Premiere: 9. 11. 2013
Wie verändern sich die Menschen?
Es war schon ein sehr vergnüglicher Opernabend, die Premiere von Mozarts „Cosi fan tutte“ am Theater Pforzheim, dessen hohes künstlerisches Niveau erneut offenkundig wurde. Eine ausgezeichnete Regie, ein erstklassiges Dirigat sowie zum großen Teil ansprechende Stimmen formten sich zu einer Symbiose von großer Eleganz und durften sich am Ende in dem großen Beifall des zurecht begeisterten Publikums sonnen.
Mit dem Engagement von Toni Burkhardt ist Operndirektor Wolf Widder ein wahrer Glücksgriff gelungen. Diesem vielversprechenden jungen Regisseur ist das Kunststück gelungen, den Kern der Handlung nicht anzutasten, das Werk gleichzeitig aber auch behutsam zu modernisieren und durch die Brille des Psychologen zu betrachten, woraus ein äußerst stimmiges, geistreiches Potpourri resultierte. Dabei inszenierte er stets aus der Musik heraus, deren Doppelbödigkeit er gekonnt auf die Handlungsträger und deren zur Schau gestellte Emotionen zu übertragen wusste. Diese Vorgehensweise ließ die beteiligten Personen facettenreicher und vielschichtiger erscheinen, als man es von anderen Produktionen des Stücks her gewohnt ist. Dass sich an keiner Stelle irgendwie geartete Leerläufe einstellten und der Abend mithin nie langweilig wurde, verdankt sich dem hervorragenden Umgang Burkhardts mit Tschechow’schen Elementen, die er verstärkt ins Feld führte, sowie einer ausgezeichneten Personenregie. Behutsam nahm der Regisseur seine Sänger an die Hand und führte sie leicht, locker und temporeich durch das Stück, wobei er ihnen aber auch genug Freiheiten ließ. In eine szenische Zwangsjacke steckte er sie an keiner Stelle, sondern gewährte ihnen stets genug Freiraum, sich selbst zu entfalten, was die Lebendigkeit der Inszenierung noch steigerte. Als Krönung wurde das Ganze mit zahlreichen neu anmutenden Regieeinfällen garniert, die viel zur Kurzweiligkeit der Aufführung beitrugen. Nein, in technischer Hinsicht ist dem Regisseur überhaupt nichts anzulasten. Er beherrscht sein Handwerk perfekt.
Aber auch die geistig-innovative Seite, die er seiner Interpretation angedeihen ließ, war voll gelungen. Er verstand es vortrefflich, das ursprünglich der Aufklärung zuzuordnende Gepräge des Geschehens in unsere Zeit zu übertragen, ohne dabei das Grundmuster jener Epoche gänzlich aus den Augen zu verlieren. Sein Ansatzpunkt bestand in einem groß angelegten Menschenversuch Rousseau’scher Prägung, den Don Alfonso und Despina, die hier eine etwas seltsame Beziehung ganz eigener Art pflegen, an ihren Versuchskaninchen ausführen. Als spiritus rectores beobachtet das köstlich gezeichnete dritte Pärchen bereits während der Ouvertüre vom Hintergrund der Bühne aus das Blinde-Kuh-Spiel unter den Liebenden, die zu Beginn gleichsam auf gepackten Koffern sitzen. Sie müssen sich für das fragwürdige Spiel, dessen Protagonisten sie sein sollen, erst noch qualifizieren, bevor sie von Despina und Alfonso in ihr von Wolfgang Rauschning – von ihm stammen auch die gefälligen zeitgenössischen Kostüme – kreiertes, um einen stilisierten Baum herum gebautes, weißes und nach vorne offenes nordafrikanisches Ferienhaus – Hundings Hütte aus der „Walküre“ lässt grüßen – zur Versuchsdurchführung eingeladen werden. Dieses kann mit Hilfe der Drehbühne in die verschiedensten Stellungen gebracht werden und zeigt mal den Außen-, mal den Innenbereich des nur spärlich, aber gemütlich eingerichteten Domizils mit Sofa, Tisch, Stühlen, altem Grammophon und einem kleinen Swimmingpool. Ein künstlicher Hund bewacht das Anwesen im ersten Akt vom linken Bühnenrand aus, im zweiten Akt hat er dann auf dem Hausdach Stellung bezogen.
In diesem Ambiente ist es nicht so sehr der Ausgang der fragwürdigen Wette, die den Regisseur nachhaltig interessiert. Vielmehr legt er sein Augenmerk auf die Frage, wie sich die Menschen in einer derartigen Situation verändern können, und wartet mit einfühlsamen Seelengemälden auf. Wesentlich ist, dass die Figuren ständig auf sich selbst und ihre Gruppe bezogen sind. Keine störenden Einflüsse dringen von außen an sie heran. Sogar die Soldaten bei „Bella vita militar“ erscheinen nicht persönlich auf der Bühne, sondern werden per Filmprojektion auf die Rückwand geworfen. Sie sind mit sich und ihren gegenseitigen Gefühlen allein, wobei es insbesondere Despina bestens versteht, immer neue Beziehungsaspekte zu knüpfen, die manchmal eine überraschende Wirkung entfalteten. So ließ Burkhardt sie oft Alfonso ansingen, wenn ursprünglich die beiden Schwestern die Adressatinnen ihrer Worte sein sollten. Auch das Symbol der Maske wird vom Regisseur eingehend beleuchtet. Nachhaltig stellte er zur Diskussion, ob dieses nur äußerer oder auch innerer Natur ist. Der Fakt, dass Ferrando und Guglielmo im Laufe des ersten Aufzugs die ihre Verkleidung bildenden markanten Schnurrbärte ablegen, diese aber am Ende bei ihrer fingierten Rückkehr wieder angelegt werden, belegt seine Tendenz zum Letzteren. Das Äußere ist wandelbar, Emotionen bleiben dagegen immer dieselben, unabhängig von einer bestimmten Person. Insgesamt ist Burkhardt eine fetzige Inszenierung mit vielen lustigen Momenten zu bescheinigen – als herausragende Beispiel seien nur Despinas Szene mit dem Überbrückungskabel sowie der durch Dorabellas leichtes Klopfen an den Baum ausgelöste gewaltige Blätterregen genannt -, die anzusehen Freude bereitete. Diesem Regisseur möchte man in Pforzheim gerne bald wieder einmal begegnen.
Auch musikalisch bewegte sich die Premiere auf hohem Niveau. Martin Hannus legte sich zusammen mit der konzentriert und frisch aufspielenden Badischen Philharmonie Pforzheim mächtig ins Zeug und präsentierte Mozarts Musik in recht zügigen Tempi kräftig, mit Feuer und Elan. Sein beeindruckendes Dirigat zeichnete sich ferner durch eine markante Diktion der Orchesterstimmen, große Spannung und prägnant gesetzte Höhepunkte aus. Auch gefällige musikalische Nuancen und vielfältige Farben waren zu vernehmen, das Ganze war recht durchsichtig gestaltet.
Bei den Sängern hatten die Damen eindeutig die Nase vorne. Hier ist an erster Stelle die Dorabella von Marie-Kristin Schäfer lobend zu erwähnen. Ihr bestens focussierter, warm und gefühlvoll klingender Mezzosopran italienischer Schulung ist in letzter Zeit enorm gewachsen und legt die Vermutung nahe, dass der Wechsel dieser jungen Sängerin an ein größeres Haus wohl nur noch eine Frage der Zeit sein dürfte. Eine gute Leistung erbrachte auch Tatiana Larina, die sich mit großer darstellerischer Intensität in die Rolle der Fiordiligi stürzte, die sie mit ebenfalls gut verankertem, höhen- und tiefensicherem Sopran, der zudem über ein breites Ausdrucksspektrum verfügt, auch tadellos sang. Nicht weniger beeindruckend schnitt Franziska Tiedtke als Despina ab. Nicht nur ihr heiteres, aufgedrehtes und quicklebendiges Spiel hinterließ einen nachhaltigen Eindruck, auch gesanglich gelang ihr mit ihrem immer fülliger werdenden, vorbildlich sitzenden sowie flexibel geführten Sopran ein überzeugendes Rollenportrait. Bei kontinuierlichem Fortgang ihrer stimmlichen Entwicklung wird sie in einigen Jahren wohl auch eine gute Fiordiligi sein. Von den Männern vermochte nur der angenehmes, tenoral eingefärbtes Baritonmaterial aufweisende und mit schöner Linienführung intonierende Aykan Aydin in der Partie des Guglielmo das hohe Niveau der Frauen zu erreichen. Bei den beiden anderen Herren blieben dagegen Wünsche offen. Cornelius Burger sang den Don Alfonso manchmal recht halsig und Markus Franckes ebenfalls nicht gerade voll und rund klingender Tenor war keine Idealbesetzung für den Ferrando. Der von Salome Tendies einstudierte Chor wurde per Toneinspieler in die Aufführung einbezogen.
Ludwig Steinbach, 11. 11. 2013 Die Bilder stammen von Sabine Haymann.