Graz, Helmut-List-Halle – 30. Juni 2016
Ordentliche Hausmannskost
In diesem Jahr ist das Motto der sommerlichen Festspiele Styriarte (24. Juni bis 24. Juli 2016) Viva la Libertà. Und da darf natürlich Giuseppe Verdi nicht fehlen – wenn auch leider nicht in einer szenischen Aufführung, sondern nur in einem Orchesterkonzert mit Tenor und Bariton. Aber immerhin: für Italianità ist mit den beiden Solisten gesorgt. Ursprünglich war allerdings nur ein Italiener vorgesehen, den Baritonpart sollte nämlich der erfahrene kanadische Bariton Russel Braun übernehmen, auf dessen eigenem Terminplan das Konzert noch immer aufscheint, allerdings: he had to cancel the concert for personal reasons. Statt ihm kam der 35-jährige Italiener Elia Fabbian zum Zug, den man in dieser Saison in Graz als Miller in Luisa Miller erlebt hatte und der gerade am Teatro La Fenice aufgetreten war. Als Tenor war der 36-jährige Neapolitaner Giuseppe Talamo zu Gast , der schon mit dem Dirigenten Michael Hofstetter zusammengearbeitet hatte, als dieser im Vorjahr La Battaglia di Legnano in Gießen erfolgreich konzertant aufgeführt hatte.
Die beiden Solisten sind Vertreter einer jungen aufstrebenden Sängergeneration – und schon durchaus international erfahren. Beide boten technisch sauber geführte Stimmen und grundsolide Interpretationen – aber ehrlich gesagt: den Festspielanspruch, den der Intendant der styriarte, Mathis Huber, in einem ausführlichen Interview gestellt hatte: Ideen von genialen Künstlern bestmöglich zu vermitteln – dieser Anspruch wurde an diesem Abend nicht erfüllt – und das liegt an einer Reihe von Komponenten:
Da ist einmal die Programmwahl: die Aneinanderreihung von Orchestervorspielen, Arien und Duetten (ohne Verdis Freiheitschöre, die eigentlich beim Motto Viva la libertà unbedingt auf dem Programm stehen sollten!) ist nicht gerade originell und lässt keine Spannung entstehen. Das funktioniert vielleicht, wenn man große Gesangsstars engagiert – aber es funktioniert nicht, wenn die Solisten nur ordentlichen Durchschnitt abliefern.
Das beginnt schon mit der ersten Tenor-Arie – der Macduff-Romanze aus Verdis Macbeth. Giuseppe Talamo hat diese Partie zwar schon vor über 2 Jahren in Nancy gesungen (das kann hier nachgehört werden), aber die Stimme ist einfach zu schmal, zu eindimensional und hat zu wenig Volumen für breit-strömende Verdi-Bögen. Und dieser Eindruck bestätigte sich bei den folgenden Szenen aus La Battaglia di Legnano und I Vespri Siciliani und erst recht beim abschließenden Don Carlo. Giuseppe Talamo wurde mehrmals auch schonungslos durch das Orchester zugedeckt – das lag an der ungünstigen Aufstellung der Solisten ohne Podium unmittelbar vor dem Orchester, während die Bläser erhöht auf Podien sitzen, und das lag aber ganz einfach auch daran, dass Talamo Partien zu interpretieren hatte, die (noch) nicht sein Fach sind.
Da ging es dem Bariton Elia Fabbian besser – er hat ein warm timbriertes großes Organ, das sich trotz der erwähnten ungünstigen Positionierung stets gegen die Orchesterfluten behaupten konnte und auch über eine absolut sichere, metallische Höhe verfügt. Ihm fehlt ein wenig die klangliche Differenzierungsfähigkeit – so manches klang einfach etwas einförmig und wenig profiliert. Zusammenfassend: zwei ordentliche Sänger, aber leider nicht mehr.
Im seit 2014 bestehenden sogenannten styriarte Festspiel- Orchester sitzen zum überwiegenden Teil Mitglieder aus recreation – GROSSES ORCHESTER GRAZ ,dessen Chefdirigent Michael Hofstetter ist, der auch diesen Abend leitete. Das Orchester wird an besonderen Positionen von internationalen Gästen geprägt, die ihre spezifische Erfahrung einbringen. Abgesehen von der engagiert agierenden chinesischen Konzertmeisterin sah man im Orchester beispielsweise den deutschen Hornisten Christian Binde und den australischen Kontrabassisten Tim Dunin, der bei den Wiener Philharmoniker gespielt hatte, bevor er Pädagoge wurde. Beide trugen beispielsweise Entscheidendes zu einer plastischen und klangschönen Gestaltung des Don-Carlo-Vorspiels bei.
Die Streicher spielten auf Darmsaiten, die Bläser auf modernen Instrumenten. Das sorgte für ein Ungleichgewicht sowohl in dynamischer als auch in klanglicher Hinsicht. Wenn z.B. im Adagio des Macbeth-Vorspiels die Streicher dolcissimo im dreifachen Piano einsetzen, dann klingt das ganz einfach zu trocken. Dazu kommt die schon eingangs erwähnte ungünstige Aufstellung – die Streicher sitzen ohne ein (sie klanglich verstärkendes) Podium direkt am Saalboden, während die Bläser erhöht auf Podien sitzen. Michael Hofstetter arbeitete liebevoll viele klangschöne Details aus dem Orchestersatz heraus, das Orchester spielte merkbar konzentriert und animiert, aber die großen Bögen, die drängende Verdi-Stringenz fehlten mir – etwa wenn im Carlo/Posa-Duett vor dem Duo-Einsatz Dio, che nell’alma infondere die vier Orchestertakte mit den Streicher-Pizzicati und dem Bläserakkord im Detail ausgestaltet werden, aber eben den musikalischen Fluss bremsen.
Nimmt man alles zusammen, dann erlebte man ein ordentliches Promenadenkonzert, auf das das Publikum zunächst sehr reserviert reagierte – wohl auch deswegen, weil es die Stücke kaum kannte. Erst mit der großen abschließenden Duett-Szene Don Carlo/Posa, deren Schlussteil auch noch als Zugabe wiederholt wurde, ging das Publikum aus sich heraus und dankte mit lautem Beifall und Bravorufen.
Um zum Anfang meines Berichts zurückzukommen:
Das war ordentliche Verdi-Hausmannskost, aber nichts Außerordentliches – die festspielgemäße bestmöglichste Vermittlung erlebte man an diesem Abend nicht.
Hermann Becke, 1.7.2016
Fotos: Styriarte © Werner Kmetitsch
Hinweise:
– Livemitschnitt der Battaglia di Legnano aus der Mailänder Scala (1961) mit Franco Corelli und Ettore Bastianini – die waren damals nur 5 Jahre älter als die heutigen beiden Protagonisten….
– Bei der Styriarte kommt Verdi nochmals zu Worte – am 13. Juli 2016 bei der Verdi.SOAP , u.a.mit Adrian Eröd und Peter Simonischek