte man gerne einmal als Verdis Duca oder Alfredo hören. Prächtig focussiertes, profundes Bassmaterial brachte Young Kwon für den Goffredo mit. Mit ansprechendem, gut verankertem und obertonreichem Sopran empfahl sich Kathryn J. Brown für größere Aufgaben als die Adele. Demgegenüber fiel der maskig singende Itulbo von Oscar Imhoff ab. Solide war der von Christine Strubel einstudierte Chor.

Ludwig Steinbach, 18. 1. 2014
Die Bilder stammen von Peter Litvai.