Graz: „Dido“

Vorstellung am 13. Juli 2013

ENGLISCHES MUSIKSPEKTAKEL IM SCHLOSS

Schloss Eggenberg ist die größte und bedeutendste barocke Schlossanlage der Steiermark und zählt mit seiner erhaltenen Ausstattung, dem weitläufigen Landschaftsgarten zu den wertvollsten Kulturgütern Österreichs. Es zeigt mit seiner Bau- und Ausstattungsgeschichte den Wandel und das Mäzenatentum des einst mächtigsten Adelsgeschlechtes der Steiermark. Das Schloss samt Park zählt seit 2010 zum

UNESCO-Welterbe. Seit vielen Jahren nutzt das Styriarte-Festival diese großartige Kulisse alljährlich zu einem – stets ausverkauften – Spektakel. Es entsteht wahrhaft ein Gesamtkunstwerk für alle Sinne: Ambulieren durch die herrlichen Räume, Musik, theatralische Aktion, Rezitation verschmelzen zu einem Ganzen, ja selbst der Geschmackssinn wird immer durch ein dem Thema angepasstes Buffet erfreut.

Das Motto des diesjährigen Festes lautete Dido – im Programmheft heißt es dazu:

„Schloss Eggenberg und England, das scheint auf den ersten Blick sehr fern voneinander. Warum also hier ein Fest feiern, das uns ganz ins London der Zeit nach William Shakespeare zurückführt? Weil die Distanz gar nicht so groß ist, wie man glauben mag. Denn schon früh luden die Eggenberger reisende englische Schauspieltruppen ein, um hier die neusten Dramen aus der Stadt an der Themse aufzuführen. Und genau so machen wir es heute auch. Zumal sich dabei alles um Karthagos mythische Königin Dido dreht, die im Deckenprogramm der Gemälde in Schloss Eggenberg einen prominenten Platz einnimmt: Im Saal der „Starken Frauen“ können wir sie bei ihrer List bewundern, durch die sie Karthago gründete. Ihr weiteres Schicksal ist allerdings tragisch, eine der ganz großen „Gefährlichen Liebschaften“ der Weltliteratur. Wie diese im 17. Jahrhundert Künstler in England inspirierte, ist heute zu erleben, wenn sich Schloss Eggenberg in Didos Palast verwandelt, in dem Aeneas und seine Seeleute soeben eintreffen.“

Die Veranstaltung beginnt an einem herrlichen Sommerabend im Schlosshof. Eine bunt gemischte Sänger-und Musikantenschar zieht zu Klängen aus der Sammlung „The English Dancing Master“ (London 1651) in den Hof ein und versetzt die Gäste sofort in die Zeit, aus der diese Musik und dieses Schloss stammen. Und da sei ein kleiner historischer Exkurs eingefügt, der zum besseren Verständnis des Programms und der Inszenierung dieses Abends hilfreich ist:

Hans Ulrich von Eggenberg (1568 -1634) aus Graz war mutig und er war klug. Einzig seine Konfession war ein Hindernis, um am Hofe der Habsburger zu reüssieren. Also wurde er im Jahr 1600 katholisch, und eine Weltkarriere nahm ihren Lauf. Er häufte ein unvorstellbares Vermögen an, indem er die habsburgische Macht in Böhmen durchsetzte (er selbst wurde Hofkammerpräsident und Herzog zu Krumau), er handelte mit Waffen, er verlieh Geld, er war eine Art Pate seiner Zeit. Und schließlich stand sogar sein Herr, Kaiser Ferdinand II., mit Millionen bei ihm in der Kreide. Kein Wunder, dass er sich es mitten in den entsetzlichsten Wirren des dreißigjährigen Kriegs nach seiner Erhebung in der Reichsfürstenstand (1623) leisten konnte, den Familienstammsitz Schloss Eggenberg nach dem Vorbild des Escorial, mit dem es weitgehende Übereinstimmungen gibt, auf das Prächtigste auszubauen. Dass er aus reinem Machtkalkül zum Katholizismus konvertierte, hinderte ihn übrigens nicht daran mit den bekriegten Protestanten weiterhin Kontakt zu pflegen. Und so ist es erklärbar, dass der größte Komponist seiner Zeit, Heinrich Schütz, dem Waffenmeister des Kaisers ein Hauptwerk der geistlichen Musik, nämlich seine ‚Cantiones sacrae‘ widmete – dies gerade zu der Zeit als der barocke Prachtbau des Schlosses Eggenberg entstand.

Und damit zurück zu unserem sommerlichen Fest, in dessen Mittelpunkt diesmal nicht Heinrich Schütz stand, sondern eben englische Musik. Das von Thomas Höft, seit zwanzig Jahren ideenreicher Dramaturg der Styriarte, für diesen Abend entwickelte Konzept des festlichen Spektakels erschloss sich doppelt: es war kulturhistorisch durchdacht, blieb aber nicht „im Kopf“ stecken, sondern vermittelte lebendiges und blutvolles, nie aufgesetzt-künstlich wirkendes Musiktheater. Ich gestehe, ich schätzte ihn immer in seiner Dramaturgenarbeit, konnte aber seiner praktischen Regietätigkeit nie etwas abgewinnen – etwa seinem schultheaterhaften King Arthur im Jahre 2009. Aber diesmal ist Thomas Höft mit Henry Purcells „Dido and Aeneas“ (natürlich in englischer Sprache) wahrhaft ein überzeugender Wurf gelungen: die Truppe, die das ganze Schloss bevölkerte, spielte einerseits glaubhaft ihre Rolle als Wandertheater und war doch gleichzeitig auch ganz die jeweilige Bühnenfigur. Dass diese Balance zwischen Spiel und Sein so ausgewogen gelingen konnte, lag natürlich auch daran, dass ein ausgezeichnetes Ensemble zur Verfügung stand.

Nun aber der Reihe nach, wie das ohne Pause fast vier Stunden lange, aber nie langweilige und nie an Spannung verlierende Spektakel ablief:

Nach dem Einzug der englischen Wandertheatergruppe wird das in acht Gruppen aufgeteilte Publikum (insgesamt wohl rund 600 Menschen) durch das Schloss zu den einzelnen Stationen des Spektakels geleitet. Die ausgeklügelte Logistik bewährte sich: die acht Gruppen wurden – von charmanten Lotsen gelenkt – so geschickt an die sieben Aufführungsorte geleitet, dass alle sämtliche Programmpunkte erleben konnten. Für die Künstlerschar bedeutete dies natürlich, dass sie ihre Darbietungen mehrfach präsentieren musste. Meine Gruppe wurde nach der Eröffnung im Schlosshof zunächst in den Schlossgraben geführt. Da erwartete uns in einer englischen Hafentaverne des 17.Jahrhunderts nicht nur stilgerecht ein Buffet mit Lobscouse und Hartkeks (Rezepte im Programmheft!) samt Getränken, sondern auch eine Musikantenschar (Geige, Blockflöten, Harfe, Drehleier und Stimme) mit altenglischer Kneipenmusik. Mit köstlichen alpenländisch-englischen Ansagen gelang es sogar, das Publikum zum Mitsingen zu bewegen, selbst ein Limerick-Kanon wurde versucht.

Danach wurden wir in das Herzstück des Schlosses geführt – in den sogenannten Planetensaal. Dieser 1685 fertig gestellte Saal, der seinen Namen dem Gemäldezyklus des Hofmalers Hans Adam Weissenkircher verdankt, verschmilzt mit seinem vielschichtigen Bildprogramm astrologische und hermetische Vorstellungen, Zahlensymbolik und Familienmythologie zu einer komplexen Allegorie zum Ruhme der Familie Eggenberg und gehört zu den beeindruckendsten Raumkunstwerken des frühen Barock in Mitteleuropa. Und im Deckengemälde findet sich – wie schon eingangs erwähnt – die sagenhafte Königin Karthagos Dido.

Der 300 Plätze fassende Saal füllt sich – da tritt sie gleichsam leibhaftig auf. Die in Nigeria geborene, in Österreich aufgewachsene und ausgebildete 33-jährige Sopranistin Bibiana Nwobilo ist eine ideale Besetzung für die nordafrikanische Königin – und das nicht nur durch ihre edle Erscheinung, sondern auch durch ihren ebenso edlen Gesang. Fern aller manchmal zu erlebenden Romantisierung singt sie die zwischen Sopran und Alt liegende Partie mit großer Ernsthaftigkeit und perfekter Ausgeglichenheit der Register. Auch das Ensemble um sie herum ist ideal zusammengestellt. Da ist einmal die Neue Hofkapelle Graz , die unter der Leitung der Geigerin Lucia Froihofer und des Cembalisten und Blockflötisten Michael Hell mit ungeheurem Animo, gleichzeitig aber mit schlanker Präzision und schönem Klang spielt – jede Orchesterstimme nur einfach besetzt. Wirklich ein optimaler Klangkörper für dieses Werk in diesem Raum!

Und auch die vokale Besetzung um Dido herum ist für diesen Rahmen ebenso optimal: acht solistische Damen und Herren verkörpern nicht nur alle Solopartien, sondern auch den Chor und agieren in einer einfachen Choreographie dazu noch als Tanzensemble. Noch dazu sind alle (auch das Orchester!) in ihrer Kostümierung treffend charakterisiert. Da ist der edle Aenas (Ulfried Staber mit viril-sonorem Bassbariton), die charmante Belinda (Anna Magdalena Auzinger mit beweglichem, nie scharfem Sopran) und der markante Mezzosopran von Ida Aldrian, die sich von der bigotten Nonne überzeugend zur drastischen Zauberin wandelt. Aber auch die anderen fünf sind gleichwertige Solisten und fügen sich zu einem ausgewogenen Ensembleklang (Einstudierung: Gerd Kenda).

In der Personenführung gibt es viele liebevolle Details – mit ganz einfachen Mitteln ist jede Szene charakterisiert, köstlich z.B. die Flucht der Hofgesellschaft vor dem Gewitter unter einer Picknickdecke, köstlich auch der Altus als Transvestit, beeindruckend der abrupte Wandel des Vokalensembles zu grimassierenden Hexen, berührend, wie Belinda am Schluss nach der Hand sterbenden Dido greift.

Aber bin ich mit meinem Bericht schon dem tatsächlichen Ablauf voraus. Nach dem zweiten Bild wird nämlich für unsere Zuschauergruppe die Opernaufführung unterbrochen, wir werden durch die Prunkräume des Schlosses geführt und erleben zuerst eine Lesung der epischen Versdichtung Venus und Adonis von William Shakespeare, die heute als erstes gedrucktes Werk unter dem Namen Shakespeare gilt. Und hier eine die einzige kritische Anmerkung des Abends: stilgerechter wäre es gewesen, den Text in englischer Sprache vorzutragen. Dann geht es weiter durch die Flucht der barocken Prunkräume in einen Saal, wo wir – unter kaiserlichen Portraits – Gesänge von John Dowland hören. Die Sopranistin Tanja Vogrin begleitet sich selbst auf der Harfe, unterstützt auf der Blockflöte von Andreas Böhlen. Dann kehren wir wieder in den Planetensaal zurück und erleben das Ende der Oper. Zum Epilog versammelt sich das Publikum wiederum im Schlosshof und unter den Arkaden der beiden Geschosse. Alle Lichter verlöschen, Dido wird im Kerzenlicht in der Hofmitte aufgebahrt, es erklingt altenglische Musik des Instrumentalensembles und ein Madrigal von Orlando Gibbons. Aber plötzlich gehen die Lichter wieder an, die Wandertruppe erscheint, nun in ihrer heutigen Alltagskleidung, nimmt die wieder zum Leben erweckte Dido an der Hand – und heiter führt Aeneas seine Dido aus dem Schloss hinaus, begleitet von der munteren Komödiantenschar. Großer und anhaltender Jubel des Publikums für alle Ausführenden – das Publikum strömt sichtlich und hörbar zufrieden über einen wahren Sommernachtstraum englischen barocken Musikspektakels durch den mit Fackeln erhellten Schlosspark nachhause.

Hermann Becke
Fotos: Styriarte, Werner Kmetitsch

Hinweise:

– Eine unbedingte Reiseempfehlung an alle, die Schloss Eggenberg noch nicht kennen: http://www.museum-joanneum.at/de/schloss_eggenberg/schloss

– Programmheft, nicht nur mit einer lesenswerten Programmeinführung und den Viten aller Ausführenden, sondern auch mit den Rezepten der englischen Speisen des 17.Jahrhunderts: http://styriarte.com/de/programm_2013/wochenuebersicht/dido_und_aeneas